Herr Staab, hat Sie auch der Corona-Blues erfasst oder schütteln Sie jede bedrückende Stimmung durch Ihre Krisenmanagement-Tätigkeit ab?

Nun gut, nach Ende der Krisenmanagement-Tätigkeit bleibt nicht mehr viel Zeit für einen Blues, insofern habe ich ihn nicht. Aber am Wochenende kommt man schon Mal ins Nachdenken über die Gesamtsituation, wie es um unsere Gesellschaft und um unsere Stadt steht.

Haben Sie Krankheitsfälle in Ihrem persönlichen Bekanntenkreis oder im Rathaus Radolfzell miterleben müssen?

Ja, im entfernten Bekanntenkreis habe ich einen Fall mitbekommen, der aber zum Glück sehr glimpflich verlief. Auch drei Mitarbeiter der Stadtverwaltung waren betroffen. Aber auch die waren erfreulicherweise sehr schnell wieder auf dem Damm. Ich kenne auch andere Fälle in Radolfzell. Als Ortspolizeibehörde bekommen wir diese vom Landratsamt mitgeteilt.

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Seit dem 17. April meldet Radolfzell keine Menschen mehr, die sich neu mit dem Coronavirus angesteckt haben. Von einem Hotspot im Kreis zu Beginn der Pandemie hat sich die Stadt – nach Ihren Angaben – zu einem relativ coronafreien Gebiet gewandelt. Worauf führen Sie das zurück?

Ich glaube, es war einfach die sehr große Disziplin der Menschen in unserer Stadt. Wir hatten auch von den Polizeiberichten her nicht wirklich größere Probleme mit Verstößen, es gab fast nur Kleinigkeiten zu verzeichnen. Die Vernunft und die Disziplin waren mit das Ausschlaggebende. Die Menschen hatten selber ein Interesse, sich und andere zu schützen.

Auf dem Wochenmarkt heißt es bereits wieder, es geht auch ohne Maske zum Einkauf. Wie viel Normalität verträgt Radolfzell?

Ich schaue jeden Tag mit großer Vorsicht den Lagebericht aus dem Landkreis an, um zu beurteilen, wie sich die Fallzahlen entwickeln. Aber die Entwicklung in Radolfzell mit keinem Neuinfizierten seit fast einem Monat und inzwischen auch mit ganz gering steigenden Zahlen im ganzen Landkreis zeigt, dass man mit der vorhandenen Vorsicht, wie sie die Bürger an den Tag gelegt haben, eigentlich eine gewisse „neue Normalität“ auch leben darf.

Sie sagen, die Radolfzeller verhielten sich meist vernünftig und würden die Regeln der Corona-Verordnung einhalten. Aber die Verwaltung hat auch Bußgelder verhängt. Wie hoch werden die Einnahmen sein?

Das kann man noch nicht abschätzen. Da wird auch noch das eine oder andere Verfahren vor Gericht gehen. Es gab zwar einige wenige hohe Bußgeldandrohungen und Bescheide, aber die Einnahmen werden nicht die Probleme, die wir im Haushalt haben, decken können.

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Wie hoch war die höchste Bußgeldandrohung und für welches Vergehen?

Es gab gegen Gastronomen wegen Verstößen gegen das Betriebsverbot je nach Schwere des Falles Bußgeldbescheide von 3000 bis zu 25000 Euro. Zumeist aber waren es Bescheide wegen Zuwiderhandlungen gegen Aufenthaltsverbote, die mit 500 Euro bis zu 1000 Euro bei Uneinsichtigkeit oder im Wiederholungsfall geahndet wurden. Grundsätzlich galt die Maßgabe, bei Vernunft und Einsicht oder Unkenntnis keine Bußgelder zu erheben. Erst bei Uneinsichtigkeit und Wiederholungen sollte die Bandbreite der Strafandrohungen entsprechend ausgenutzt werden.

Wie viele Beschäftige der Stadtverwaltung arbeiten im Homeoffice?

Wir hatten etwa 50 Homeoffice-Plätze vor der Krise, wir haben jetzt noch einmal 50 Lizenzen dazu gekauft. Ich würde sagen, von denjenigen die ihre Arbeit überwiegend am Schreibtisch erledigen, ist über die Hälfte in der Lage, Homeoffice zu machen.

Klappt das alles und ist die Technik ausreichend?

Am Anfang haben wir schon noch die kleinen Schwierigkeiten gespürt. Der Server war erst nicht ausreichend für die neuen Anwendungen, es musste das eine oder andere neu installiert werden, aber das war binnen weniger Tage erledigt. Da hat die Verwaltung schnell reagiert. Wir hatten Mitarbeiter, die Bedenken hatten, wenn sie in einem Zweierbüro saßen, in manchen Bereichen haben wir Schichtdienst eingerichtet, die einen kamen früh, die anderen spät. Manche haben das Homeoffice auch zur Kinderbetreuung genutzt.

