Sobald die Temperaturen fallen und der Winter herannaht, ist es für viele fast schon selbstverständlich geworden, Balkon oder Garten mit Futterhäuschen für Vögel auszustatten und Meisenknödel aus dem Keller zu holen. Aber wie sieht es mit der Versorgung der Vögel während dem Rest des Jahres aus? Ist es nötig, Amsel, Spatz und Fink auch von Frühjahr bis Herbst zu versorgen?
„Unbedingt“, sagt Ornithologe Peter Berthold, der in der Vogelwarte Radolfzell Forschungen für das Max-Planck-Institut betreibt und Ratgeber zur richtigen Fütterung herausgegeben hat. Durch die Abnahme von Brachflächen und Blühstreifen aufgrund von Bauland oder Agrarwirtschaft und dem Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln finden die Vögel in der Natur kaum noch Samen und Insekten vor.

Dabei brauchen sie gerade während des Frühlings und Sommers enorm viel Futter. Während sie sich während der kalten Jahreszeit nur wenig bewegen, die langen Nächte ruhend verbringen und sich ohne zu zittern energiesparend wärmen können, beginnt mit den ansteigenden Temperaturen auch ihre Aktivität zuzunehmen. Durch die kürzeren Nächte sind sie lange unterwegs, zudem zwingt die Aufzucht ihrer Jungen sie dazu, sich permanent auf Futtersuche zu begeben. Der Futterbedarf, der ab April stetig zunehme, sei dadurch ungefähr 100 Mal höher als im Winter, betont Berthold.
Aufgrund des Futtermangels sei es für die Elterntiere schwer, sich selbst und den Nachwuchs ausreichend zu ernähren. Da für die Küken oftmals nicht genug Nahrung übrig bleibt, sterben viele. Von den Problemen betroffen sei jede Vogelart. „Es gibt nichts, was es bei uns nicht wert wäre, gefüttert zu werden“, sagt Berthold und führt als Beispiel die Kohlmeisen an. Obwohl sie bisher relativ häufig vorkamen, gelingt es ihnen mittlerweile, nur noch wenige Jungtiere am Leben zu erhalten. Dabei seien Vögel enorm wichtige Schädlingsbekämpfer, die Insekten fressen, die unseren Nahrungsanbau oder unsere Wälder bedrohen.

Der Ornithologe plädiert daher für eine Hilfe durch die Menschen: „Wer heutzutage ernsthaften Vogelschutz betreiben will, der kommt um Ganzjahresfütterung nicht herum.“ Während durch die Zufütterung zwar im Wesentlichen die Elterntiere unterstützt werden, bleibe auf diese Weise auch für den Nachwuchs genügend Nahrung übrig. Und die Jungtiere profitieren von dem Fett, das die Eltern von Meisenknödeln aufnehmen und den Küken als Zusatz zu gefangenen Insekten anbieten.
Aber nimmt das Insektensterben nicht noch mehr zu, wenn die Vögel als ihre Fressfeinde vom Menschen unterstützt werden? Laut Peter Berthold ist das nicht zu befürchten. Solange Insekten nicht in großen Mengen vorhanden sind, könne auch die Vogelpopulation nicht anwachsen, da ihnen trotz Zufütterung eine der wichtigsten Nahrungsgrundlagen fehlt.
Berthold rät übrigens nicht nur zur Fütterung der Singvögel. Auch Nesträuber wie Elstern und Krähen zu füttern, könnte sich lohnen – denn dadurch haben sie keine Notwendigkeit mehr, fremde Küken zu fressen.
Dennoch sieht nicht jeder die Ganzjahresfütterung als eine gute Möglichkeit für den Vogelschutz an. „Wir sind da skeptisch“, sagt Eberhard Klein, Leiter des NABU-Bodenseezentrums. Zwar habe die Fütterung durchaus ihre guten Seiten, etwa, wenn die Menschen dadurch eine Bindung zu den Vögeln aufbauen und sich für ihren Schutz einsetzen. Aber: „Ich glaube tatsächlich, dass der positive Aspekt relativ klein ist.“ Um wirklich etwas zu verbessern, müssten die Menschen weitaus mehr für die Umwelt tun und sich für einen nachhaltigeren Lebensstil entscheiden. Statt zu füttern, könnten außerdem Pflanzen gesät werden, deren Samen und Blüten nicht nur für Vögel, sondern auch für Tiere wie Bienen und andere Insekten eine Futterquelle darstellen.

