Die Vertreter aus Politik und Gemeinderat haben die Entwicklung befürchtet, dennoch schmerzt sie. Allerdings geben sie den Wettbewerb um den Neubau-Standort einer zweiten Klinik nicht verloren, Radolfzell sei schließlich die geographische Mitte im Kreis.

Nese Erikli sieht Standort Radolfzell für Neubau als Option

Abgeordnete Nese Erikli (Grüne)
Abgeordnete Nese Erikli (Grüne) | Bild: Grüne BW

Die Grünen-Landtagsabgeordnete Nese Erikli sieht die mögliche Schließung des Krankenhauses für Radolfzell als schweren Verlust. Es sei bekannt, dass der Klinikverbund seit Jahren rote Zahlen schreibe, so Erikli. „Mit Blick auf eine gesicherte Versorgung sollte ein möglicher Neubau für den Kreis auch in der Mitte des Landkreises, der von allen Teilen aus gut erreichbar ist, geprüft werden. Insofern kommt für mich die Überlegung Radolfzell als Standort ebenso in Betracht“, lässt die Landtagsabgeordnete für den Wahlkreis Konstanz-Radolfzell mitteilen. Auch das Land habe in den vergangenen Jahren große finanzielle Anstrengungen unternommen, um eine bestmögliche Versorgung in der Region zu erreichen. Hier erwähnt Erikli den Neuaufbau der Radolfzeller Geburtshilfe.

Lina Seitzl möchte eine breite Diskussion in der Bevölkerung

Abgeordnete Lina Seitzl (SPD)
Abgeordnete Lina Seitzl (SPD) | Bild: SPD

Für eine breite Diskussion innerhalb der Bevölkerung plädiert Lina Seitzl, SPD-Bundestagsabgeordnete. Sie habe ein hohes Vertrauen in das Gutachten, vor allem auch weil es die medizinische Seite ausreichend berücksichtige. Dennoch sei es jetzt entscheidend, die Konsequenzen mit den Bürgerinnen und Bürgern zu diskutieren. Hierfür habe die SPD im Kreistag auch einen Antrag auf die Einrichtung eines Bürgerforums gestellt. Auch die Standortfrage eines etwaigen Neubaus solle laut Seitzl ergebnisoffen diskutiert werden. „Wichtig sind nicht Gemarkungsgrenzen, sondern eine geeignete Fläche und die ideale Anbindung an den Seehas und die B 33“, sagt die Bundestagsabgeordnete.

Der Förderverein möchte für den Standort Radolfzell kämpfen

Johannes Kögel, Vorsitzender des Krankenhaus-Fördervereins, versucht die Lage pragmatisch zu sehen. Die Entscheidung, das Radolfzeller Krankenhaus schließen zu müssen, sei nicht überraschend, aber enttäuschend. Die Fehlentscheidung aus dem Jahr 2002 müsse man jetzt auch nicht „bejammern, das ist jetzt so“. Das Ziel für den Förderverein werde es sein, das Radolfzeller Klinikum so lange wie möglich offen zu halten, mindestens bis ein geplanter Neubau zur Verfügung stehe. „Auch möchten wir dafür kämpfen, dass dieser nah an Radolfzell gebaut wird“, so Johannes Kögel.

Ehemaliger Chefarzt sieht Schließung von langer Hand geplant

Chefarzt Wolf-Rüdiger Klare
Chefarzt Wolf-Rüdiger Klare | Bild: Becker, Georg

Die Reduzierung des Angebotes und nicht getätigte Investitionen waren Teil des Plans, das Krankenhaus Radolfzell zu schließen. Davon ist Wolf-Rüdiger Klare, ehemaliger Chefarzt und Diabetologe am Radolfzeller Krankenhaus, überzeugt. 36 Jahre lang hat er in Radolfzell gearbeitet und vor allem die Diabetes-Abteilung aufgebaut. „Wir hatten damals gute Erfahrungen mit der Leitung der Helios-Kliniken gemacht und wir Ärzte aus Radolfzell waren einstimmig der Meinung, lieber weiter mit Helios zusammenzuarbeiten“, erinnert sich Klare. Nach dem Beitritt zum Gesundheitsverbund sei im Radolfzeller Krankenhaus systematisch gespart worden. Klare habe mit viel Engagement die Diabetologie in Radolfzell aufgebaut, viel Unterstützung vom Klinikverbund habe er dabei nicht bekommen, erinnert er sich.

