Radolfzell – Die an Wendungen, Kniffen und Überraschungen reiche Geschichte eines "geplanten" neuen Seezugangs ist um einen neuen Dreh reicher. Ohne öffentlich je genaue Gründe zu nennen, hat Oberbürgermeister Martin Staab seine Bauverwaltung angewiesen, den Vertrag mit dem für die Seetorquerung beauftragen Ingenieurbüro Grassl auf Ende des Jahres 2018 auslaufen zu lassen. Nach einer erneuten Ausschreibung der Vergabe der Entwurfsplanung hat nun eben diese Stadtverwaltung dem Gemeinderat Radolfzell vorgeschlagen, die Planung für das Tragwerk und Ingenieurbauwerk ausgerechnet an das Büro Grassl Ingenieure München zu vergeben.

So sieht die Bahnunterführung zum Radolfzeller Seeufer heute aus.
So sieht die Bahnunterführung zum Radolfzeller Seeufer heute aus. | Bild: Jarausch, Gerald

Das hatten die Stadträte in der Beratung erst einmal zu verdauen. Bevor die Verwunderung ihre Sprache fand, stellte Siegfried Lehmann für die Fraktion der Freien Grünen Liste einen Antrag auf Vertagung und nichtöffentlicher Beratung im Finanz- und Verwaltungsausschuss: "Wir wollen wissen, wer warum den Zuschlag bekommen hat." Es sei ihm bewusst, dass "wir diesen Hintergrund nur nichtöffentlich diskutieren dürfen". Dennoch wollte Lehmann gerne wissen, warum die Ausgewählten die geeignetsten Büros seien. "So ist das nicht nachvollziehbar, uns fehlen die Unterlagen."

Ein Sechstel reicht für die Vertagung

Eine Mehrheit brauchte es für diesen Antrag auf Information nicht. Nur: "Ein Sechstel der Gemeinderäte kann in allen Angelegenheiten der Gemeinde und ihrer Verwaltung verlangen, dass der Bürgermeister den Gemeinderat unterrichtet", heißt es in Paragraf 24 der Gemeindeordnung. Mit den Stimmen der anwesenden fünf FGL-Stadträte Lehmann, Waltraut Fuchs, Gisela Kögel-Hensen, Beate Giesinger und Thilo Sindlinger sowie des bekannten Seetorquerungs-Gegners Dietmar Baumgartner von den Freien Wählern war das Sechstel von 26 Stadträten schnell erreicht. Der "Heilungsversuch" von SPD-Stadtrat Norbert Lumbe half nicht. Sein Antrag kam nach dem erreichten Sechstel erst gar nicht zur Abstimmung. Lumbe wollte die öffentliche Sitzung zugunsten einer nichtöffentlichen Beratung "kurz unterbrechen", um dann wieder in die öffentliche Entscheidungsfindung eintreten zu können.

Leiter des Baudezernats verteidigt die Auswahl

Zuvor hatte Thomas Nöken als Leiter des Baudezernats versucht, die Auswahl des Büros Grassl zu begründen und zu verteidigen: "Es ist keineswegs so, dass die vorherige Entwurfsplanung von minderer Qualität gewesen ist", sagte Nöken. Es gebe verschiedene Ansätze eine neue Unterführung vom Bahnhof an den See auszuführen. Er stellte das Auslaufen des Vertrags und die Neuausschreibung der Entwurfsplanung als "ganz normalen Vorgang" dar, der aufgrund der Entscheidung des Gemeinderats für die modifizierte Vorzugsvariante zustande gekommen sei.

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In einem Schreiben an einen Bauberater, das auch an alle Stadträte ging, begründet Nöken dies mit der vom Büro Grassl vorgeschlagenen Sonderkonstruktion "Trog-Ausführung". Die Stadtverwaltung habe bereits 2016 umgedacht und wollte das Restrisiko nicht eingehen, das diese Sonderkonstruktion mit sich brächte. Die Annahme, dass die Ursprungsplanung unbrauchbar sein soll, sei falsch. Nöken erlärte im Gemeinderat noch eimal, für ihn stehe fest, dass das Büro Grassl "das konsequenteste und erfahrenste Büro" in dieser Sache sei: "Wir können mit allerbestem Gewissen den Vergabevorschlag unterbreiten." Dem wäre die CDU gerne gefolgt. "Wir sind abstimmungsbereit", erklärte Stadtrat Bernhard Diehl.

Wer die Seetorquerung planen soll

  • Das Auswahlverfahren: In der Vorlage zur Vergabe der Entwurfsplanung für die Seetorquerung ist die Stadtverwaltung ausführlich auf das Auswahlverfahren eingegangen. Für die Disziplinen Tragwerksplanung und Ingenieurbauwerke seien je fünf, für die Objektplanung Freianlagen sechs, für die Lüftung- und Sanitärplanung und die Planung Elektro und Geotechnik jeweils eine Bewerbung fristgemäß eingegangen. Die Bewerbungen seien von einer Fachkommission einzeln vorgestellt, diskutiert und voneinander unabhängig bewertet worden. In einer Diskussion habe jede Bewerbung eine entsprechende Punktzahl zuerkannt bekommen. Die drei Bewerber mit der höchsten Punktzahl seien für die Verhandlungsphase zugelassen worden. Projektleiter und ihre Stellvertreter der Bieterbüros mussten in dieser Runde ihre Ideen und Methoden vorstellen. Anschließend vergab die Kommission ihre Punkte, die zur Auswahl der verschiedenen Bieter führten.
  • Die meisten Punkte und damit den Vorschlag für die Auftragsvergabe Entwurfsplanung haben diese Büros erreicht: Grassl Ingenieure München für Planung Tragwerk (Auftragssumme 95 000 Euro) und Ingenieurbauwerk (166 000 Euro), Planstatt Senner Überlingen für die Planung der Freianlagen (105 000 Euro), HPC AG Radolfzell für die Geotechnik (29 000 Euro), Eta3 Freiburg für die Planung Lüftung und Sanitär (19 0000 Euro), Faktorlicht Filderstadt für die Objektplanung Elektro (21 000 Euro) und Arbeitsgemeinschaft Josef Prinz Ravensburg und Tobias Thiel Konstanz für die Planung des Empfangsgebäudes (90 000 Euro).
  • Die Kosten für die Seetorquerung werden im aktuellen Haushalt der Stadt Radolfzell mit 25,9 Millionen Euro angegeben. Das Regierungspräsidium hat im Oktober 2018 schriftlich bestätigt, dass das Wirtschaftsministerium bei seiner Zusage bleibt, dieses Projekt weiter mit maximal 7,7 Millionen Euro zu fördern. Diese Zusage ist notwendig geworden, weil am 30. April das Förderprogramm Stadt-Bahn-See ausläuft. Die Stadt muss von bisher erhaltenen 580 000 Euro an Zuschüssen des Landes inklusive Zinsen 240 000 Euro zurückzahlen.