Sein großer Traum war die Freiheit Tibets. Erleben durfte er es nicht mehr, aber die Hoffnung lebt weiter. In einem seiner vielen Interviews, die er dem SÜDKURIER gab, sagte Tashe Thaktsang einmal: „Meine feste buddhistische Überzeugung ist, dass das Beständigste auf Erden der Wandel ist.“ Deshalb sei es auch nur eine Frage der Zeit, bis sich in China selbst etwas wandelt und die Menschen Tibets in Freiheit leben können.

Im Alter von 70 Jahren ist der Radolfzeller Mediziner gestorben. Er stammte aus der tibetischen Hauptstadt Lhasa. Bekannt wurde er nicht nur unzähligen Menschen, die er im Laufe von 42 Jahren als Arzt behandelte. Auch zahlreiche Exil-Tibeter in der Schweiz und in Deutschland fanden in ihm einen Mitstreiter, eine starke Stimme, die sich leidenschaftlich für die Sache einsetzte – sowohl politisch als auch menschlich, sozial und finanziell, etwa mit dem Aufbau des Delek-Hospitals in Nord-Indien, in dem Menschen aus Tibet Hilfe finden.

Auf Pekings Schwarzer Liste

Außergewöhnlich war schon der Lebensweg Thaktsangs, der im Alter von sieben Jahren mit seiner Mutter aus Lhasa nach Indien fliehen musste. Sein Vater kämpfte im Widerstand gegen die chinesische Übermacht, deshalb stand seine Familie auf der Schwarzen Liste Pekings. Die Nacht, in der sie flohen, sollte er nie vergessen. Es war der 6. März 1959, als seine Mutter ihn mit den Worten weckte: „Mein Augenstern, wir müssen sofort gehen.“ Auf einem Lastwagen ging es zur indischen Grenze in Sicherheit.

Der zweijährige Tashe mit seiner Mutter in Tibet.
Der zweijährige Tashe mit seiner Mutter in Tibet. | Bild: Fricker, Ulrich

In seiner Praxis in Radolfzell hing ein anrührendes Bild aus seiner tibetischen Kindheit. Darauf steht seine Mutter in tibetischer Tracht, daneben der kleine, damals zweijährige Tashe auf einem Klappstuhl – damit der Fotograf die beiden irgendwie auf Augenhöhe vor sich hatte.

Gewaltfreier Geist

Es war das Denken, die Kultur, der gewaltfreie Geist Tibets, die Tashe Thaktsang auf seinem weiten Weg mit nach Deutschland mitnahm. Gemeinsam mit seiner Mutter lebte er zunächst im Pestalozzi-Kinderdorf Wahlwies, wo er, wie er gern bemerkte, das Glück hatte, mit Menschen aufzuwachsen, „die mich stets ermuntert haben, mich mit meiner Herkunft auseinanderzusetzen“.

Er machte das Abitur, studierte Medizin, promovierte, arbeitete in der Klinik und machte sich mit einer Praxis in Radolfzell selbstständig. Medizin war seine Profession, um anderen Menschen zu helfen, seine Kontakte reichten bis zum Dalai Lama. Fachlich machte er sich über die Grenzen hinaus einen Namen unter anderem mit der Traditionellen Chinesischen Medizin.

Wer den Arzt Tashe Thaktsang kannte, war angetan von seinem oft ruhigen, freundlichen Wesen und seiner großen Kompetenz. Dass Körper und Geist im Buddhismus eine Einheit bilden, spiegelte sich auch im Umgang mit seinen Patienten, deren inneres Gleichgewicht ihm als Grundlage für einen gesunden Körper galt.

Seine Leidenschaft galt der Hilfe und Unterstützung der armen Bevölkerung im Norden Indiens, wohin auch viele Tibeter geflüchtet waren. Zusammen mit seiner Frau, der promovierten Juristin Margarete Thaktsang-Schall, und zwei befreundeten Paaren begann er, das Delek-Hospital im Himalaya-Vorland finanziell zu unterstützen. Inzwischen sind zahlreiche weitere Spender hinzugekommen.

Tashe Thaktsang (2.v.l.) arbeitet während seiner freien Zeit im Delek-Hospital in Tibet. Gemeinsam mit seiner Frau und weiteren Helfern ...
Tashe Thaktsang (2.v.l.) arbeitet während seiner freien Zeit im Delek-Hospital in Tibet. Gemeinsam mit seiner Frau und weiteren Helfern baute er das Haus auf. | Bild: Tashe W. Thaktsang

Das Krankenhaus bezeichnete er als „Segen für die ganze Region“. Jährlich würden darin 20.000 Menschen ambulant und 1200 stationär versorgt, ein Schwerpunkt ist der Kampf gegen Tuberkulose. Auch Tashe Thaktsang arbeitete dort, wenn andere Urlaub machten.

„Wir haben den Grundstein gelegt, der sich nun zum Wohle anderer weiterentwickeln kann“, sagte er vor wenigen Jahren zur Entwicklung des Krankenhauses. An Ruhestand dachte er lange nicht, bis ihn eine schwere Krankheit dazu zwang.

Die Trauerfeier ist am Mittwoch, 18. Mai, 10.45 Uhr auf dem Hauptfriedhof in Konstanz. Statt Blumen werden Geldspenden erbeten zur Unterstützung des von Tashe Thaktsang mit aufgebauten tibetischen Flüchtlingskrankenhauses Delek Hospital in Dharamsala, Indien. Friends of Delek Hospital, Spendenkonto: IBAN DE04 6925 0035 1055 0370 38 BIC: SOLADESISNG, Kennwort Dr. med. Tashe Thaktsang