Die Corona-Pandemie mag zwar das öffentliche Leben ausgebremst haben, neues Leben kann sie aber nicht stoppen. Doch werdende Eltern haben sorgenvolle Wochen hinter sich. Die Frage, wie und wo man sein Kind zur Welt bringen kann, ohne Gefahr zu laufen, sich mit dem Virus zu infizieren, aber gleichzeitig auch selbstbestimmt über die Geburt entscheiden zu können, treibt viele Eltern um.

Die Nachfrage steigt immer, nicht nur während der Pandemie

Die beiden Hebammen Heidrun Ullmann aus Radolfzell und Frederike Bohl aus Allensbach kennen diese Sorgen und hören sie regelmäßig bei ihren Besuchen der Familien, die Nachwuchs erwarten. Sie bieten seit der Schließung der Geburtenstation am Radolfzeller Krankenhaus vor drei Jahren Hausgeburten an. Die Nachfrage steigt von Jahr zu Jahr, doch sei sie jetzt besonders hoch, berichten die Geburtshelferinnen.

„Es melden sich viele Frauen, die auf einmal ihr Kind lieber daheim bekommen möchten, weil sie sich wegen des Coronavirus sorgen“, sagt Heidrun Ullmann. Vor allem die Nachrichten aus verschiedenen Krankenhäusern in ganz Deutschland, die während der Geburt keine Begleitperson mehr zulassen möchten, habe viele werdende Mütter verunsichert.

Das Team der Hebammen wird erweitert

Doch sind beide Hebammen bis Oktober bereits voll ausgelastet und freuen sich über ihre baldige Unterstützung. Rahel Stuhlmann aus Dettingen soll ab jetzt mit einsteigen und ebenfalls Hausgeburten begleiten. Die Nachfrage war auch ohne Pandemie steigend. Ullmann berichtet, sie haben im vergangenen Jahr etwa 30 Prozent mehr Geburten begleitet als noch 2018. Auch Frederike Bohl hat 2019 insgesamt 46 Hausgeburten durchgeführt, weitere sieben musste sie in ein Krankenhaus verlegen, weil medizinische Gründe dafür sprachen. 2018 hatte sie noch 33 Geburten begleitet.

Beratung gibt es jetzt digital

Ihre Arbeit in der Vor- und Nachsorge haben beide Hebammen ebenfalls anpassen müssen. Einige Besuche bei den Frauen fänden nun digital statt. „Vor allem wenn es um Aufklärung und Information geht, kann man vieles über Videochats machen“, sagt Frederike Bohl. Dies böten Hebammen schon seit einigen Jahren an, dies sei aber immer etwas kritisch bewertet worden. Doch mit der Corona-Krise hätten Krankenkassen schnell reagiert und diese Form der Betreuung akzeptiert.

Für praktische Hilfe und medizinische Untersuchungen würde man noch immer zu den Familien fahren. Das allerdings mit Mundschutz. Ihre Vorbereitungs- und Rückbildungskurse bietet die Hebamme aus Allensbach aktuell auch über Video-Gruppenchat an. „Das ist ganz lustig vor dem Laptop herumzuturnen, aber es war schon eine große Umstellung“, sagt sie. Eine richtige Kurs-Atmosphäre könne man nur schwer erzeugen, so dass sich alle wohlfühlen.

Weniger Sozialkontakte haben auch Vorteile

Doch hat die soziale Distanz auch eine positive Wirkung auf frischgebackene Mütter. „Wir erleben ein viel entspannteres Wochenbett, weil sich die Familien sehr auf sich konzentrieren und zur Ruhe kommen“, sagt Frederike Bohl. Auch der eingeschränkte Besuch direkt nach der Geburt sei für die Mütter und Babys nicht negativ. Im Gegenteil. „Das Stillen klappt bei vielen aktuell auf Anhieb viel besser als sonst“, sagt die Geburtshelferin.

Familien mit mehreren Kindern seien ebenfalls ihrem Eindruck nach gesünder als in den Monaten zuvor. Die älteren Geschwister hätten weniger grippale Infekte, weil sie nicht mehr mit anderen Kindern zusammen kämen. Durch das Homeoffice sei in einigen Familien der Vater länger zu Hause und auch das wirke sich positiv auf die Entwicklung des Neugeborenen aus.

Einsatz nur mit Mundschutz

Die Hebamme würden aktuell eine noch wichtigere Funktion in der Familie einnehmen. Da viele Frauen den Gang zum Kinderarzt meiden, würden sich die Anfragen bei den Geburtshelfern häufen. Doch viele der Familien würden auch an ihre Hebamme denken. „Auch wir haben Masken geschenkt bekommen“, sagt Frederike Bohl.

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Hebammen und Hausgeburten

  • In den Krankenhäusern im Landkreis Konstanz ist bei der Geburt eine Begleitperson nach wie vor gestattet. Diese darf über den gesamten Verlauf der Geburt im Kreißsaal bleiben. Jedoch ist das Hinausgehen während des Vorgangs nicht mehr gestattet. Also fallen Raucherpausen bei einer langen Wehenphase weg. Die Besuchszeiten nach der Entbindung können allerdings wegen der Pandemie stark eingeschränkt sein.
  • Hausgeburten: Im Landkreis Konstanz bieten aktuell nur Heidrun Ullmann, Frederike Bohl und seit neuestem auch Rahel Stuhlmann Hausgeburten an. Wer diese Form der Geburt in Erwägung zieht, sollte sich frühzeitig bei den Hebammen melden. Die meisten werdenden Mütter würden bereits kurz nach dem positiven Schwangerschaftstest Kontakt aufnehmen. Eine Hausgeburt kommt nicht für jede Frau in Frage. Wichtig ist, dass sie gesund ist und es sich nicht um eine Risikoschwangerschaft handelt.
  • Hebammenmangel: Nicht nur in Radolfzell, sondern in vielen anderen Städten in der Region gibt es zu wenig Hebammen, sodass die Versorgung von Schwangeren und Müttern nicht immer optimal gewährleistet werden kann. Viele freiberufliche Hebammen haben wegen der Erhöhung der Versicherungsprämie vor einigen Jahren den Beruf aufgegeben. Und auch in den Kliniken fehlt es an Personal. Seit Herbst 2019 wird die Ausbildung zur Hebamme als Studiengang an deutschen Hochschulen angeboten. Heidrun Ullmann und Frederike Bohl begrüßen diese Entwicklung und hoffen, dass mit dem Studium auch eine fundierte Forschung der Geburtshilfe durch Geburtshelfer und Geburtshelferinnen in Gang kommt.

Kontakt: Wer Interesse an einer Hausgeburt hat, kann sich auf der Homepage informieren: http://www.hebamme-ullmann.de