Waren Sie mit der Qualität der Arbeit im Homeoffice zufrieden?

Da sehe ich nicht so viel, was da aus dem Homeoffice zurückkommt. Das ist ja über das ganze Haus verteilt. Ich kann es aus dem direkten Umfeld sagen, wenn Pressestelle oder Führungskräfte von zu Hause aus gearbeitet haben, dann war die Arbeit in der gleichen Qualität wie immer.

Die Schulen sind von heute auf morgen in die digitale Zukunft geworfen worden. Da hat sich gezeigt, an den technischen Voraussetzungen hapert es noch gewaltig. Was wird die Stadt Radolfzell als Schulträger da tun?

Wir sind dran, die letzten Medienentwicklungspläne von den Schulen einzuholen, damit wir eine zukunftssichere digitale Infrastruktur schaffen. Dann wollen wir endlich die großen Summen, die der Bund ausgelobt hat, auch alle abrufen. Ich glaube, man wird noch einmal eine ganz andere Digitalisierungsstrategie in den Schulen fahren müssen. Am meisten werden wir tatsächlich die Veränderung in der Schullandschaft spüren. Auch in Anbetracht des Lehrermangels wird die Digitalisierung in den Schulen einen gewaltigen Schub auslösen. Das wird vielleicht auch manche Schulerweiterung nicht mehr nötig machen, weil wir die Räume gar nicht mehr brauchen, wenn von zu Hause aus gelernt wird.

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Ich glaube, die Schüler wollen lieber in die Schule zum Unterricht.

Das ist auch gut so. Ich habe viele Schüler gehört, die gesagt haben, wann darf ich wieder in die Schule. Normalerweise kennt man das eher umgekehrt. Die Sozialkontakte sind wichtig. Das wird auch so bleiben. Aber ein Teil des schulischen Lernens wird sich verändern.

Es gibt die Schulmittelfreiheit, wäre die Stadt als Schulträger da nicht gefordert, jedem Schüler einen Computer sei es als Tablet oder Notebook zur Verfügung zu stellen?

Ich denke, das wäre der richtige Weg. Es bedarf dann einfach mehr der sogenannten Schulbetriebsmittel, die vom Land an die Kommunen überwiesen werden. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass irgendwann neben den klassischen Büchern tatsächlich ein digitales Gerät zur schulischen Ausstattung gehören wird, die dann der Schulträger über die Schulbetriebsmittel stellt. An dieser Lernform führt kein Weg mehr vorbei. Es wird einen Quantensprung geben müssen.

Die Corona-Krise ist auch eine Krise der Wirtschaft. Der Stadt brechen Steuereinnahmen weg. Kann und wird die Stadt ihren Auftrag, antizyklisch zu handeln – also gerade jetzt richtig Geld ausgeben und investieren, nachkommen?

Wir haben schon ein kleines Konjunkturprogramm für das Handwerk angeworfen. Wir hatten die Haushaltsgenehmigung noch nicht im Hause, da habe ich schon alle Mittel freigegeben, die wir im Haushalt für Instandhaltungsmaßnahmen haben. Damit alle Unterhaltungsarbeiten die wir angedacht haben, auch beauftragt werden. Gerade in Schulen und Kindergärten, so lange sie geschlossen sind. Wir werden aber mit Sicherheit nicht alle Projekte im Investitionshaushalt bewältigen. Der ist mit 31 Millionen Euro auch überfrachtet, wir werden vielleicht 12 bis 15 Millionen schaffen.

Konkret: Werden die Schulen mit dem nötigen technischen Equipment ausgerüstet, wird die Markolfhalle, das Pflegeheim und der Kunstrasenplatz gebaut?

Die Schulen ja, soweit sie den Medienentwicklungsplan haben und wir die Bundesgelder abrufen können. Der Fokus liegt dabei auf der Infrastruktur für digitales Lernen. Im Gymnasium läuft dazu bereits die Anschaffung für den neuen Server, dort ist über die Jahre auch über die Schulbetriebsmittel einiges angespart worden. Auch an der Gemeinschaftsschule wird es Investitionen in einen neuen Server geben, um den Schulbetrieb in Corona-Zeiten zu gewährleisten. Die Markolfhalle wird auf jeden Fall weiter geplant, Markelfingen braucht eine Halle, das ist mehr wie klar. Für den Neubau des Pflegeheims haben wir noch keine Genehmigung des Wirtschaftsplans. Da gibt es immer noch Fragen des Regierungspräsidiums zur Finanzierung. Der Kunstrasenplatz wird dieses Jahr nicht kommen, da laufen erst die Planungen und Anhörungsverfahren.

Mit wie viel Steuereinnahmen weniger rechnen Sie für Radolfzell?

Bei der Gewerbesteuer sind wir nach jetzigem Stand etwa 30 Prozent unter unserem Ansatz. Sehr viele Unternehmen haben die Vorauszahlung auf Null gesetzt. Das dürfen sie aufgrund einer Entscheidung des Bundes tun, führt aber bei uns zu einer wesentlich geringeren Einnahme. Bei den anderen Steuern können wir es noch nicht sagen, wir müssen die Steuerschätzung abwarten.

