Die Vorhersage von Petra Ohmer, Kämmerin der Stadtverwaltung Radolfzell, ist klar und schmerzlich. Sie schätzt zum jetzigen Zeitpunkt, dass die Stadt aufgrund der Corona-Krise mit insgesamt etwa 9,3 Millionen Euro weniger Einnahmen rechnen muss. „Die Zahlen ändern sich täglich“, berichtete Ohmer dem Gemeinderat. Noch sei die Stadt liquide, doch mittelfristig scheine eine Erhöhung der Verschuldung unvermeidbar, so die Leiterin des Finanzbereichs.

Das Minus bei den Steuern

Bei der Gewerbesteuer rechnet die Stadt im Moment nur noch mit einem Ertrag von 12,7 Millionen Euro. Geplant waren 18,2 Millionen Euro. Es fehlen nach dieser Rechnung 5,5 Millionen Euro an Einnahmen alleine auf diesem Posten. Die Stadtverwaltung bekomme täglich vom Finanzamt Singen Bescheide, in denen Firmen die Herabsetzung der Gewerbesteuer auf null beantragt haben. Das Fatale für die Finanzlage der Stadt dabei sei: „Diese Auswirkungen werden uns weiter begleiten.“ Erst wenn die Steuererklärungen gemacht worden seien und einzelne Unternehmen wieder gewerbesteuerpflichtig würden, könnte sich die Ertragslage wieder ändern.

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Ähnlich verhält es sich beim Gemeindeanteil der Einkommenssteuer. Sie ist mit ursprünglich geplanten Einnahmen von knapp 21 Millionen Euro ein wichtiger Posten im Haushalt. Auch diesen hat die Finanzverwaltung in der Erwartung um 2,2 Millionen Euro nach unten korrigiert. Auch von der Umsatzsteuer bekommen die Gemeinden einen Anteil. In Radolfzell steht dieser Steuerertrag mit einem Ansatz von 3,1 Millionen Euro im Haushaltsplan. In einer ersten Schätzung hat ihn die Finanzverwaltung um 630 000 Euro nach unten korrigiert. Im gerade ausgehandelten Konjunkturpaket will die Bundesregierung die Mehrwertsteuer für das zweite Halbjahr von 19 auf 16 Prozent senken, auch das dürfte noch einmal den Ertrag der Gemeinden aus der Umsatzsteuer schmälern.

Stadt spart beim Personal

Die Finanzverwaltung der Stadt Radolfzell hat auf diese veränderten Rahmenbedingungen reagiert. Über die interne Haushaltsführung habe man die Ausgaben für Sach- und Dienstleistungen nur zu 70 Prozent für die einzelnen Budgets freigegeben. „Bei manchen Budgets bleibt es bei 100 Prozent, die Müllbeseitigung muss weiter funktionieren“, erläuterte Petra Ohmer.

Vor allem beim Personal will die Stadtverwaltung sparen, dort rechnet man aktuell mit rund 1,4 Millionen Euro weniger an Gehaltszahlungen. Das wird über die Anordnung der Kurzarbeit von 93 Mitarbeitenden des Milchwerks, der Musikschule, des Stadtmuseums, der Villa Bosch, der Kindertageseinrichtungen, der Kinderzeit, des Kinderkulturzentrums Lollipop und des Jugendtreffs Café connect zu diesem Posten erreicht. Weitere 400 000 Euro an Einsparungen sind durch eine verzögerte Stellenbesetzungen geplant: „Die Stellenausschreibungen sind gestoppt“, berichtete Petra Ohmer.

Erste Fragen zu den Heimattagen

Bernhard Diehl, der den Antrag auf Darstellung der Auswirkungen durch die Corona-Pandemie auf den städtischen Haushalt für die CDU-Fraktion im Gemeinderat eingebracht hatte, nahm den Bericht mit großer Skepsis zur Kenntnis. Für ihn seien die vorgelegten Zahlen das bestmögliche Szenario: „Meiner Meinung nach werden sich die Zahlen anders entwickeln.“ Er stoß die Diskussion um das Projekt Heimattage 2021 an: „Für mich lautet die Frage, ob wir die Konzepte nicht neu denken müssen?“ Für eine Umsetzung der bestehenden Pläne bräuchte es nach Ansicht Diehls einen Impfstoff gegen das Coronavirus. Zudem bekämen die Heimattage in Radolfzell durch die auf nächstes Jahr verschobene Landesgartenschau in Überlingen zusätzliche Konkurrenz. In Lindau sei die bayerische Landesgartenschau ebenfalls für das Jahr 2021 terminiert.

