Er war ein Mann, der die Stadt Radolfzell nachhaltig prägte: Im Oktober 1882 wurde August Kratt in Karlsruhe geboren, zog 1902 nach Radolfzell und gründete das heute noch existierende Kaufhaus Kratt. 1962 erhielt er die Ehrenbürgerwürde der Stadt. Doch Kratt hatte auch Kontakte zur NSDAP und zur SS. Wie Bürgermeisterin Monika Laule in der jüngsten Sitzung des Gemeinderats berichtete, sorgt das für Kritik.

Es sei die Frage sei gestellt worden, warum Kratt die Ehrenbürgerschaft erhalten habe und warum sie ihm nicht aberkannt worden sei. In diesem Zusammenhang hat die Stadt Radolfzell ein Gutachten zu August Kratt und seiner Rolle im Nationalsozialismus in Auftrag gegeben. Dieses wurde in der Folge von Carmen Scheide von der Uni Bern, laut Stadtverwaltung eine Expertin für den Nationalsozialismus, erstellt.

Reibungspunkte mit der SS

Im Radolfzeller Gemeinderat fasste Scheide ihre Erkenntnisse zusammen. So sei Kratt unter anderem 1933 in die NSDAP eingetreten, wo er von 1934 bis 1943 Block- und Zellenleiter der Ortsgruppe war. Außerdem sei er 1933 bis 1942 förderndes Mitglied der SS – der Schutzstaffel, einer NS-Organisation – in Radolfzell gewesen, 1942 jedoch ausgetreten. „Aber er war nicht Teil der allgemeinen SS und auch nicht der Waffen-SS“, erklärte Scheide im Gemeinderat. Die Fördermitgliedschaft sei eine eigenständige Unterorganisation gewesen.

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Auch gehe aus alten Akten unter anderem ein angespanntes Verhältnis mit der SS hervor. Er habe etwa persönliche Probleme mit einem Arzt gehabt, der zur SS gehört habe. „Und auch später gab es immer wieder Reibungspunkte zwischen Kratt und der SS.“ Antisemitischen Äußerungen von Kratt seien nicht bekannt. Und zum Kriegsende habe er dazu aufgefordert, die Stadt verteidigungslos an die Franzosen zu übergeben.

August Kratt im Jahr 1959.
August Kratt im Jahr 1959. | Bild: Specht Ruediger

Nach Kriegsende habe August Kratt seine Parteizugehörigkeit nicht geleugnet, 1948 sei er als mittelbelastet eingestuft worden. Das sind nur einige der Punkte, die Kratt im Gutachten positiv ausgelegt werden.

Schenkung oder Bestechungsgeld?

Ein weiterer Kritikpunkt zu Kratt hat nichts mit seiner Vergangenheit, sondern den Umständen seiner Ernennung zum Ehrenbürger zu tun: Kurz zuvor hatte er 1962 der Stadt nämlich 30.000 D-Mark und ein Grundstück für den Bau eines Altersheims geschenkt. Das habe den Anschein erweckt, dass diese Würde erkauft worden war, so die Untersuchung.

Allerdings gehe aus Akten hervor, dass Kratt davon sehr überrascht gewesen sei. Dass die Schenkung nichts mit der Ehrenbürgerwürde zu tun habe, dafür spreche außerdem, dass Kratt bereits zuvor wohltätig caritative Einrichtungen unterstützt habe.

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Laut den Sitzungsunterlagen komme die Expertin daher zu dem Schluss, dass die Ehrenbürgerwürde nicht abzuerkennen sei. Das habe auch der Arbeitskreis Erinnerungskultur dem Gemeinderat empfohlen.

Um die Öffentlichkeit zu informieren, veröffentlicht die Stadt das Gutachten auf ihrer Internetseite. Zudem hält Carmen Scheide am Donnerstag, 5. Juni, um 19 Uhr im Friedrich-Werber-Haus am Marktplatz 7 ausführlich über ihre Erkenntnisse. Die Teilnahme kostet 5 Euro. Eine Anmeldung ist nicht nötig.