Schon beim Betreten der Räume der Kinderwohnung der Diakonie in der Schlesierstraße wird klar: Diese zur Kinderbetreuungseinrichtung umfunktionierte Wohnung ist wirklich abgewohnt, aber wirkt dennoch sehr einladend. Die Wände sind bunt, die kleinen Zimmer mit zusammengewürfelten gespendeten Möbeln ausgestattet, in der Küche steht ein schöner großer Holztisch. Eine der etwas hochwertigeren Spenden an die Einrichtung, die es seit 45 Jahren gibt, erklärt die Leiterin Beate Mezger.
In der Küche koche man höchstens pädagogisch, daran hätten die Kinder sehr viel Freude. Ansonsten mache man hier fleißig Hausaufgaben, es werde gespielt und getobt und für die meisten Kinder sei es ein zweites Zuhause. Von 13 bis 18 Uhr kommen bis zu 20 Kinder in die Wohnung im Erdgeschoss, die in einem der städtischen Blöcke in der Schlesierstraße liegt. Bis auf einen sind alle städtischen Wohnblöcke stark sanierungsbedürftig. Die Kinderwohnung stellt da keine Ausnahme dar.
Kinderwohnung soll vergrößert werden
Nun ist in der jüngsten Sitzung des Gemeinderates nicht nur die Sanierung der Kinderwohnung beschlossen worden, sondern auch der grundsätzliche Plan, die Einrichtung zu vergrößern. „Schon vor Corona haben wir deutlich gespürt, dass wir mehr Plätze brauchen“, sagt Beate Mezger. Sie ist seit 2012 für die Kinderwohnung zuständig und kennt mittlerweile etliche Generationen an Kindern, die nach der Schule in die Kinderwohnung gekommen sind.
Kinder von sechs bis einschließlich 14 Jahren dürfen das Angebot nutzen, doch schauen ab und zu auch mal ältere ehemalige Schützlinge vorbei. „Für sie bleiben wir eine Bezugsperson. Sie kommen und erzählen von Liebeskummer oder der Ausbildung“, erzählt Beate Mezger. Viele gingen erfolgreich ihren Weg, andere weniger. Aber die Mitarbeiter der Kinderwohnung haben sie eine Zeit lang begleitet und waren für die Kinder da, die sonst weniger Unterstützung im Leben erhalten, so Mezger. Zu den betreuten Kindern gehörten viele, die in den Geflüchtetenunterkünften wohnen und solche, die im Quartier in der Schlesierstraße aufwachsen.
Von 100 auf 180 Quadratmeter
Durch die Hinzunahme von zwei auf dem selben Stockwerk frei gewordenen kleinen Wohnungen könnten die Kapazitäten der Kinderwohnung von 20 auf 36 erhöht werden, erklärt Christian Grams, Geschäftsführer der Diakonie Konstanz. Die jetzige Größe von 100 Quadratmetern soll um weitere 80 Quadratmeter erweitert werden. Aktuell plane eine Architektin die Sanierungsmaßnahme der Kinderwohnung, noch in diesem Jahr soll der Umbau beginnen, hoffen Grams und Mezger.
Mit mehr Kindern in der Betreuung müsste auch mehr Personal eingestellt werden. Aktuell habe die Kinderwohnung 1,72 Vollzeitstellen, nach der Erweiterung bräuchte die Einrichtung 3,5 Vollzeitstellen. Die Personalkosten würden von 119.000 Euro auf 238.000 Euro ansteigen. Dabei teilen sich die Stadt Radolfzell und der Landkreis Konstanz die Summe. Die Stadt zahlt bisher 55.000 Euro, der Landkreis 64.000 Euro.
Die Kosten für die Stadt würden sich nach der Erweiterung auf 110.000 Euro verdoppeln und auch beim Landkreis auf 128.000 Euro. Viel Geld, für die ohnehin knappe Stadtkasse, aber auch für den Landkreis. Ob sich der Landkreis noch weiter beteiligen könne, sei noch unklar, erklärt Bürgermeisterin Monika Laule während der jüngsten Gemeinderatssitzung. Bei einer Absage müsste die Stadt die Kosten übernehmen.
Dies führt die Stadträte zu einer neuen Idee. Siegfried Lehmann, Fraktionssprecher der FGL, schlägt vor, doch statt hauptamtlicher Mitarbeiter bei der Betreuung der Kinder mehr auf Ehrenamtliche zu setzen. Susann Göhler-Krekosch (SPD) erklärt, warum es hauptamtliche Mitarbeiter brauche: „In der Kinderwohnung erreichen wir Kinder und auch ihre Familien, die sonst durch jedes Raster fallen.“ Und auch Einrichtungs-Leiterin Beate Mezger kann bei diesem Vorschlag nur müde lächeln. „Hier arbeiten gelernte Erzieher und Sozialarbeiter und die braucht es auch, damit unser Konzept funktioniert. Wir spielen hier nicht einfach nur die ganze Zeit“, sagt sie.
Kinderwohnung als Ersatzschule
Gerade in der Pandemie sei die Kinderwohnung die Ersatzschule für die Kinder geworden. Über die Erika und Werner Messmer-Stiftung habe man unbürokratisch Hilfe bekommen und sei mit Laptops ausgestattet worden, berichtet Beate Mezger. Mit diesen Geräten hätten die Mitarbeiter in Kleinstgruppen mit den Kindern das Homeschooling absolviert, sie beim digitalen Lernen unterstützt und dafür gesorgt, dass sie den Anschluss nicht komplett verlieren. „Dass unsere Kinder so gut durch die Lockdowns gekommen sind, liegt auch daran, dass wir jeden Tag offen hatten und für sie da waren“, ist sich Beate Mezger sicher. Die Kinderwohnung sei eine Möglichkeit gewesen, die enge Familienwohnung zu verlassen und einen Freund treffen zu können.
Im Radolfzeller Gemeinderat genießt die Kinderwohnung hohes Ansehen. Und die Entscheidung, die Wohnung zu sanieren und zu vergrößern, ist bis auf eine Enthaltung durch Thilo Sindlinger, einstimmig angenommen worden. Jürgen Keck (FDP) plädiert für eine Sanierung, die „so schnell wie möglich“ durchgeführt werden soll. Und auch Martina Gleich (CDU) befindet die Vergrößerung als „absolut notwendig für die Zukunft der Einrichtung“.