Und auch heute noch werde die Abteilung erfolgreich betrieben, die Fallzahlen seien stets gestiegen, die Einnahmen ebenfalls. „Die Zertifizierung ist in Radolfzell kein Problem und die Ausbildung in diesem Bereich ist auf höchstem Niveau“, so Klare. Und in der Tat wurde das Radolfzeller Krankenhaus 2020 erst vom unabhängigen Portal Treatfair zu einem der 100 beliebtesten und attraktivsten Arbeitsplätze von Assistenzärzten in ganz Deutschland gelistet. Die Klinik für Innere Medizin am Hegau-Bodensee-Klinikum Radolfzell landete auf Platz 56 der bundesweiten Top-100-Liste, in der Größenkategorie bis 150 Betten sogar auf Platz fünf.

Jürgen Keck (FDP) kritisiert verpasste Profilierung

FDP-Stadtrat und Kreisrat Jürgen Keck.
FDP-Stadtrat und Kreisrat Jürgen Keck. | Bild: Becker, Georg

Die FDP reagiert mit gemischten Gefühlen auf die Turbulenzen im Gesundheitsverbund. Stadtrat Jürgen Keck räumt ein: „So wirklich überraschend kommen die Nachrichten nicht. Spätestens mit der Diskussion und dem Abbau der Geburtenstation wurde ersichtlich, dass das Radolfzeller Haus bereits damals politisch zerrieben wurde.“ Als Kreisrat der FDP war er mit der Thematik befasst und als ehemaliger sozialpolitischer Sprecher der Liberalen habe er im Stuttgarter Landtag für den Erhalt der Geburtshilfe gekämpft. Seine Fazit: „Es wurde schlichtweg verpasst, eine Profilierung des Radolfzeller Krankenhauses vorzunehmen, was im Haus mit der Geriatrie und Diabetologie aus eigener Kraft erfolgreich etabliert wurde. Der Fokus lag stets auf Konstanz und Singen.“

Die FDP sei enttäuscht, dass es kaum Fürsprache und Einsatz für das Radolfzeller Krankenhaus gegeben habe. „Wissentlich wurde die Auslastung des Klinikums heruntergefahren, statt dauerhaft einen wirtschaftlichen Betrieb sicherzustellen“, kritisiert Keck die Verantwortlichen im Gesundheitsverbund. Nur während der Pandemie habe man auf die „Reserve“ Radolfzell zurückgegriffen. Keck rechnet nicht damit, dass das Haus erhalten werden könne. Es gelte, jedem Bürger eine wohnortnahe Klinikstruktur zu bieten. „Wir gehen davon aus, dass es neben dem Konstanzer Klinikum zukünftig ein weiteres Kreiskrankenhaus geben wird, das im westlichen Hegau angesiedelt ist“, sagt Keck.

Ob es zu einer Sanierung des Klinikums in Singen komme oder ob es vertretbarer sei, einen Neubau zu errichten, müsse die weitere Debatte zeigen. Ausgeschlossen ist es für Keck allerdings nicht, dass Radolfzell den Zuschlag für das neue Haus bekommen könnte: „Radolfzell wäre ein geeigneter Ort, um die Erreichbarkeit aus allen Richtungen zu gewährleisten. Es gibt genügend große Flächen für einen Neubau eines Krankenhauses, ich denke da beispielsweise an Standorte im Raum Böhringen.“

