Bekommt Radolfzell nun ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) oder nicht? Die Frage beschäftigt die Radolfzeller bereits seit einigen Wochen. Und worüber zunächst vor allem hinter verschlossenen Türen gestritten wurde, hat nun den Weg in die Öffentlichkeit gefunden. Denn in der jüngsten Sitzung des Stiftungs- und Gemeinderats diskutierten die Räte mit Oberbürgermeister Simon Gröger über das weitere Vorgehen der Stadt in den Verhandlungen mit dem Gesundheitsverbund GLKN über das Krankenhausgebäude.
Die Sitzung war teils sehr emotional, zwischen den Fraktionen wurden heftige Vorwürfe laut. Doch am Ende der zweistündigen Diskussionen herrschte Einigkeit: Ein einstimmiger Beschluss mit klaren Forderungen, den Gröger als „tolle Sache“ und „gutes und wichtiges Zeichen“ bezeichnete.
Antrag der Freien Wähler klar abgelehnt
Zur Abstimmung standen im Gemeinderat zuvor zwei Dinge: Der Antrag der Freien Wähler auf ein MVZ sowie die Beschlussvorlage der Stadt zum weiteren Vorgehen. Der Antrag der Freien Wähler hatte ursprünglich vier Punkte, in einer Sitzung im Juli hatten sie diesen allerdings aktualisiert, sodass er wortgleich mit dem Einwohnerantrag war. So stand einerseits zur Abstimmung, die Verwaltung soll den GLKN auffordern, dieser solle ein MVZ in Radolfzell gründen. Die zweite Forderung war, hilfsweise solle der Spitalfonds selbst eines gründen.

Die Gemeinderäte lehnten beide Anträge jedoch deutlich ab. Während der erste Teilantrag zumindest von den Räten der Freien Wähler und der FDP unterstützt wurde, lehnten den zweiten alle Räte bis auf die Freien Wähler ab – und kritisierten deren Vorgehen deutlich.
FGL: Freie Wähler handelten „unseriös und fahrlässig“
Siegfried Lehmann (FGL) sprach von einem „ärgerlichen Vorgang“. Das öffentliche Vorpreschen der Freien Wähler, ohne dass zuvor der Zustand des Gebäudes und möglicher Schadensersatz durch den GLKN geklärt wurden, sei „unseriös“ und „fahrlässig“ gewesen. Hätte man, wie von den Freien Wählern verlangt, nur den möglichen Teilabriss vom GLKN bezahlen lassen, hätte man auf deutlich mehr Schadensersatz für den Verfall des Gebäudes verzichtet. Und den Hauptschaden der Schließung, also eine fehlende Notfallversorgung, könne ein MVZ ohnehin nicht lösen.
Auch Norbert Lumbe (SPD) sagte, die Freien Wählern seien den anderen Fraktionen und der Verwaltung mit ihrer öffentlichen Forderung ohne Prüfung der Fakten „in den Rücken gefallen“. Besonders den Vorwurf der Freien Wähler, die anderen Fraktionen täten zu wenig, wiesen diese empört zurück.
„Den Vorwurf der Untätigkeit müssen wir uns nicht machen lassen“, sagte auch OB Gröger. Die Stadt habe bereits vor dem Antrag der Freien Wähler Gutachten beauftragt, Gespräche mit dem Landrat geführt und klar gemacht, im Gemeinderat einen Beschluss zu präsentieren. Dieser sieht sechs zentrale Punkte vor.
Diese sechs Forderungen hat die Stadt an den GLKN: 1. Neue Gutachten
Erstens möchte die Stadt zunächst in Absprache mit dem GLKN weitere Gutachten beauftragen, um den Zustand und damit die mögliche weitere Nutzung des Gebäudes oder zumindest von Teilen davon zu klären. Die werden aufgrund der Gebäudegröße vermutlich mehrere Monate in Anspruch nehmen. Mittelfristig soll die noch verwertbare Gebäudesubstanz des Krankenhausgebäudes erhalten bleiben und kernsaniert werden für eine weitere Nutzung, für die die Stadt klare Prioritäten formuliert hat.
Die erneuten Gutachterkosten möchte die Stadt gleichteilig mit dem GLKN oder der Fördergesellschaft teilen, was noch verhandelt werden muss. Der Landkreis und der Singener OB Bernd Häusler haben laut Gröger bereits signalisiert, offen für eine Kostenteilung zu sein. Und der Anteil der Stadt sei bereits außerplanmäßig genehmigt.
