Es ist die zweite Chronik, die im Rahmen eines Stadtjubiläums erscheint und die dritte, die über Radolfzell geschrieben worden ist. 1896 verfasste Peter Paul Albert, Archivar der Stadt Freiburg, die erste Chronik über Radolfzell. 1967 zur Feier 700 Jahre Stadt Radolfzell schrieb Kreis- und Stadtarchivar Franz Götz in einem Eilauftrag die zweite Chronik. 50 Jahre später sind die beiden Herausgeberinnen Katharina Maier und Hildegard Bibby von der Abteilung Stadtgeschichte mit einem anderen Anspruch an eine dritte Chronik gegangen: Sie sollte lesbar sein, reich bebildert und in jedes Bücherregal passen. Herausgekommen ist ein Werk mit 416 Seiten, ursprünglich geplant waren 360. Um den Erzählcharakter der Chronik zu betonen, haben die Herausgeberinnen das Werk in elf Kapitel aufgeteilt und acht Autoren damit beauftragt. Die Kapitel reichen von der Steinzeit übers Mittelalter bis zur Industrialisierung im 19. Jahrhundert und endet mit dem Kapitel "Radolfzell von der Gemeindereform bis 2016".
Für Katharina Maier, Leiterin der Abteilung Stadtgeschichte, steht fest: "Das ist Stadtgeschichte in einem Band, verfasst von Fachautoren." Ihre Stellvertreterin Hildergard Bibby ergänzt: "Für eine Person ist solch ein Buch nicht machbar." Die Autoren sollten vom Fach und aus der Region sein und den Kapiteln ihren Stempel aufdrücken.
So beschreibt Heike Kempe in ihrem Kapitel über das moderne Radolfzell den langen Kampf der Jugend um einen Treffpunkt in der Innenstadt und Christof Stadler legt seinen Schwerpunkt auf die Geschichte des Stadtgründers Radold während Sebastian Hausendorf und Markus Wolter sich mit der Geschichte Radolfzells im Dritten Reich und während des Zweiten Weltkriegs auseinandersetzen. Helmut Fidler befasst sich mit Radolfzell als "schwäbisch-österreichischer Landstand", während Sibylle Probst-Lunitz sich das 19. Jahrhundert genau angeschaut hat.
Etwas Besonderes sind für die beiden Herausgeberinnen die ersten beiden Kapitel über die Archäologie: "Das ist in dieser Intensität noch nicht vorgestellt worden", berichtet Katharina Maier. Dass das Thema Archäologie ein ganz aktuelles sei, hätten sie bei der Buchherstellung erfahren müssen. Neue Fundstücke und Fundstellen seien miteingearbeitet worden. "Das Buch ist für die Archäologie im Stadtgebiet der neueste Forschungsstand", ergänzt Hildergard Bibby. Zahlreiche Bilder über Ausgrabungen und Funde illustrieren die ersten beiden Kapitel von Jürgen Hald und Gabriele Weber-Jenisch über archäologische Funde in Radolfzell und den Ortsteilen.
Öffentliche Vorstellung: Sonntag, 19. März, stellen die Herausgeberinnen Katharina Maier und Hildegart Bibby ihr Werk "Radolfzell am Bodensee – die Chronik" um 17 Uhr im Milchwerk vor. Das Buch ist im Stadlerverlag erschienen und kostet 29,95 Euro. Ab Montag ist die Chronik dann im Buchhandel erhältlich.
Vom Leierkasten bis zur Tanke – wie sich Geschichte wiederholt
Drei Gründe, warum die Stadtchronik mit ihrer Aufbereitung der neueren Geschichte in jedem Radolfzeller Hauhalt stehen sollte
- Das Weißt-Du-noch?-Argument wird bestens von Heike Kempe in den Kapiteln zehn und elf bedient. Wann wurde das Café Achteck am Luisenplatz abgerissen? Das Gefängnisgebäude gegenüber der heutigen Hausherrenschule und des damaligen Gymnasiums ist am 20. März 1968 abgerissen worden (Seite 320): "Angesichts der Schulraumnot wurde im August 1969 auf dem Gelände der ehemaligen Jugendarrestanstalt ein achtklassiger Pavillon fürs Gymnasium errichtet." Oder der Mauerfall-Skandal des 20. Jahrhunderts, als über Nacht ein Stück der alten Stadtmauer abgerissen wurde. Seite 351: "Beim Höllturm auf der Seite zum Stadtgarten klaffte quasi über Nacht ein 15 Meter breites Loch." Im zitierten SÜDKURIER-Bericht vom 2. Februar 1982 heißt es: "An eine Rekonstruktion war nicht mehr zu denken, denn die historischen Steine wurden nach dem Abriss des Hölle-Geländes mit der übrigen Aushubmasse vermischt und ins Herzensgelände gebracht."
- Das Wir-waren-schon-immer-Revoluzzer-Argument bedient die Autorin mit ihrer Abhandlung über die Radolfzeller Jugend (ab Seite 358). Von der Besetzung des alten Feuerwehrgerätehauses (heutiges Stadtwerke-Gebäude) bis hin zu den vielen Radolfzeller Szenekneipen, die sich mit wechselndem Erfolg am Ende dann doch der realen Wirtschaftswelt geschlagen geben mussten: Hades–Keller im Österreichischen Schlösschen, Leierkasten, Barcarole, Le Coin, Waldhaus, Graffity, Tempel, Tanke. Schon die Aufzählung der Namen beweist: Geschichte wiederholt sich.
- DasWären-wir-nur-selbständig-geblieben-Argument in den Radolfzeller Ortsteilen bekommt in Teilen neue Nahrung, in Teilen wird es ausgeräumt. Ab Seite 339 wird die Geschichte "Radolfzell wird Große Kreisstadt" oder die Eingemeindung der Ortsteile Anfang der siebziger Jahre aufgearbeitet. Während Markelfingen relativ geräuschlos zu Radolfzell übertrat, Stahringen sich in einer Abstimmung deutlich für Radolfzell und gegen Stahringen aussprach, wehrten sich die Böhringer mit Händen und Füßen gegen den Radolfzeller "Anspruch auf Böhringen", auch eine Abstimmung half nichts. Der Landtag befahl: Böhringen kommt zu Radolfzell. Bis Ende 1973 lebten in Radolfzell 16 700 Menschen, nach der Eingemeindung von Liggeringen, Markelfingen, Möggingen, Stahringen, Böhringen und Güttingen war die Zahl auf rund 25 000 angestiegen.