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Stadtrat Christoph Stadler sprang seinem Fraktionskollegen bei. Ein neuer Server für das Gymnasium sei notwendig, aber bei anderen Projekten müsse man angesichts der neuen Finanzlage der Stadt Fragen stellen: „Heimattage oder neuer Kunstrasenplatz – können wir das noch schultern? Was haben wir an stillen Reserven, haben wir wirklich 20 Millionen Euro Rücklagen?“

Der OB wehrt ab

Das waren Punkte und Fragen, die Oberbürgermeister Martin Staab ungelegen kamen. Zuerst klärte er den Gemeinderat über die neue kameralistische Haushaltsführung auf: „Es gibt keine Rücklagen mehr, es gibt nur noch eine Liquidität.“ Das ist die Fähigkeit eines Unternehmens – in diesem Falle die Stadt Radolfzell – seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Da, sagt der OB, sehe es bis Ende 2021 gut aus. So, wie es sich jetzt darstelle, müssten erst 2022 neue Schulden aufgenommen werden. Aber, schränkt der OB ein: „Es gibt kein Geld, das nicht irgendwo verplant ist – wir haben fast nur laufende Projekte.“ Dann folgte sein Appell an die Stadträte: „Bei den Heimattagen müssen Sie ernsthaft überlegen, ob sie das anrühren wollen.“ Der Vertrag mit dem Land sei unterzeichnet, in den Ortsteilen seien die Projekte schon weit fortgeschritten.

Bernhard Diehl wollte seine Frage nicht als Fundamentalkritik verstanden wissen: „Ich bin absolut für die Heimattage, aber wir müssen uns darüber unterhalten, wie diese jetzt aussehen können.“ Grundsätzlicher wurde dagegen Stadtrat Thilo Sindlinger von der Freien Grünen Liste. Die Corona-Pandemie habe ein strukturelles Problem von Radolfzell verstärkt: „Die Stadt lebt über ihre Verhältnisse, unsere Einnahmen brechen weg.“

Konkurrenz der Gartenschauen

  • Heimattage: Im Jahr 2021 feiern die Stadt Radolfzell und ihre Ortsteile die Heimattage Baden-Württemberg. Die Veranstaltungsreihe fand 1978 das erste Mal in Konstanz statt und soll 2021 wieder an den Bodensee zurückkehren. Die Baden-Württemberg-Tage am 8. und 9. Mai 2021 sind der Auftakt der Landesveranstaltungen in Radolfzell.
  • Die Landesgartenschauen: Die baden-württembergische Landesgartenschau 2020 in Überlingen ist wegen der Corona-Krise ins nächste Jahr auf den den Zeitraum vom 9. April bis 17. Oktober 2021 verschoben worden. Die bayerische Landesgartenschau in Lindau war bereits für 20. Mai bis zum 26. September 2021 geplant.
  • Kurzarbeit in der Stadtverwaltung: Auf die Frage, wie lange die Stadt Radolfzell Kurzarbeit für Mitarbeiter beanspruche, antwortete Kämmerin Petra Ohmer: „Wenn die Einrichtungen wieder aufgemacht werden, holen wir die Leute zurück.“
  • Soforthilfe vom Land: Das Finanzministerium schüttet an die Gemeinden in Baden-Württemberg wegen der Corona bedingten Schließungen der Einrichtungen eine Soforthilfe von insgesamt 200 Millionen Euro aus. Die Stadt Radolfzell rechnet mit einer Zuteilung von knapp 500 000 Euro. Die Soforthilfe wird ohne eine Zweckbindung an die Kommunen ausgezahlt. Städte- und Gemeindetag verhandeln mit dem Land über weitere Finanzhilfen.