Die Corona-Pandemie hat auch das 100. Jubiläum des Ruderclubs Undine durchkreuzt. Nachdem schon der Festakt Ende März abgesagt werden musste, fällt nun auch das Anfang Juli geplante große dreitägige Sommerfest für die Radolfzeller ins Wasser. Umso mehr wiegt in diesen leisen Zeiten das eigens zum Undine-Geburtstag verfasste 168 Seiten starke Festbuch, das in Stil und Inhalt einzigartig im Ruderdeutschland sein dürfte.
„Eine außergewöhnliche Hommage an den Ruderclub, der über seine großen sportlichen Erfolge hinaus ein stolzes Jahrhundert lang das gesellschaftliche Leben der Stadt mitgestaltet hat und nach wie vor als lebendiger, intakter Verein eine Institution von Radolfzell ist“, so der Vorsitzende Rolf Tränkle. Er bedauert sehr, dass die Undine ihr Jubiläum nicht gebührend feiern kann.
Die Autoren waren selbst Ruder-Weltmeister
Es steckt viel Herzblut in diesem Werk, das weit über die in Festschriften gängigen historischen Betrachtungen und Nabelschauen hinausgeht, stattdessen nach dem Rückblick kritisch Problemfelder der Gegenwart aufzeigt und sich mit den Herausforderungen der Zukunft beschäftigt. Dazu braucht es Autoren, die in der Undine und im Rudersport verwurzelt sind, wie Ekkehard (Ekki) Braun und seinen Bootskameraden Wolfgang Fritsch, die in den 70er Jahren zu den erfolgreichsten Rennruderern der Leichtgewichtsklasse gehörten, mehrere Deutsche Meisterschaften gewannen, viermal an Weltmeisterschaften teilnahmen und dabei 1975 im Leichtgewichts-Achter die Goldmedaille holten. Beide waren auch Trainer im Verein.
„Das Buch war uns wichtig. Das Rudern und die vielen Erlebnisse haben nachhaltig unser Leben und unsere Persönlichkeit geprägt. Die Undine hat uns viel gegeben. Es wäre schade gewesen, uns als ältere Mitglieder hier nicht einzubringen“, schildert Ekki Braun die Beweggründe für eineinhalb Jahre intensive Recherche, die er für eine fiktive Geschichte aufarbeitete. Dafür schlüpft er in die Rolle eines Kurgastes und kommt auf bewegende Weise mit der als Figur zum Leben erweckten Undine ins Gespräch, in dessen Verlauf der Leser gedanklich durch vier mal 25 Jahre rudert.

So erzählt Undine etwa, wie sie im Jahr 1920 im Scheffelstübchen der Brauerei „Hölle“ von 14 Gründungsmitgliedern aus der Taufe gehoben wird und ein Jahr später von der Stadt das Grundstück auf der Mettnau neben dem Urkundenhäuschen zugewiesen bekommt. Dieses ist zu jener Zeit nicht erste Wahl, erweist sich aber rückblickend als Glücksfall und bevorzugter Ort, wo sie sich zu dem entwickeln kann, was sie heute ist.
Ein wichtiger Aspekt dieser Entwicklung war, dass viele Vorstandsmitglieder beziehungsweise Repräsentanten des Clubs durch ihre berufliche Position und ihr sonstiges gesellschaftliches Engagement in Radolfzell gut verankert waren. In die zweite Zeitzone fällt der unmittelbare Wiederbeginn des Clubs nach Kriegsende. 1950 bekommt er das infolge der Wohnungsnot zwangsbelegte Bootshaus zurück. Die sportlichen und gesellschaftlichen Aktivitäten werden wieder intensiviert, das Wanderrudern wird ausgedehnt und auch das Rennrudern.
Das Geburtsjahr einer großen Erfolgsserie
1956 nimmt als großes Ereignis für Radolfzell erstmals ein Undine-Vierer an einer Deutschen Meisterschaft teil. Im sogenannten „Grüner-Vierer“ sitzt der spätere Vorsitzende und heutige Ehrenvorsitzende Herbert Esser, der in 35-jähriger Vereinsarbeit zu einer prägenden Persönlichkeit für die Undine wird – sein Herz gehörte dem Rennrudern.
Ein weiteres Glanzlicht ist der wichtige Neubau des Bootshauses, der 1964 fertiggestellt wird. Im dritten Zeitfenster, 1971 bis 1995, nimmt der Leistungssport einen gewaltigen Aufschwung. So erreichen die Ruderer und Ruderinnen der Undine in unterschiedlichen Alters- und Gewichtsklassen über vier Jahrzehnte insgesamt neun Siege bei Weltmeisterschaften und 45 Siege bei Deutschen Meisterschaften.
Undine-Sportler Kristof Wilke im legendären Gold-Achter
Die Wanderruderer unternehmen abenteuerliche Touren. Viele Clubfeste stärken das gesellschaftliche Band zwischen den Mitgliedern und der Öffentlichkeit. Auch die letzten 25 Jahre sind geprägt vom Leistungssport. Drei Undine-Ruderer nehmen von 2000 bis 2012 an gleich vier aufeinanderfolgenden Olympischen Spielen teil. Kristof Wilke holt 2012 in London den Olympiasieg im Achter. Doch die Entwicklungen verlaufen in den vergangenen zwei Jahrzehnten, in denen der Club auch einen Generationswechsel erfährt, nicht immer spannungsfrei.

Mit wachsendem Interesse am Breitensport und steigender Mitgliederzahl entwickeln sich bald auch unterschiedliche Interessengruppen, für deren Ansprüche ein gemeinsamer Nenner gesucht werden muss. Nachdem langjährige Protagonisten des Clubs wie Herbert Esser und Klaus Müller ihre Ämter abgeben, kommt es immer wieder zu Unterbrechungen in der Clubführung, auch weil die Anforderungen an das Ehrenamt gestiegen sind.
Fluktuation der Mitglieder nimmt zu
Die Momentaufnahmen von Wolfgang Fritsch zeigen, dass die Undine wie andere Vereine die demographische Entwicklung zu spüren bekommt, eine älter werdende, aber aktive Bevölkerung und parallel dazu die alternative Freizeitgestaltung von Jugendlichen. Ihr Klientel hat sich gewandelt, was sich in einem wachsenden Interesse von Erwachsenen und Älteren am Rudern zeigt, aber auch mit Fluktuation einher geht, weil es viele „Sporthopper“ gibt.
Dennoch zeigt sich die Undine im Jubiläumsjahr gut aufgestellt, im Jugendbereich ist sie einer der erfolgreichsten Vereine im Land. Die Jugendarbeit soll in Zukunft noch verstärkt werden. So wolle man Kindern und Jugendlichen nicht nur den Wettkampfsport, sondern auch das vielfältige Breitensport-Angebot vermitteln. Eine große Aufgabe sieht der Verein darin, die Cluborganisation an das vielfältiger gewordene Sportangebot und die immer größer werdende behördliche Bürokratie anzupassen. Die Grenzen eines ehrenamtlich geführten Ruderclubs sind absehbar.
All dies will der Vorsitzende Rolf Tränkle mit seinen Vorstandsmitgliedern anpacken. „Wir gehen sehr zuversichtlich in die Zukunft und spüren den zunehmenden Zuspruch, den das Rudern findet. Ob als Mannschaftssport für Frauen und Männer aller Altersgruppen, für Rennruderer, Wanderruderer oder Breitensportler – wir haben ein breites Erlebnisspektrum in einer begnadeten Naturlandschaft mit vielen schönen Zielen im Revier. Das ist einfach ein Geschenk.“