Im schlimmsten Fall könnte eine Ganzjahresfütterung laut Klein sogar negative Folgen haben. Während Vögel wie der Spatz gefüttert werden können, sei es dagegen nicht möglich, Arten wie dem Mauersegler mit künstlichen Nahrungsangeboten zu helfen, da diese Spezies nur im Flug frisst. Durch die unausgeglichene Unterstützung habe der Spatz, der mit dem Mauersegler um Nistplätze konkurriert, einen entscheidenden Vorteil – und das könne den Mauersegler verdrängen.

Peter Berthold hält diese Befürchtung dagegen für unbegründet. Auch die Spatzenpopulation sei durch den Futtermangel so massiv zurückgegangen, dass sie selbst mit Unterstützung der Menschen keine Gefahr für die Mauersegler darstellen. Er stimmt Eberhard Klein jedoch im Bezug auf eine funktionale Bepflanzung zu. In seinem Buch „Vögel füttern – aber richtig. Anlocken, schützen, sicher bestimmen“ rät Berthold, ergänzend zur Zufütterung im Garten oder auf dem Balkon Wildpflanzen zu säen, durch die den Vögeln nicht nur Samen zur Verfügung stehen, sondern die auch Insekten helfen.
Hygiene und Taubenschutz
Der Gedanke an verstreutes Vogelfutter und Kot auf dem sonst so sauberen Balkon oder im Garten kann auf viele potenzielle Fütterer abschreckend wirken. Was ist, wenn über die Futterstelle Krankheiten übertragen werden? Könnte aus der guten Absicht eine Gefahr für die Vögel werden – und für den Mensch? Und wie können Tauben ferngehalten werden? Peter Berthold klärt auf.
- Sauberkeit: Wer Angst hat, dass das Vogelhäuschen zu einem Brutplatz für Seuchen wird, der kann beruhigt sein. Selbst, wenn nicht regelmäßig rund um die Futterstelle sauber gemacht wird, sind die Vögel nicht gefährdet. „Vögel sind sehr unempfindlich gegen Verschmutzung“, versichert Peter Berthold. „Die haben ein unglaublich gutes Immunsystem.“ Das konnten Studien nachweisen, für die Vögel an sauberen und vermeintlich unhygienischen Futterstellen untersucht wurden. Zwar gebe es durchaus Krankheiten, die Vögel gefährden, diese ließen sich aber auch durch Sauberkeit nicht vermeiden. Auch der Mensch habe beim Füttern nichts zu befürchten. „Am Futterhaus kann man sich definitiv gar nichts holen“, so Berthold. Sogar Vogelgrippe sei bei Vögeln am Futterhaus nicht nachgewiesen worden. Umgekehrt gebe es zwar Krankheiten, die vom Mensch auf den Vogel übergehen können, da Wildvögel am Futterhaus jedoch nicht permanent gefüttert werden, bestünde auch hier keine Gefahr.
- Tauben: Stadttauben zu füttern ist in vielen Städten, darunter auch Radolfzell, verboten. Damit sie sich nicht am Futterhäuschen bedienen können, genügen Stäbe, die nebeneinander vor der Öffnung angebracht werden und dadurch die zwar die kleinen Vögel, aber nicht die Tauben bis zur Nahrung vordringen können. Es gibt auch schon spezielle Futterstellen zu kaufen, die von engmaschigem Draht umgeben sind.