Manchmal, wenn sich Cheyenne Bejazaga nicht mehr konzentrieren kann, wandert ihre Hand zu dem schwarzen Hund neben ihr. Und manchmal, da wird sie von ihm angestupst. „Mica spürt so was“, sagt die 16-jährige Schülerin der Ratoldus-Gemeinschaftsschule. Denn: Mica, eine Doggen-Labrador-Mischlingshündin, ist Schulhund an der Gemeinschaftsschule – und zum festen Mitglied der Klasse 10 Blau geworden. „Weil sie süß ist und sich gerne streicheln lässt“, sagen die Schüler.

„Weil sie Ruhe in die Klasse bringt“, sagt Lehrerin Madeleine Schöllhorn. Sie habe sich schon immer einen Hund zulegen wollen. „Meine Eltern und meine Freunde hatten immer welche“, sagt sie. Und schon vor Jahren habe sie im Fernsehen eine Dokumentation über Schulhunde gesehen, sagt Schöllhorn. Diese habe gezeigt, wie Tiere Schülern helfen können, Verantwortung zu übernehmen und Grenzen zu setzen. Und dass ihre Anwesenheit ängstlichen, verschlossenen Kindern mehr Selbstbewusstsein gebe und die hyperaktiven beruhigen könne.

Aber Madeleine Schöllhorn fehlte die Zeit für ein Tier. „Und ich wusste nicht, ob ein Hund in meine Wohnung passt. Oder zu den Schülern.“ Doch dann kam Corona. Und plötzlich hatte die Lehrerin Zeit. Und auch das Bedürfnis, etwas Gutes zu tun. Also nahm sie Mica Ende März zur Pflege auf – eigentlich wollte sie für die Hündin nur eine Übergangsstation sein, bis sich ein neues Frauchen gefunden hat. „Aber man schließt so ein Tier ins Herz.“ Mica hat sie deswegen schlussendlich fest bei sich aufgenommen.

Das könnte Sie auch interessieren

Ihren ersten Einsatz hatte die Hündin noch während des Lockdowns, als Madeleine Schöllhorn für die Notbetreuung eingeteilt war. „Das war damals gut zum Eingewöhnen, weil wenige Kinder da waren und Mica so ein entschleunigtes Alltagsleben mitbekommen hat.“

Richtig los ging es für Mica dann nach den Sommerferien. Im Unterricht der Klasse 10 Blau etwa. Und dort sind mit der Hündin gleich Regeln eingezogen. So darf Mica nicht gefüttert werden. Sie mag es nicht von mehreren Händen gleichzeitig gestreichelt zu werden. Und sie mag keinen Lärm. Das wissen die Schüler – und sie akzeptieren es.

Wenn Madeleine Schöllhorn in der Schule unterrichtet, ist auch immer ihre Hündin Mica mit dabei.
Wenn Madeleine Schöllhorn in der Schule unterrichtet, ist auch immer ihre Hündin Mica mit dabei. | Bild: Madeleine Schöllhorn

„Als Mica das erste Mal da war, waren wir noch sehr laut“, sagt Jasmin Zilinski. „Aber dann haben wir gelernt, dass Hunde viel bessere Ohren haben als Menschen. Sie hören alles sieben Mal lauter. Und Lärm tut ihnen weh“, sagt die Fünfzehnjährige. Und ihr Mitschüler Ben Franke ergänzt: „Es ist jetzt wirklich still.“ Dem Hund zu liebe halte man sich an die Regeln. Mica liegt nicht nur irgendwo im Klassenraum. Die Hündin wird aktiv in den Unterricht eingebunden. Sie könne einen Würfel stupsen und damit entscheiden, welche Aufgaben die Schüler lösen sollen. „Das bietet sich gut in Mathe an“, sagt Schöllhorn, die neben Mathe auch Geografie unterrichtet.

„Mica kann aber auch eine Kiste ziehen und den Schülern ein Arbeitsblatt bringen oder die Dienste der Woche einteilen“, so Schöllhorn weiter. Dafür würden Namensschilder der Schüler in ein Säckchen gepackt und die Hündin ziehe aus einer Kiste je ein Säckchen für einen Dienst.

Und während der Lernzeit – wenn die Jugendlichen in einer freien Phase Hausaufgaben machen – dürfen sie mit Mica spielen. „Wir spielen mit ihr oft Tauziehen oder lassen sie Kunststücke machen. Pfote geben zum Beispiel“, sagt der fünfzehnjährige Marvin Tympel. Und weiter: „Mica ist etwas schusselig und unser Boden im Klassenzimmer sehr rutschig, sodass sie manchmal flitzt und rutscht. Und dabei einfach lustig aussieht.“

Archivfoto: Laura und Gwendoline aus der Klasse 10 Blau mit Mica beim Unterricht.
Archivfoto: Laura und Gwendoline aus der Klasse 10 Blau mit Mica beim Unterricht. | Bild: Madeleine Schöllhorn

Überhaupt sei Mica eine ruhige Hündin. Sie belle, winsle und knurre nicht, sagt Marvin. Und das hat einen Grund. Denn: 2019 sei Mica von einer Tierschutzorganisation nach einem Säureunfall in einem Wohnhaus in Spanien gefunden worden. Schwerverletzt. Die Junghündin habe damals viele Male operiert werden müssen, sagt Schöllhorn. Noch heute erinnern vier kahle Stellen daran.

Nachdem niemand die Hündin in Spanien habe aufnehmen wollen, sei sie nach Deutschland und zu Madeleine Schöllhorn gekommen. „Ich merke von Micas Vergangenheit nichts“, sagt die Lehrerin. „Außer natürlich, dass sie ruhiger ist.“

Das könnte Sie auch interessieren

Dennoch habe Mica auf ihren Einsatz in der Klasse vorbereitet werden müssen. Denn: Viele Menschen und viele Geräusche und Gerüche, das bedeute für einen Hund: Stress. Mica musste darum auch einen Wesenstest und eine Ausbildung absolvieren, sagt Schöllhorn. Dann seien Schulleitung, Kollegium und Eltern mit ins Boot geholt worden. Schließlich habe abgeklärt werden müssen, ob ein Schüler eine Allergie oder gar Angst vor Hunden hat. Nun aber ist Mica aus der Klasse kaum noch wegzudenken.