Siegfried Lehmann (FGL) fordert Neubau zwischen Radolfzell und Singen

Siegfried Lehmann, der Vorsitzende der FGL-Fraktion im Gemeinderat, ist von den aktuellen Entwicklungen nicht überrascht: „Die Sache ist ja seit Jahrzehnten eigentlich auf einer Talfahrt.“ Angefangen habe es schon im Jahr 2002, als man sich gegen eine Führung des Krankenhauses durch den Gesundheitskonzern Helios und für einen kommunalen Zusammenschluss Hegau-Bodensee-Hochrheinkliniken entschieden habe. Damit sei das Radolfzeller Krankenhaus zu einer „Resterampe“ geworden, im Gegensatz zu den Standorten in Singen und Konstanz sei nicht investiert worden. „In Radolfzell wurde nur weggenommen“, sagt Lehmann. Zudem gebe es kaum noch Landkreise mit vier Krankenhäusern, der Landkreis Konstanz sei da eine Ausnahme. Nun schaut Lehmann in die Zukunft: Die zentrale Aussage des Gutachtens sei es, dass der Kreis ein zentrales großes Krankenhaus braucht. Ein neuer Standort könne nicht abgelegen „hinter dem Hohentwiel“ sein, „der muss zwischen Singen und Radolfzell liegen“, fordert Lehmann.

Norbert Lumbe (SPD) spricht von falschen Versprechungen

Norbert Lumbe, Fraktionsvorsitzender der SPD, wirkt gefasst, aber nachdenklich: „Dieses Gutachten ist eine bittere Pille für Radolfzell.“ Dabei sei von vielen Seiten immer wieder versprochen worden, man wolle auf den Standort nicht verzichten. „Das Gutachten kommt jetzt zu einem ganz anderen Ergebnis.“ Auch Lumbe spricht sich für einen neuen Standort zwischen Radolfzell und Singen aus, wenn eine neue Klinik gebaut wird. Wichtig sei es nun, dass der Gemeinderat eine starke gemeinsame Position ausbaue, was mögliche Zukunftsperspektiven und die Erreichbarkeit einer neuen Klinik angehe. Lumbe: „Wir aus Radolfzell müssen eine starke Stimme haben, damit wir nicht untergehen.“

Dietmar Baumgartner (Freie Wähler) sieht Fehlentscheidung im Jahr 2002

Deutlich wird der Vorsitzende der Freien-Wähler-Fraktion, Dietmar Baumgartner: „Ich bin ziemlich konsterniert“, teilt er mit. Als Radolfzeller sei er der Meinung, „als große Kreisstadt kann es eigentlich nicht sein, dass es hier kein Krankenhaus gibt.“ Ebenso wie Siegfried Lehmann kommt er auf die Entscheidung von 2002 zu sprechen, nicht mit Helios weiterzumachen. Diese räche sich nun. „Da hat man eigentlich nichts mehr zu sagen gehabt“, bedauert er den Schritt. „Mir stinkt es, dass wir damals zu wenig vorausschauend waren.“ Investitionsstaus im Gesundheitsverbund seien auf dem Rücken des Radolfzeller Krankenhauses gelöst worden. „Jetzt ist die Frage: Was kann man noch retten?“

Bernhard Diehl (CDU) sagt, Schließung war zu erahnen

Bernhard Diehl, Vorsitzender der CDU-Fraktion im Radolfzeller Gemeinderat, erwartet nun, dass der Gesundheitsverbund das Gespräch mit der Stadt sucht. Von Radolfzell erwartet er ebenfalls, sich aktiv in die Diskussion um einen möglichen neuen Krankenhausstandort einzubringen. „Radolfzell liegt einfach in der Mitte des Landkreises.“ Und durch die B 33 sei die Stadt verkehrstechnisch gut angebunden. Die Schließung des Krankenhauses Radolfzell ist in Bernhard Diehls Augen „eine Hiobsbotschaft“, die zu erahnen gewesen sei, etwa, weil in den Standort nicht viel investiert wurde und dann etwa mit der Geburtenstation auch Kompetenzen abgebaut wurden. Diehl glaubt: „Sicherlich war es ein Fehler, kein Mitspracherecht im Verbund zu haben.“