Der Einzug steht bevor: Ende Juni will der Landkreis die Gemeinschaftsunterkunft (GU) für Flüchtlinge auf der Insel Reichenau im Gewerbegebiet Tellerhof in Betrieb nehmen. Im Juli sollen die ersten Menschen einziehen, bis zu 94 Bewohner könnten es werden, teilt das Landratsamt (LRA) auf Nachfrage mit. Das sorgt bei manchen Bürgern für Bedenken und Befürchtungen.

Bürgermeister Wolfgang Zoll und eine Mehrheit des Gemeinderats erwarten dagegen eine Entlastung der Gemeinde, die dann weniger oder sogar gar keine Flüchtlinge mehr in der Anschlussunterbringung (AU) mit Wohnraum versorgen muss. Denn die künftigen Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft werde der Gemeinde angerechnet.

Hauptamtsleiter Mario Streib erklärt, im vergangenen Jahr seien zwar weniger Flüchtlinge gekommen. Aktuell zähle die Gemeinde 216 Personen in der Anschlussunterbringung – inklusive Menschen aus der Ukraine. Damit liege Reichenau im Soll. Er könne allerdings keine Entwarnung geben: „Die Unterbringungsmöglichkeiten sind voll ausgelastet.“ Bei einer neuen Flüchtlingswelle gäbe es Probleme.

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Bürgermeister: „Wir können unsere Anschlussunterbringung zurückfahren“

Bürgermeister Zoll betont deshalb die Vorteile, die die Gemeinschaftsunterkunft für die Gemeinde bringe: „Wir müssen keine riesigen Reserven vorhalten in nächster Zeit.“ Und mehr noch: „Wir können unsere Anschlussunterbringung zurückfahren.“ Das Hauptgebäude von Schloss Königsegg, wo zuletzt eine Gruppe Ukrainer lebte, sei bereits geräumt. Durch natürliche Fluktuation könne die Gemeinde nach und nach auch weitere Gebäude wieder anderweitig nutzen oder als Reserve vorhalten.

Doch es gibt auch Bürger, die Bedenken haben – vor allem wegen des Standorts. So zum Beispiel Karl Wehrle. Wobei der langjährige Kultur- und Tourismuschef betont, er äußere sich hierzu rein als Bürger: „Ich verstehe alle Argumente des Gemeinderats und des Bürgermeisters.“ Er habe nichts gegen eine Gemeinschaftsunterkunft. Wenn Flüchtlinge kommen, müsse man diese unterbringen. Er habe auch keine Angst, dass diese Gewalttaten verüben. Aber: „Der Standort Insel ist nicht ideal.“ Hier seien die Untergebrachten isoliert. „Was sollen die hier machen?“

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Wehrle verweist auf eine Sitzung des Gemeinderats vor zwei Jahren, als die Entscheidung für die Gemeinschaftsunterkunft fiel. Damals habe eine Vertreterin des Landratsamts auf die Frage, was die Flüchtlinge den ganzen Tag machen würden, gesagt: Die gehen alle in die Stadt. „Der ÖPNV ist nicht so, dass die Leute einfach so hin- und herfahren können“, so Wehrles Bedenken. Ein Standort auf dem Festland in Bahnhofsnähe wäre besser gewesen.

Reichenauer sorgt sich: „Ich weiß nicht, was da für Leute kommen“

Das denkt auch unter anderem Guido Beck, der in der Nähe der neuen Unterbringung sein Autohaus betreibt. Seine Befürchtungen seien noch größer. Und er kenne auch andere Reichenauer, die so denken, die aber nichts öffentlich sagen würden. Er selbst sei auch schon deshalb als Rechtsradikaler abgestempelt worden, empört sich Beck. „Ich bin überhaupt nicht rechts, war ich noch nie. Ich bin CDU-Wähler“, betont er. Er sei einfach ein kritischer Mensch. Von Politikern werde vieles schöngeredet, sagt Beck.

Auf dem Weg bei der Gemeinschaftsunterkunft seien viele Jogger und Spaziergänger, auch Mütter mit Kindern, unterwegs. Er habe mit vielen davon geredet. „Die haben wirklich Angst“, berichtet Beck. Auch er habe die Befürchtung, dass man dort nicht mehr einfach so herumlaufen könne. „Ich weiß nicht, was da für Leute kommen.“ Er hat Bedenken vor allem wegen alleinstehender junger Männer, die nichts zu tun haben, sagt Beck. „Man sollte die Leute zwingen, was zu arbeiten, einen Beitrag zu leisten“ – anstatt ihnen Geld vom Staat zu geben.

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Die Pressesprecherin des Landratsamts, Marlene Pellhammer, erklärt auf Nachfrage zum einen: „Aktuell kommen überwiegend Einzelpersonen in den Landkreis.“ Es würden aber auch nach wie vor Familien zugewiesen. Die Flüchtlinge kämen vor allem aus Afghanistan, Syrien und der Türkei. Dem Landkreis gehe es auch darum, die Notunterkünfte wie Leichtbauhallen abzubauen und die Flüchtlinge in Bauten wie die Gemeinschaftsunterkunft auf der Reichenau unterzubringen.

Sprich: Es werden zunächst vor allem Menschen kommen, die nicht völlig neu in Deutschland sind, sondern schon eine Weile im Kreis Konstanz leben. Pellhammer betont: „Wie jede Unterkunft wird auch die auf der Reichenau Ansprechpartner direkt vor Ort haben. Heimleitung, Sekretariat, Hausmeister und Sozialer Dienst werden vor Ort tätig sein.“ Falls es Probleme geben sollte, stünden diese Mitarbeiter oder das Landratsamt zur Verfügung.

Arbeit auf der Insel Reichenau? Laut Landratsamt ist das möglich

Die Integration finde in der Regel außerhalb der Unterkunft statt: durch den Besuch von Sprachkursen, Kontakte zu Einwohnern zum Beispiel auf Spielplätzen oder durch Arbeit. Ob die Flüchtlinge arbeiten dürften, hänge von ihrem Status ab. Sie brauchen eine Arbeitserlaubnis der Ausländerbehörde, erklärt Pellhammer: „Grundsätzlich befinden sich einige Geflüchtete in Arbeitsverhältnissen, sodass auch eine Arbeitsaufnahme auf der Insel selbst möglich sein kann“, erklärt die Pressesprecherin auf Nachfrage.

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Der Bürgermeister sieht das Betreuungspersonal als Vorteil – bei einer Anschlussunterkunft seien Geflüchtete lediglich untergebracht. Dennoch sagt Zoll: „Ich kann die Ängste und Bedenken verstehen. Das muss man ernst nehmen.“ Er wisse auch von bisher guten Erfahrungen des Landratsamts mit Gemeinschaftsunterkünften (GU).

„Diese Bedenken gibt es oft im Vorfeld. Aber sobald eine GU in Betrieb war, haben sich diese Befürchtungen sehr schnell relativiert. Es wird sich konkret vor Ort entspannen“, sagt der Bürgermeister. Über den Standort der Einrichtung lasse sich diskutieren. Aber: „Es war das, was wir zur Verfügung stellen konnten. In Göldern auf dem Festland hat uns ein Grundstück gefehlt.“