Als der Wanderbischof Pirmin im Jahr 724 auf die Insel Reichenau kam, um ein Kloster zu gründen, musste er der Legende nach erst einmal Schlangen und anderes ekliges Getier in den See verscheuchen.
Doch auch wenn es damals keine Menschen auf der Insel gegeben haben soll, so war sie doch schon sehr viel früher besiedelt.
Davon sind die Experten der Feuchtbodenarchäologie des Landesamts für Denkmalpflege überzeugt.
Am Nordufer in Oberzell gab es demnach in der Jungsteinzeit, also um 4000 bis 3000 vor Christus, auch auf der Reichenau eine Pfahlbausiedlung wie vielerorts am Bodensee.
Und wie deren Überreste schlummern auch Relikte aus der großen Klosterzeit des Mittelalters verborgen in der Flachwasserzone um die Insel, erklärt der Archäologe und Forschungstaucher Martin Mainberger.
Doch deren Erforschung stecke noch in den Anfängen. Mainberger hat nun mit seinem Taucherteam im Auftrag des Landesamts erstmals die bisherigen Funde im Flachwasser genauer untersucht.
Sein Fazit: „Das Welterbe endet nicht an der Uferlinie.“
Dorf aus der Pfahlbauzeit
Funde früherer Jahre an Land in Oberzell belegten eindeutig, dass es in der Jungsteinzeit ein Dorf in diesem Bereich auf der Reichenau gegeben haben müsse, so Mainberger.
Gefunden worden sei das komplette Sortiment an Werkzeugen, wie es die Archäologen aus solchen Pfahlbausiedlungen kennen.
Unter anderem ein rund 15 Kilogramm schwerer Mühlstein, der ein Hinweis darauf sei, dass vor rund 6000 Jahren bereits Menschen auf der Reichenau ihr eigenes Brot gebacken haben.
„Unsere Aufgabe war, dieses Dorf genau zu identifizieren“, so Mainberger. Das sei allerdings nicht gelungen.
Die Sedimentablagerungen seien in Oberzell, weil der Wellenschlag fehle, wahrscheinlich einfach zu hoch, um Reste von Pfählen zu erfassen und damit das prähistorische Dorf zu lokalisieren.
Mainberger meint: „Die Reichenau ist auch dadurch was Besonderes, weil sie uns ihre steinzeitliche Vergangenheit nicht preisgeben möchte.“
Zwei Schiffswracks am Seegrund
Anwohner hatten westlich der Reichenau in den Nuller-Jahren zwei Schiffswracks am Seegrund entdeckt.

Die Archäologen stellten fest, dass es sich um Reste großer Segelschiffe aus dem späten 15. Jahrhundert handelte, so Mainberger, ähnlich dem bei Immenstaad gefundenen Schiff, das im Archäologischen Landesmuseum in Konstanz ausgestellt ist.
Die Schiffe bei der Reichenau seien einst im Sediment versunken gewesen, doch durch Wellengang im Lauf der Zeit wieder frei gespült worden.
Dadurch habe ihnen der Zerfall gedroht. Die Archäologen hätten damals entschieden, die Wracks zu deren Schutz vor weiterer Erosion wieder einzugraben.
„Man kann nicht jedes Schiff ins Museum stellen“, so Mainberger, Konservierung und Restaurierung seien aufwendig und teuer. Seine jetzige Untersuchung habe einerseits die Erkenntnis erbracht, dass von den Schiffen nichts zu sehen sei und sie damit weiter geschützt seien.
Aber er habe eine andere Gefahr festgestellt.
Der Kamberkrebs, eine eingeschleppte, im Bodensee nicht heimische Tierart, mache sich daran zu schaffen.
Diese Krebse würden ihre Höhlen im umliegenden Sediment am Boden bauen. Eindringendes Wasser könne dadurch zur Zerstörung des jahrhundertealten Holzes beitragen.
„Das gefällt uns gar nicht.“ Dies gelte es weiter zu beobachten.
Rätselhafte Palisaden
Parallel zum Nordufer der Reichenau gebe es im Flachwasserbereich Palisaden aus hunderten, vielleicht sogar tausenden Eichenholzpfählen, deren Alter und Funktion bisher nicht bekannt seien, berichtet Mainberger.
Aus Ober- und Mittelzell habe man davon bereits gewusst, nun aber noch neue Pfahlreihen an der Nordwestspitze der Insel entdeckt. Das sei eine weitere Besonderheit der Reichenau.
Er habe mit seinem Team Proben entnommen, die nun zur Altersbestimmung vom Landesamt untersucht würden. „Ich schätze die nicht prähistorisch ein, aber da kann es auch Überraschungen geben“, so der erfahrene Forschungstaucher.
Da Eiche auch schon in früheren Zeiten ein stabiles, wertvolles Holz gewesen sein müsse, vermute er, dass es Reste einer Anlage seien, die lange halten sollte.
Es könnte sich um Begrenzungen des Klosterbezirks im Wasser handeln, so seine Theorie. Doch auch diese Pfähle seien durch den Kamberkrebs bedroht.
Eine der wichtigsten Fundstellen der Klosterzeit liege seit Jahrzehnten begraben, so Mainberger: Wo heute der Parkplatz des Yachthafens ist, sei einst die zentrale Schiffsanlegestelle Herrenbruck des Klosters gewesen.
Doch weil Boote bis zum Bau des Inseldamms Mitte des 19. Jahrhunderts für die Insulaner das Tor zur Welt gewesen seien, habe es neben der Herrenbruck und der noch heute genutzten Schiffsanlegestelle im Süden rund 70 solcher Anlegestellen gegeben, die früher Schiffslände oder Stedi hießen.
Davon würden Steindämme im Flachwasser zeugen, wovon er nun mit seinem Team 44 genauer überprüft habe.
Wie alt diese Steindämme seien, über die man zu den Booten im tieferen Wasser habe gelangen können, sei noch unklar.
Jedoch: „Die können sehr alt sein. Auch die Mönche brauchten Boote.“
Doppeltes Welterbe
Ende 2000 wurde die Insel Reichenau als Klosterinsel von der Unesco ins Weltkulturerbe aufgenommen. 2011 dann auch die Pfahlbausiedlungen der Jungsteinzeit im Bodensee- und Alpenraum. Da es hiervon sehr viele gibt, wurde stellvertretend nur eine begrenzte Zahl gut erforschter Fundstellen aufgeführt. Die Reichenau gehört zwar nicht dazu, darf sich aber trotzdem auch als Pfahlbau-Welterbe fühlen, weil es mit großer Wahrscheinlichkeit auch hier eine solche prähistorische Siedlung gegeben hat. Für Welterbestätten fordert die Unesco Managementpläne für die Pflege und den Erhalt. Für die Pfahlbauten liegt dieser vor, für die Klosterinsel ist er in Arbeit. Ein zentrales Element dabei ist ein sogenanntes Monitoring. Dabei wird regelmäßig der Bestand untersucht, nicht zuletzt mit Blick auf mögliche Gefährdungen. Obwohl der Managementplan für die Pfahlbauten die Reichenau nicht umfasst, hat das Landesamt für Denkmalpflege im Rahmen seines internen Monitorings nun erstmals die Flachwasserzone rund um die Insel untersucht und den Bestand erfasst. (toz)