Eigentlich war es ein glasklarer Fall, doch das Urteil kam überraschend: Vor dem Amtsgericht Radolfzell ging es um eine Familienfeier im vergangenen November, Tante und Cousine des späteren Angeklagten feierten zusammen Geburtstag, es gab rund 20 Gäste. Es wurde gut gegessen und der Angeklagte trank reichlich, vermutlich fünf bis sechs Bier und ein Schnaps, so berichtete er es vor Gericht.

Der 33-Jährige und seine Tante verquatschten sich, gegen halb 4 in der Nacht wollte er dann nach Hause. Er stieg für die 600 Meter, die er dorthin zurücklegen musste, auf seinen E-Scooter, auf dem er auch schon hergekommen war. „Groß nachgedacht habe ich darüber nicht. Ich bin aufgestiegen, ohne mir bewusst zu sein, was ich mache“, sagte er dazu vor Gericht aus. Mit seinem Auto fahre er normalerweise nie nach Alkoholkonsum.

Angeklagter wirkt nüchtern, hat aber 1,15 Promille

Kurz vor dem Ziel kontrollierte ihn eine vorbeifahrende Polizeisteife, die vermutlich wegen des Fasnachtsbeginns am Vortag, dem 11. November, unterwegs war. Der Angeklagte bestand zwar alle möglichen Reaktions- und Geschicklichkeitstests, wie aus Gerichtsunterlagen hervorgeht. Doch die Blutentnahme im Krankenhaus ergab 1,15 Promille.

Ab 1,1 Promille spricht das Gesetz von „absoluter Fahruntüchtigkeit“, egal wie gut sich der Fahrer selbst einschätzt oder tatsächlich noch fährt. Hierauf steht nicht nur ein Fahrverbot, sondern der Einzug der Fahrerlaubnis und eine Führerscheinsperre, da der Fahrer sich als untauglich zum Führen eines Kraftfahrzeugs erwiesen hat. Die Fahrt des 33-Jährigen ist also eigentlich ein Lehrbuchfall – und doch entzog ihm Richterin Ulrike Steiner den Führerschein am Ende nicht.

Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer eine Geldstrafe von 35 Tagessätzen zu je 60 Euro, einen Entzug der Fahrerlaubnis sowie eine Führerscheinsperre von acht Monaten gefordert. Der 33-Jährige habe sich trotz seines Geständnisses, seiner offensichtlichen Reue und Einsicht sowie der kurzen Fahrstrecke als untauglich zum Führen eines Kraftfahrzeugs erwiesen, so die Begründung. Es lägen keine besonderen Umstände vor, um eine Ausnahme zu machen.

Das könnte Sie auch interessieren

Verteidiger Oliver Merle führte hingegen Unterlagen zu Rechtsprechungen an, in denen Richter im Einzelfall vom Führerscheinentzug auch über dem Grenzwert von 1,1 Promille abgewichen seien. Er argumentierte, sein Mandant sei nur minimal über den Grenzwert gewesen, die Fahrtstrecke habe nur 600 Meter betragen und sein Mandant sei beruflich auf den Führerschein angewiesen.

Zudem habe er bislang keinerlei Einträge im Bundeszentral- oder Fahreignungsregister und habe vor Gericht sehr glaubwürdig versichert, die Tat ehrlich zu bereuen und nicht zu wiederholen. Die Geldstrafe sei daher angemessen, allerdings reiche zusätzlich ein Fahrverbot von zwei Monaten ohne Entzug der Fahrerlaubnis aus.

So begründete die Richterin ihre Entscheidung

Steiner folgte diesen Argumenten zumindest teilweise und sprach dem Angeklagten nicht die Tauglichkeit ab. „Eigentlich ist das Gesetz klar, aber es stimmt natürlich, es kommt auch auf den persönlichen Eindruck des Angeklagten an“, begründete sie ihre Entscheidung. Entscheidend sei, dass der 33-Jährige „total geständig und einsichtig“ sei und die Fahrt sehr kurz war und zu einer Zeit stattfand, als keine Passanten mehr gefährdet wurden.

Das könnte Sie auch interessieren

„Alles in allem kann man hier eine Ausnahme gerade noch vertreten. Das ist aber eine Ober-Ober-Ausnahme, so etwas mache ich sonst nicht. Die Fahrt bleibt eine saugefährliche Sache“, erklärte sie. Sie verurteilte den Angeklagten zu 2100 Euro Geldstrafe und einem Fahrverbot von vier Monaten, von denen zwei bereits durch den vorläufigen Entzug der Fahrerlaubnis schon abgegolten sind.