2. Stadt verlangt Schadensersatz vom GLKN
Als zweiter Punkt steht fest, dass Stadt und GLKN über den verbliebenen Wert des Gebäudes, erneute Investitionen sowie möglichen Schadensersatz durch den GLKN an die Stadt wegen unterlassener Instandhaltung des Krankenhauses verhandeln werden. Denn laut Vertrag, mit dem der Spitalfonds, dem das Grundstück gehört, damals das Gebäude als Eigenkapital in die neue Hegau-Bodensee-Klinik GmbH (HBK) eingebracht hatte, wäre der GLKN zur Instandhaltung verpflichtet gewesen.

3. GLKN soll sich an Kosten beteiligen
Drittens formulierte die Verwaltung in dem Beschluss daher die klare Haltung, dass HBK und GLKN sich an den Kosten für einen möglichen Teilabriss oder eine Sanierung beteiligen müssen. „Wir erwarten hier eine Sanierung und sehen den GLKN ganz klar in der Pflicht“, machte Gröger klar.
4. Lieber Weiternutzung als Abriss
In einem vierten Punkt stellt die Stadt klar, einen Abriss nicht zu befürworten. Zum einen könnte der Schadensersatz, den die Stadt gegenüber GLKN einfordern möchte, deutlich höher sein, als die Kosten für einen Abriss. Zum anderen habe das Gebäude und dessen Verwendung als medizinische Einrichtung laut Gröger eine große Bedeutung für die Radolfzeller.
5. Spitalfonds soll wieder Eigentümer des Gebäudes werden
Außerdem hat der Gemeinderat beschlossen, dass die Stadt das sogenannte Heimfallrecht prüfen wird. Denn da der GLKN als Erbbaurechtsnehmer das Gebäude seit dem 30. Juni nicht mehr, wie vertraglich verpflichtet, als Krankenhaus nutzt, hat die Stadt laut eigener Rechtsauffassung für sechs Monate eine Art Sonderkündigungsrecht des Vertrages – das Heimfallrecht. Dann würde der Spitalfonds wieder Eigentümer werden.
Gegenüber GLKN und HBK hat die Stadt allerdings eine Fristverlängerung bis 31. Dezember 2024 dafür beantragt, damit ausreichend Zeit bleibt für Gespräche mit dem GLKN und weitere Gutachten. Auch hat die Stadt gegenüber GLKN bereits angekündigt, bis dahin einen Erbbauzins zu erheben, dessen Höhe allerdings noch nicht feststeht.
Von einem kompletten Rückzug aus dem GLKN-Konstrukt im Rahmen der Rückgabe des Gebäudes hatte ein Rechtsgutachter der Stadt hingegen abgeraten, um einen langwierigen Rechtsstreit zu vermeiden.
6. Weitere Forderungen möglich
Der sechste Punkt war eigentlich keine Forderung, sondern die Ankündigung möglicher weiterer: Die Stadt behält sich vor, nach dem Vorliegen der Gutachten weitere Punkte zu benennen.
So geht es nun weiter
„Wir positionieren uns als Verwaltung hier deutlich“, ordnete Gröger den einstimmigen Beschluss ein. Er ist nun als Stiftungsratsvorsitzender des Spitalfonds beauftragt, mit seinem Amtskollegen Bernd Häusler aus Singen und dem GLKN über die Auflösung des Erbbaurechts sowie die Rückgabe des Grundstücks zum nächsten möglichen Zeitpunkt zu verhandeln. Das Grundstück und das Krankenhaus sollen dem Spitalfonds danach kosten- und lastenfrei zurückgegeben werden, sodass keine weiteren Kosten für den Spitalfonds zu erwarten sind.
Sollten die weiteren Gutachten ergeben, dass eine medizinische Nutzung des Gebäudes noch möglich ist, wird der Landkreis Konstanz aufgefordert, selbst oder über den GLKN ein MVZ in Radolfzell zu gründen. Über den mit dem Antrag der Freien Wähler wortgleichen Einwohnerantrag zu einem MVZ wird laut Stadtverwaltung in der kommenden Gemeinderatssitzung abgestimmt.