Hildegard Gallenschütz, Leiterin der Tafel Radolfzell, bringt die Situation auf den Punkt: „Es brennt, und zwar heftig.“ Der Kundenandrang bei der Tafel habe zuletzt stark zugenommen, was nicht nur die Versorgung erschwert, sondern auch die ehrenamtlichen Mitarbeiter an ihre Grenzen bringt. Alleine am vergangenen Freitag, 8. Juli, gab es 28 Neuaufnahmen.
Das hat nun Folgen: Die Tafel Radolfzell hat einen Aufnahmestopp verhängt, mehr Kunden als zum aktuellen Zeitpunkt können nicht mehr versorgt werden. „Es bleibt nichts anderes übrig“, bedauert Gallenschütz. Der Standort Radolfzell ist damit der zweite Standort im Landkreis, der die Reißleine zieht, auch Konstanz kann keine Neukunden mehr aufnehmen.
Gleich mehrere Faktoren spielen eine Rolle
Wie massiv die Belastung in den vergangenen Monaten zugenommen hat, zeigen Zahlen, die Udo Engelhardt, Vorsitzender der Tafeln im Kreis Konstanz, zusammengetragen hat. Demnach hatte die Tafel Radolfzell im Februar dieses Jahres noch 213 Kunden, im Mai waren es waren es dann 386 – das ist eine Steigerung von 81,2 Prozent.
Verantwortlich dafür sei zum einen der Ukraine-Krieg. Laut Hildegard Gallenschütz sind derzeit 180 Geflüchtete aus dem Land Kunden bei der Tafel Radolfzell. Ende Juni wurde die Mettnau-Halle zur Notunterkunft umfunktioniert, dadurch kamen weitere Ukrainer nach Radolfzell.
Weil sie zu Beginn noch keine Grundsicherung hätten und die Beantragung eben seine Zeit daure, kämen sie vermehrt zur Tafel, so Udo Engelhardt. Außerdem gebe es noch weitere Faktoren, die für mehr Kunden sorgen, etwa Inflation, Kurzarbeit und die Erhöhung der Energiekosten.

Dabei ist Radolfzell kein Einzelfall, es treffe den Standort aber hart, so Udo Engelhardt. Eine landesweite Umfrage, an der sich 80 von 147 Tafeln beteiligt hatten, ergab eine Gesamtkundenzunahme von 49 Prozent zwischen Februar und Mai. Der Anteil an Kunden aus der Ukraine lag im Mai bei 39 Prozent.
Die Hilfsbereitschaft lässt nach
Durch die vielen Kunden erhöht sich auch der Bedarf. Die Tafel braucht viel mehr Ware, um alle versorgen zu können, zumal zu einem Kunden oftmals eine ganze Familie gehört. „Wir haben zwar keine Vollversorgung, wir sind nur unterstützend da“, sagt Hildegard Gallenschütz. Dennoch wolle die Tafel den Bedürftigen dabei helfen, ihre Lebensunterhaltskosten zu senken. „Aber ich habe die Befürchtung, dass wir sie nicht mehr gut versorgen können.“
Denn nachdem zu Beginn der Ukraine-Krise, als Gallenschütz einen Hilfeaufruf gestartet hatte, viel an die Radolfzeller Tafel gespendet worden sei, lasse die Hilfsbereitschaft nun nach. „Es kommt nicht mehr so viel Ware wie direkt nach den Aufruf“, berichtet die Leiterin der Tafel. Udo Engelhardt präzisiert: „Es gibt schon noch mehr Unterstützung als vor der Ukraine-Krise. Aber gemessen an der Steigung der Kundenzahlen kann das das nicht kompensieren.“
Mitarbeiter kommen an ihre Grenzen
Hinzu komme, dass der große Andrang auch die Mitarbeiter an ihre Grenzen bringe. Seit Anfang Juli habe die Tafel wieder zweimal in der Woche geöffnet, weil der neue Container-Laden, der das alte Verkaufszelt ersetzt, dies zulasse.
„Wir dachten, dass das eine Entspannung bringt, weil sich die Kunden dann auf zwei Tage aufteilen“, sagt Hildegard Gallenschütz. Stattdessen seien nun noch neue Kunden dazu gekommen. Die Kapazitäten sind dadurch erschöpft: „Wir schaffen das einfach nicht mehr.“
Zudem habe die aktuelle Situation auch noch weitere negative Folgen: Der zwischenmenschliche Kontakt habe abgenommen, weil keine Zeit mehr dafür bleibt. Früher hätten die Mitarbeiter mit den Kunden plaudern können, sagt Udo Engelhardt. Die Begegnung mit Menschen, die oft ja auch in einer Notsituation seien, sei nun aber nicht mehr in der üblichen Form möglich. „Es ist Fließbandarbeit im Moment“, bedauert Hildegard Gallenschütz.
In Kontakt mit der Politik
„Wenn weitere Krisen dazu kommen, sind alle Tafeln am Ende“, sagt Udo Engelhardt. Von politischer Seite sieht er die Not einer Erhöhung der Grundsicherung, um die Situation zu entschärfen. „Über Einmalzahlungen lässt sich die Armut nicht bekämpfen“, sagt er. Und weil gerade Gemüse und Obst teurer geworden seien, könnten sich bedürftige Menschen auch keine gesunde Ernährung mehr leisten. „Mit der Politik sind wir schon in Kontakt, auch über den Landesverband“, sagt er.