Es begann mit einer Tüte Kekse am 19. Januar. Im Milchwerk bereiteten sich Gemeinderat und Verwaltung auf die Haushaltssitzung vor. Auch die Presse ließ sich diesen für die Stadt Radolfzell wichtigen Termin nicht entgehen und suchte ihren Platz am Pressetisch im hinteren Teil des Milchwerks auf.
Und dort lagen sie dann. In einer neutralen weißen Butterbrottüte hatte eine gute Fee oder ein Mitarbeiter des Milchwerks Kekse auf den Tisch gestellt. Für gewöhnlich werden nur die Stadträte und Mitglieder der Verwaltung bei Gemeinderats- und Ausschuss-Sitzungen mit Speisen versorgt. Kekse am Pressetisch waren die absolute Premiere. Mein Herz schlug höher ob der Aufmerksamkeit. Es waren die guten Kekse, die mit Schokolade.
Einige Wochen später dann die nächste Überraschung bei der Gemeinderatssitzung am 9. Februar: Ein eigener Lautsprecher am Pressetisch! Seitdem die Sitzungen in das Milchwerk verlegt worden sind, war es für Zuhörer ohne direkten Lautsprecher schwer möglich, der Diskussion zu folgen.
Die räumliche Entfernung zwischen den Räten und den anderen Zuhörern, dazu die Masken – alles wichtig, um den Infektionsschutz zu gewährleisten, die aber die akustische Verständigung in diesem Saal erschweren. Und nun war er da, der eigene Lautsprecher. Jeder Meinungsbeitrag war glasklar zu hören. Das war besser als Kekse. Viel besser.
Voller Vorfreude also besuchte ich die nächste Gemeinderatssitzung am 13. April im Milchwerk. Um enttäuscht festzustellen, dass nicht nur der Lautsprecher verschwunden war, auch hatte man den Pressetisch etwa doppelt so weit weg von den übrigen Tischen gestellt, als es davor der Fall war. Noch ein kleines bisschen weiter weg, und ich verfolge aus der Milchwerk-Küche die Sitzung.
Jetzt alles zu verstehen, was gesprochen wurde, war fast unmöglich. Vier Stunden lang versuchte ich also unterzuckert die volle Konzentration abzurufen, um alles zu verstehen. Das Übrige musste ich aus dem Kontext erschließen. Mit dröhnendem Kopf verließ ich abends die Sitzung. Es war schon mal einfacher Journalistin in Radolfzell zu sein.
Doch womit hatte ich das verdient? Zugegeben, wenn ich im Homeoffice bin, gehört duschen nicht zu den Prioritäten am Tag, sonst aber schon. Sollte mir wirklich mangelnde Körperhygiene den Sicherheitsabstand eingebrockt haben? Hat mein Deo versagt? Habe ich die Kekse zu gierig verschlungen, dass die Verwaltung Sorgen um die ohnehin schon klamme Stadtkasse hatte, die hungrige Pressevertreterin fresse ihnen noch die Haare vom Kopf? Ich kann ohne Kekse leben, ehrlich. Aber bitte, kann der Lautsprecher zurückkehren?