Kaum ein Thema hat die Radolfzellerinnen und Radolfzeller so sehr bewegt, wie das kurzfristig ausgerufene Badeverbot im Buchenseebad. Anfang Juni hatte die Stadtverwaltung das Bad abgesperrt und ein Betretungs- und Badeverbot ausgesprochen. Grund dafür war ein abgelaufenes Rettungsschwimmerzertifikat beim Badpächter Udo Sum. Dieser konnte die Prüfung nun kurzfristig nachholen, das Bad ist wieder für Besucher geöffnet. Doch der Ärger und das Unverständnis in der Bevölkerung waren und sind groß.
Etliche Leserbriefe hatten die SÜDKURIER-Redaktion erreicht, die das Vorgehen der Stadt kritisierten. Von Überregulierung und Bevormundung der Bürgerinnen und Bürger war die Rede. Doch warum pocht die Stadt Radolfzell auf diese Vorgaben? Angelique Augenstein, Leiterin des Dezernats für nachhaltige Stadtentwicklung und Mobilität und Julia Schüssler von der Stabstelle Bauverwaltung erklären den juristischen Rahmen für die Naturbäder der Stadt.
Warum ist überhaupt eine Regulierung notwendig?
Die Stadt muss gewisse Regeln und Vorkehrungen erlassen, weil sie nach Paragraf 823 des Bürgerlichen Gesetzbuches für etwaige Schäden oder Unfälle haftbar sind. Die Stadt ist gesetzlich verpflichtet, die Verkehrssicherung der Naturbäder zu gewährleisten, ansonsten ist sie haftbar.
Die Verwaltung ist angehalten, entweder selbst für diese Sicherung zu sorgen oder diese an Dritte zu übertragen. „Dies funktioniert wie die Schneeräumpflicht im Winter“, erklärt Julia Schüssler. Auch diese könne der Hausbesitzer an seine Mieter übertragen. Dann verwandelt sich die Verkehrssicherungspflicht in eine Kontrollpflicht.
Im Fall der Naturbäder der Stadt muss die Stadt nachweisen, dass sie überprüft haben, dass eine qualifizierte Badeaufsicht mit einem gültigen DLRG-Rettungsschwimmer-Abzeichen in Silber zur Verfügung steht. Auch überprüfe die Stadt regelmäßig, ob diese Person auch im Alltag im Bad anwesend ist, so Angelique Augenstein.
Was unterscheidet ein Naturbad von jedem anderen Seezugang?
Ob die Stadt nun eine Verkehrssicherungspflicht hat oder nicht, hängt davon ab, ob es sich um eine Badestelle oder ein Naturbad handelt. Als eine Badestelle gilt jeder Abschnitt eines Küsten- oder oberirdischen Gewässers, bei dem mit einer großen Anzahl Badender gerechnet werden muss und für die kein Badeverbot erlassen wurde. Ein Sonderfall einer Badestelle kann auch sein, wenn auf eine Badestelle im touristischen Kontext hingewiesen oder diese beworben wird. Dann ist die Anzahl der Badenden dort unerheblich, um als Badestelle zu gelten.
Ein Naturbad hingegen verfügt über eine eindeutige begrenzte Anlage, also ein Zaun oder eine natürliche Umfriedung durch Gebüsch oder Bäume, die klar einen für Badezwecke geeigneten Wasserbereich und einen Liegebereich markiert. Auch zeichnet ein Naturbad eine gewisse Infrastruktur aus, wie zum Beispiel ein Kiosk, Umkleidekabinen, Toilettenanlagen, einen Steg, eine Badeinsel oder Rutschen. Je mehr dieser Attribute auf eine Badestelle zutreffen, umso eher wird diese als Naturbad gewertet. Ob Eintritt verlangt wird oder nicht, ist kein Ausschlagkriterium.
Ist das Buchenseebad nun ein Naturbad oder nur eine Badestelle?
Laut Angelique Augenstein habe die Stadtverwaltung intensiv geprüft, ob es sich bei den von der Stadt ausgewiesenen Naturbädern auch juristisch gesehen um solche handelt. „Es gibt keine klare Check-Liste, die man abhaken kann, wenn das zutrifft, dann ist es klar ein Naturbad“, räumt sie ein. Doch habe man die Örtlichkeiten sowohl intern als auch extern prüfen lassen, und beide Urteile seien klar gewesen, dass es sich um Naturbäder handelt und diese auch juristisch so zu bewerten seien. „Wir haben diese Bewertung nicht leichtfertig getroffen und uns unabhängige Meinung von außen geholt“, so die Dezernatsleiterin.
Was könnte konkret bei einem Badeunfall passieren, wenn keine Badeaufsicht im Naturbad gestellt ist?
Sollte die Stadtverwaltung ihrer Verkehrssicherungspflicht oder ihrer Kontrollpflicht nicht nachkommen und es käme zu einem Unglück, würde nicht die Stadtverwaltung haften, sondern Oberbürgermeister Simon Gröger und die Gemeinderäte persönlich. Diese stehen in der Verantwortung, sollte jemand zu Schaden kommen.
Und so unrealistisch ist diese Sorge nicht. Ein Bürgermeister aus Nordhessen ist Anfang 2023 vom Landgericht Marburg wegen fahrlässiger Tötung in drei Fällen zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 80 Euro verurteilt worden. Vorausgegangen war ein Unglück an einem Teich der Kommune, in dem während seiner Amtszeit drei Kinder – fünf, acht und neun Jahre – ertrunken waren. Zwar hing ein Schild mit der Aufschrift „Betreten auf eigene Gefahr“, dennoch wurde dem Bürgermeister vorgeworfen, der Verkehrssicherungspflicht nicht nachgekommen zu sein.
Der Bürgermeister wurde in der nächsten Instanz vom Oberlandesgericht Frankfurt am Main freigesprochen, doch für die Radolfzeller Stadtverwaltung ist das Urteil aus Marburg dennoch wegweisend. Der Sachverhalt sei zwar ein anderer als bei den Radolfzeller Bädern, erklärt Julia Schüssler. Doch entspräche die Radolfzeller Richtlinie im Vertrag den Maßstäben der DIN-Vorschrift, die auch beim Fall aus Hessen Anwendung fand. Also seien die Fälle juristisch vergleichbar.
Was ist, wenn ich besonders früh schwimmen möchte, bevor eine Badeaufsicht anwesend ist?
Die Verkehrssicherung in den Radolfzeller Naturbädern ist an die Öffnungszeiten der jeweiligen Bäder geknüpft. Bei Bädern, die eine räumliche Begrenzung wie einen Zaun und einen Einlassbereich aufweisen, lässt sich dies einfach regulieren: Das Bad hat geschlossen. Doch auch bei frei zugänglichen Naturbädern hat das Bad aus Sicht der Stadtverwaltung außerhalb der Zeiten, in denen vertraglich eine Badeaufsicht garantiert wird, geschlossen. Außerhalb dieser Öffnungszeiten werde die Stadt jegliche Haftung von sich weisen, weil das Bad nicht für den Verkehr eröffnet wurde, so Julia Schüssler aus der Bauverwaltung.