Rechnen Sie mit zusätzlichen Geldern von Bund und Land für ein Corona-Investitionsprogramm 2021?

Städte- und Gemeindetag verhandeln mit Land und Bund. Wir glauben, dass es zielgerichtet vom Land noch Hilfen geben wird und dass es ganz gezielt Konjunkturprogramme geben könnte. Das wird nicht die Baubranche sein, die boomt ohnehin noch. Es werden andere Wirtschaftszweige sein, es werden eher Branchen sein, die der Digitalisierung oder dem Klimaschutz Vorschub leisten. Da sind viele Investitionen nötig.

Sie leiten den Krisenstab in Radolfzell, Sie sind im Krisenstab des Landkreises – wie sieht Ihr Urteil aus: Haben Bundes- und Landesregierung in den vergangenen Monaten einen guten Job gemacht?

Ich würde sagen, der Kanzlerin ist es gelungen, eine gewisse Gemeinsamkeit zwischen Bund und Ländern herauszustellen. Die Bundesregierung hat in ihren Entscheidungsbereichen, was die Themen Gesundheit und die Grenzen angeht, richtig gehandelt. Die Ministerpräsidenten haben, allen voran Winfried Kretschmann und Markus Söder aus Bayern, eine leitende Rolle in diesem Thema übernommen. Bis auf ein paar Kleinigkeiten glaube ich schon, dass unser Land den richtigen Weg beschritten hat. Da würde ich ein positives Zeichen Richtung Stuttgart senden wollen. Auch hier im Kreis macht der Landrat einen guten Job. Die Zusammenarbeit funktioniert sehr gut. Ein dickes Lob muss ich den Krankenhäusern machen, die Mitarbeitenden in den Kliniken im Kreis Konstanz haben richtig gute Arbeit geleistet und tun es immer noch.

Gibt es Erkenntnisse, dass man das Krankenhaus Radolfzell anders oder neu aufstellen müsste im Gesundheitsverbund?

Corona-Fälle hat man nur in Konstanz und Singen aufgenommen. Radolfzell konnte sich auf Dinge konzentrieren, die man in den beiden großen Häusern in dieser Zeit nicht behandeln wollte. Man war sehr froh um dieses Krankenhaus, indem man noch normal weiterarbeiten konnte.

Gibt es Punkte während dieser Krise, die sie heute im Rückblick für Radolfzell anders entscheiden würden?

Im Großen und Ganzen haben wir richtig entschieden. Auch dass wir zum Beispiel unser Seeufer im Gegensatz zu den meisten Gemeinden am Nordufer des Bodensees offen gehalten haben.

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Die meiste Aufregung gibt es bei der Maskenpflicht.

Nun gut, sie sind ja auch nicht angenehm beim Tragen. Ich musste mich auch daran gewöhnen. Es ist ungewohnt, aber es lässt sich aushalten. Wenn man sieht, dass es andere machen, fällt es einem selber auch leichter.

Der Eindruck kommt auf, dass Geduld und Solidarität zumindest in Teilen der Bevölkerung langsam aufgebraucht sind. Kommt von diesem Unmut etwas bei Ihnen an?

Ja natürlich. Wir bekommen die eine oder andere E-Mail, die nicht im feinsten Stil geschrieben ist und die eher Unverständnis zeigt für die Maßnahmen, egal, ob sie von Stadt oder vom Land getroffen worden sind. Aber die Radolfzeller, so ist mein Eindruck, sind auch hier vernünftiger als andere.

Was entgegnen Sie Verschwörungstheoretikern, Impfgegnern und Empörungsbürgern, wenn diese behaupten, das Coronavirus sei gar nicht so gefährlich und die Einschränkungen seien reichlich übertrieben?

Das ist in der Demokratie erst einmal eine freie Meinungsäußerung, die man haben darf. Vielleicht schadet es ja auch nicht, dass es diese Meinung gibt. Weil man in der Demokratie dann als Entscheider auch wieder abwägen muss. Wenn es diese Stimmen nicht gäbe, würde man vielleicht nicht mehr abwägen. Ich bin auch kein Befürworter einer Impfpflicht. Das darf und sollte jeder für sich selber entscheiden. Wer diesen Schutz nicht will, der soll ihn halt nicht haben. Alles andere ist für mich weit weg, vielen Verschwörungstheorien kann ich logisch nicht folgen. Ich denke, dass es für viele Menschen eine Bewältigungsstrategie ist. Die brauchen eine andere Wahrheit, die ihnen erklärt, warum die Lage gerade so schlimm ist. Manches ist weit überzogen.

Bei Ihnen hat auch noch nicht die Weltregierung angerufen?

Nein, Bill oder Melinda Gates übrigens auch nicht.