Während Deutschland über eine schrumpfende Bevölkerung und Fachkräftemangel in den kommenden Jahren und Jahrzehnten klagt, wird Radolfzell wachsen. Bis 2030 soll die Bevölkerungszahl laut einer Vorausberechnung von derzeit 31.656 um elf Prozent auf 35.040 Bürger im Jahr 2030 steigen. Zwar wird es vor allem deutlich mehr ältere Menschen geben, doch auch die Zahl der Erwerbsfähigen wird deutlich zunehmen.
So wird die Zahl der 19- bis 24-Jährigen um elf Prozent von 1815 auf 2023 steigen. Die Zahl der 50- bis 67-Jährigen hingegen wird von 8853 Menschen um etwa 200 auf 8691 sinken, was sich für den Arbeitsmarkt ausgleicht. Doch die für den Arbeitsmarkt wichtigsten Altersgruppe zwischen 25 und 49 Jahren zählt im Jahr 2030 voraussichtlich 10.560 Radolfzeller statt wie bislang 9302.
Es sollten also etwa 1200 zusätzliche, potenzielle Arbeitnehmer vor Ort zur Verfügung stehen. Heißt das, die Radolfzeller Unternehmen hätten tatsächlich auch mehr Arbeitskräfte zur Verfügung? Und bereiten sich diese und die Wirtschaftsförderung bereits darauf vor?
Wirtschaftsförderung wagt keine genaue Prognose
Angesichts des demografischen Wandels schätzt die Wirtschaftsförderung der Stadt den Zuzug als grundsätzlich positiv für den Arbeitsmarkt ein, „da die ansässigen Firmen mehr Personal rekrutieren könnten“. Denn es sei klar, dass deutschlandweit aufgrund des demografischen Wandels 2030 etwa fünf Millionen Arbeitskräfte fehlen werden, wovon auch Radolfzell nicht verschont bleibe.
Zudem verweist die Wirtschaftsförderung auf die Studie „Arbeitsmarktprognose 2030“ des Bundesarbeitsministeriums. Diese beleuchtet, wie sich Zuwanderung und Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt bis 2030 auswirken könnten. „Digitalisierung und Zuwanderung können den demografischen Wandel abschwächen, aber langfristig nicht ausgleichen“, erklärt die Wirtschaftsförderung. Besonders betroffen seien auch in Radolfzell wichtige Branchen wie Gesundheitsberufe und der Einzelhandel.
Konkrete Auswirkungen für 2030 zu benennen, sei allerdings schwierig. „Eine Einschätzung, wie sich die Anzahl der Arbeitskräfte für Radolfzell entwickeln könnte, können wir nicht abgeben“, schränkt die Wirtschaftsförderung aber ein. Ein Problem sei aber ohnehin klar: Für potenzielle neue Arbeitskräfte müssten ausreichend Wohnung zur Verfügung stehen, so die Stadt.
Was sagen die Radolfzeller Unternehmen?
Auch ein Teil der größeren Radolfzeller Unternehmen beschäftigt sich damit, wie die Situation 2030 aussehen könnte – wenn auch vieles noch unklar sei. Auch die Firmen sehen ausreichend Wohnraum als wichtigen Schlüssel. Bei Schiesser liegt der Planungshorizont bei drei Jahren, so Geschäftsführer Andreas Lindemann. „Wir setzen uns im Jahr 2027 damit auseinander, was im Jahr 2030 sein könnte“, schreibt er. Unterstützung durch die Stadt erwarte man dabei nicht.
Auch Diana Ziegler aus dem Marketing von Allweiler antwortet, es sei „schwierig, eine langfristige Prognose abzugeben“. Man gehe aber davon aus, dass es auch in den kommenden Jahren eine Herausforderung sein wird, gut ausgebildete Fachkräfte in der Region zu gewinnen. Das Unternehmen wolle dazu unter anderem die Zahl der Ausbildungsplätze weiter erhöhen.
Dabei hoffe man auch auf Unterstützung der Politik: „Beschleunigte Genehmigungsverfahren und Bürokratieabbau, aber auch Verlässlichkeit im Hinblick auf die Energiepreise sind dabei von essentieller Bedeutung“, erklärt Diana Ziegler.
Hügli und Aptar fürchten vor allem Wohnraummangel
Nahrungsmittelhersteller Hügl geht von einer „angespannten Situation in Bezug auf Arbeitskräfte in 2030 aus“. Man plane daher, die interne Ausbildung auszubauen durch mehr Ausbildungsberufe. Auch hier könne die Stadt hilfreich sein. „Wir wünschen uns insbesondere Lösungen für die Themen Kinderbetreuung und Wohnraum“, so Daniel Olbrich, Leiter der Personalabteilung bei Hügli.

Die Pharmafirma Aptar berichtet, der demografische Wandel habe bis 2030 einen „entscheidenden Einfluss“ auf die Standorte in Radolfzell und Eigeltingen. Die Firma setzt daher laut eigener Aussage vor allem auf Schulkooperationen und den stetigen Austausch mit Mitarbeitenden nahe des Renteneintritts, um Potenziale zu binden und langfristig zu halten.
Mögliche Unterstützung könne die Stadt leisten, indem sie den Zuzug in die Region sichere. „Dies kann mehr Transparenz im Wohnungsmarkt sein, oder auch die Beschaffung von Arbeits- oder Aufenthaltsgenehmigungen“, erklärt Sabrina Maier aus der Personalabteilung im Hinblick auf internationale Mitarbeiter im Unternehmen.
Zudem erhoffe man sich weiterhin Unterstützung bei potenziellen Werkserweiterungen und deren Umsetzung. Ein weiterer Punkt sei die Ausweitung des Angebots an Kinderbetreuungsplätzen und die Anbindung mittels öffentlicher Verkehrsmittel.
Was tut die Stadt bislang für Firmen?
Bereits jetzt versucht die Stadt, die ansässigen Firmen zu unterstützen. Die Wirtschaftsförderung weist darauf hin, dass Radolfzell regional ein bedeutender Wirtschaftsstandort mit 1600 Betrieben und 14.000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätzen ist. Der Sicherung und dem Ausbau dieser Arbeitsplätze komme eine bedeutende Rolle zu.
Die Stadt unterstütze die Betriebe daher zum Beispiel, indem man Formate für den Erfahrungsaustausch zwischen den Unternehmen oder zur Vernetzung anbiete. Ein Beispiel sei die aktuelle Entstehung des Bodensee Instituts für Technologie (BIT), bei dem Radolfzell Gründungsmitglied ist. Er soll helfen, Fachkräfte in die Region zu holen und hier zu halten.
Zuletzt sei vor allem im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik sowie im verarbeitenden Gewerbe eine relativ große Entwicklung zu beobachten gewesen. Auf Basis der engen Zusammenarbeit mit dem Land Baden-Württemberg und deren Servicestelle Regio-Cluster-Agentur BW habe die Stadt sich die Wirtschaftsstruktur zuletzt noch einmal tiefergehend angeschaut. Dabei habe sich gezeigt, dass alle Branchen aktuell durchweg positive Entwicklungen zeigen.
Eine genauere Prognose für 2030 und wie künftig weitere Unterstützung aussehen könnte, nennt die Stadtverwaltung derzeit aber noch nicht.