Herr Gröger, schon vergangenes Jahr wollten wir uns mit Ihnen am Krankenhaus treffen, damals haben Sie uns diesen Wunsch verwehrt. Nun sitzen wir hier. Was ist heute anders als vor einem Jahr?
Letztes Jahr war die Krankenhaus-Diskussion noch sehr akut und wir waren in umfangreichen Diskussionen auf Landkreisebene und mit dem GLKN (Gesundheitsverbund Landkreis Konstanz, Anm. d. Red.), wie wir mit der Schließung umgehen und welche Konsequenzen dies für Radolfzell hat. Emotional gesprochen war es uns alle ein großer Schmerz, dass das Krankenhaus nach 117 Jahren geschlossen wurde. Die Situation war damals noch unklar, jetzt sind wir ein paar Schritte weiter. Vor einem Jahr hatte ich versprochen, dass wir uns heute hier treffen, und dieses Versprechen habe ich gehalten.
Was ist der aktuelle Stand beim Krankenhaus? Noch ist es nicht zurück im Besitz des Spitalfonds.
Wir hatten einige konstruktive Gespräche mit Landrat Zeno Danner und OB Bernd Häusler aus Singen über das weitere Vorgehen. Es ist klar, dass eine rechtliche Auseinandersetzung über Jahrzehnte zu keinem befriedigenden Ergebnis und zu keiner Entwicklung des Krankenhausareals führen würde. Wir streben gemeinsam eine Gesamtlösung an und wir haben nun das Ziel, eine Entwicklungsperspektive für das Krankenhaus umzusetzen. Dazu gehört, dass alle Parteien ein Stück aufeinander zugehen. Aktuell wird untersucht, wie die Bausubstanz des Gebäudes ist, um die Kosten für den Teilabbruch definieren zu können.

Haben Sie da schon eine Summe?
Nein. Wir haben im Gemeinderat beschlossen, eine primär medizinische Nutzung unterzubringen, möglich wären aber auch Wohnen oder Bildung. Der historische und der neueste Gebäudeteil können erhalten werden. Im Besonderen ist es mir wichtig, dass der historische Kernbau erhalten wird – als historisch wichtiges Gebäude für Radolfzell und als Wertschätzung für die hervorragende medizinische Versorgung, die hier über ein Jahrhundert lang geleistet worden ist. Wenn wir die Abbruchkosten wissen, wird mit dem GLKN und auf Landkreisebene die große Frage zu diskutieren sein, wer diese Kosten trägt.
So viel bekannt ist, haben wir verschiedene Schadstoffe in dem Gebäude und der Rückbau wird umfangreich sein. Den HNO-Ärzten, die noch im Gebäude sind, habe ich klar zugesagt, dass ihre Praxisräume in der Stadt gesichert sind. Es wäre schön, wenn sich im Zuge einer Neuorientierung die HNO-Praxis hier einfügen könnte, aber sonst werden wir eine Alternative in Radolfzell finden.
Für viele ist es noch immer nicht nachvollziehbar, dass das Krankenhaus in einem so schlechten Zustand ist, dass es zu großen Teilen abgerissen werden muss.
Die Emotion kommt auch daher, dass viele der Überzeugung sind, wären in den letzten Jahren die notwendigen Investitionen geflossen, hätte man das Krankenhaus noch einige Jahre als solches nutzen können. Das ist nicht geschehen. Nun stehen wir vor der Situation, dass wir von der speziellen Nutzung als Krankenhaus in eine andere gehen müssen, und dafür wurde es nicht gebaut. Heizungs- und Elektroleitungen laufen beispielsweise in einem Bereich zusammen. Man kann nicht einfach so ein Stockwerk herausnehmen.
Vor einem Jahr haben Sie klar den GLKN in die Verantwortung für die medizinische Versorgung Radolfzells gezogen. Wird der Verbund dieser Aufgabe gerecht?
Wir haben die Firma Dostal (ein Beratungsunternehmen im Medizinbereich, Anm. d. Red.) beauftragt, die Ärzte vor Ort zu befragen, ob sie Interesse haben, sich bei einem MVZ einzubringen. Das wird im Herbst im Gemeinderat vorgestellt. Kürzlich hatte ich einen ausführlichen Termin bei der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg in Stuttgart, um zu besprechen, wie es mit der ärztlichen Versorgung vor Ort aussieht. Auf dem Papier sind alle Facharztstellen besetzt, zum Zeitpunkt des Termins waren es noch 2,5 offene Hausarztstellen. Man könnte meinen, wir wären gut versorgt. Aber eine gewisse dezentrale Struktur, wie unser Krankenhaus oder das in Stockach oder Engen, hat schon Sinn gemacht.
Wenn Fördermittel auf Wunsch der Landesregierung aber nur noch in zentrale Strukturen gesteckt werden, habe ich als Oberbürgermeister die Erwartung, dass das auch funktioniert. Und das muss sich noch beweisen. Dass der GLKN die Notwendigkeit für Entwicklung sieht, zeigt auch, dass es weitere Investitionen gibt. Da müssen wir uns als gesamter Landkreis auf diesen Weg begeben, eine gute Lösung für die Bewohner zu finden.
Die Radolfzellerinnen und Radolfzeller sind also medizinisch gesehen nicht abgehängt?
Durch die Schließung des Krankenhauses hat sich unsere Versorgung vor Ort signifikant verschlechtert. Aber die formale medizinische Versorgung aus Sicht der Kassenärztlichen Vereinigung in Baden-Württemberg ist sichergestellt. Dem steht das Empfinden aus der Bürgerschaft konträr gegenüber: Viele Menschen berichten von wochenlangen Wartezeiten bei Fachärzten. Die Frage ist, ob wir eine möglichst gute Versorgung in der zentralen oder dezentralen Variante sehen.
Das neue Zentralkrankenhaus soll – und es war eigentlich keine große Überraschung – nicht in Radolfzell gebaut werden. Wenn es denn je kommt. Wie sehen Sie dieses Thema?
Die Essenz des Lohfert&Lohfert-Gutachtens ist, dass es einen Neubau geben wird. Ich bin auch der Meinung, dass wir den Neubau brauchen. Wir sollten aber auch Doppelstrukturen abbauen, damit sich das wirtschaftlich rechnet. Was mir Sorge bereitet, ist die Höhe der Investitionen. Zuerst waren es 300 Millionen, jetzt sind es 400 Millionen Euro. Das ist eine große Herausforderung. Wer soll das bezahlen?
Der Landrat ist im Gespräch bezüglich Fördermitteln vom Land, doch es ist kein Geheimnis, dass der Löwenanteil über die Kreisumlage finanziert werden muss. Und diese wird nicht nur in Radolfzell, sondern auch für andere Kommunen so steigen, dass wir vor finanziellen Problemen stehen. Der Neubau wird klar auf Kosten anderer Projekte gehen, auf Landkreis-, aber auch auf der kommunalen Ebene. Das bereitet nicht nur mir, sondern auch meinen Bürgermeister-Kollegen Sorge.