Der älteren Nachbarin ein paar Einkäufe vom Wochenmarkt mitbringen, war früher das Normalste der Welt. Dann wurde es ein Phänomen der ländlichen Idylle, bis diese Form der unkomplizierten Hilfsbereitschaft fast ganz verschwand. Die Nachbarn kennt man an vielen Orten maximal vom Grüßen. Oft nicht einmal das.

Je urbaner die Gegend, desto weniger Kontakt hat man zu den Menschen, die neben einem wohnen. Doch der Wunsch nach Nähe war die treibende Kraft hinter der Mögginger Nachbarschaftshilfe. Diese besteht mittlerweile seit fünf Jahren und hat sich vom kleinen Quartiersprojekt für den kleinsten Radolfzeller Ortsteil zu einer wichtigen Institution für die ganze Stadt gemausert.

Verein trifft auf einen hohen Bedarf

„Seitdem es uns gibt, erfahren wir jedes Jahr ein Wachstum von teilweise 50 Prozent“, erklärt der Vorsitzende der Nachbarschaftshilfe, Sven Jochem. Zuletzt waren es sogar 70 Prozent mehr. Wachstum – das bedeutet die Nachfrage nach den Dienstleistungen, die der gemeinnützige Verein anbietet. Und diese kann vielseitig sein. „Wir sind aber kein Pflegedienst, die Nachbarschaftshilfe ist keine Konkurrenz für etablierte Angebote in diesen Bereichen“, stellt Jochem klar.

Begleitung bei Arztbesuchen oder Gesellschaft im Alltag

Die Hilfestellung, die sehr häufig angefragt wird, ist die Begleitung zu Arzt- oder Behördenterminen. Oder auch Unterstützung bei den Einkäufen. Immer häufiger komme in jüngster Zeit auch die Frage nach Gesellschaft, ohne das etwas erledigt werden muss. Manchmal sei die Dienstleistung auch einfach ein gemütlicher Besuch auf dem Wochenmarkt mit einer anschließenden Einkehr in ein Café und ein nettes Gespräch. Teilhabe an der Gesellschaft, die gerade älteren Menschen alleine immer schwerer falle, so Jochem.

Das könnte Sie auch interessieren

Auch für pflegende Angehörige könne die Nachbarschaftshilfe eine Erleichterung sein und Freiräume schaffen. Man könne auch Gutscheine verschenken, erklärt der Vereinsvorsitzende. Doch es gibt auch hier Grenzen: Eine Nachbarschaftshelferin sei keine Haushaltshilfe und auch niemand, die Gartenarbeit erledige. Für diese Dienstleistungen gebe es etablierte Anbieter, denen man keine Konkurrenz machen wolle.

Jeden Tag bis zu 13 Einsätze

Im Schnitt hat die Mögginger Nachbarschaftshilfe zwölf Einsätze pro Tag, täglich sind die Helferinnen und Helfer 13 Stunden mit Dienstleistungen beschäftigt. Besonders stressig war es für das Team vergangenen Sommer, als so viele Aufträge reinkamen, dass 18 Arbeitsstunden pro Tag, verteilt auf mehrere Helferinnen und Helfern, gearbeitet wurde.

Koordiniert werden die Helferinnen und Helfer von Michaela Frimmel und Elke Stepczynski von der Einsatzleitung der Nachbarschaftshilfe Möggingen. Diese führen auch das Erstgespräch, wenn ein neuer Kunde die Dienste des Vereins buchen möchte. „Wir achten genau darauf, in welche Situationen wir unsere Helferinnen schicken“, erklärt Michaela Frimmel.

Das könnte Sie auch interessieren

Eine Stunde einer Nachbarschaftshelferin kostet den Kunden 15 Euro, davon behält der Verein 3 Euro für die Organisation ein und der Rest geht an die Helferinnen und Helfer. „Uns war es wichtig, dass diese wichtige Care-Arbeit auch bezahlt wird“, erklärt Jochem die Kosten. Denn oft werde die unsichtbare Arbeit des Kümmerns und Organisierens von Frauen in ihren Familien unentgeltlich erledigt.

Doch seien die Anreize für die Nachbarschaftshelfer vielseitig und nicht nur monetärer Natur, ist sich der Vereinsvorsitzende sicher. „Sie erfahren viel Dankbarkeit und Wertschätzung und bekommen das Gefühl, gebraucht zu werden.“

Einsätze haben sich mehr als verdoppelt

Zu Beginn der Tätigkeit hatte der Verein im Jahr 2021 noch 1250 Einsätze. Damals sei man sehr überwältigt gewesen. Schließlich beschränkte sich die Tätigkeit auf Möggingen, später auch Liggeringen und Güttingen. Mittlerweile ist die Nachbarschaftshilfe ein Verein für ganz Radolfzell, mit 3200 Einsätzen im Jahr 2024.

Die Vereinsarbeit hat sich über die Jahre auch professionalisiert: Die Helferinnen und Helfer können Supervision in Anspruch nehmen, denn leicht sei die Arbeit nicht immer. Die Kundinnen und Kunden seien fast alle älter als 70 Jahre, da begegnen den Nachbarschaftshelfern auch die Themen Krankheit, Trauer, Depressionen, Einsamkeit und Tod, so Jochem.