Drinnen wird über die gesamte Politik geschimpft, draußen wird gegen die drinnen demonstriert: In Rielasingen-Worblingen gab es am Samstagabend eine Veranstaltung der AfD-Landtagsfraktion. Aufgeboten hatte die Partei die Landtagsabgeordneten Bernhard Eisenhut, Wahlkreis Singen, und Anton Baron, Wahlkreis Hohenlohe, sowie die Bundestagsabgeordnete Christina Baum, Wahlkreis Main-Tauber.

Die AfD war zum wiederholten Mal in der Gemeinde, nachdem bereits der frühere AfD-Landtagsabgeordnete Wolfgang Gedeon mehrfach Veranstaltungen in der Talwiesenhalle abgehalten hat, wie Bürgermeister Ralf Baumert auf Anfrage sagte. Nun also die Veranstaltung der Landtagsfraktion am Samstagabend unter dem Titel Bürgerdialog im Festsaal der Talwiesenhalle. Der Ort hatte dabei durchaus Symbolkraft: Direkt gegenüber steht die Leichtbauhalle, in der derzeit etwa 70 Flüchtlinge leben.

Eine Gruppe der Antifa zeigte vor dem Gebäude, was sie von der Veranstaltung drinnen hält. Die Polizei zählte etwa 30 Gegendemonstranten.
Eine Gruppe der Antifa zeigte vor dem Gebäude, was sie von der Veranstaltung drinnen hält. Die Polizei zählte etwa 30 Gegendemonstranten. | Bild: Freißmann, Stephan

Krasse Behauptungen vom Landtagsabgeordneten

Die Gäste in der Halle bekamen einiges zu hören. So behauptete Eisenhut, „der überwiegende Teil derjenigen, die seit 2015 in unser Land gekommen sind, zeigen, dass sie auch vor unserem Volk, unserer Polizei und unserer Lebensweise keinerlei Respekt haben und uns auch noch verachten“.

Ein Blick aufs Beispiel Singen zeigt: In der Stadt leben nach Informationen der Stadtverwaltung Angehörige von etwa 100 ethnischen Gruppen, der Bevölkerungsanteil beträgt etwa 50 Prozent. Eine flächendeckende Unsicherheit ist in der Stadt hingegen nicht zu spüren, bei der polizeilichen Kriminalstatistik schneidet Singen nicht substanziell anders ab als Konstanz. Und die Täter von Aufsehen erregenden Kriminalfällen wie der Messerattacke von 2020 sind verurteilt worden.

Die Gemeinderäte haben verabredet, als politisches Zeichen zum Naturbadfest nach Worblingen zu gehen. Dort trat unter anderem diese ...
Die Gemeinderäte haben verabredet, als politisches Zeichen zum Naturbadfest nach Worblingen zu gehen. Dort trat unter anderem diese Gruppe von Cheerleaderinnen aus Mädchen aus der Ukraine auf. | Bild: Jana Akyildiz

Auch die Gemeindeverwaltung von Rielasingen-Worblingen wird von Eisenhut ins Visier genommen. Das Rathaus miete alle Wohnungen weg, um Neubürger unterzubringen. Eisenhuts Bewertung: „Das sind keine Neubürger, sondern Flüchtlinge und oft aus Gebieten der Ukraine, wo gar kein Krieg herrscht. Warum kümmert sich Selensky nicht um seine Leute?“ Eine bestenfalls irritierende Interpretation, wenn man sich klar macht, dass in der Ukraine gerade Krieg herrscht – und eine Aussage, die weder für Raunen noch für Widerworte im Saal sorgt.

Dabei hat die Gemeinde Rielasingen-Worblingen ihren prestigeträchtigsten Veranstaltungsort an die AfD vermietet. Bürgermeister Baumert begründet das mit einen Vorfall, der sich auf Wolfgang Gedeon bezieht. 2018 wollte der Gemeinderat einen bereits mit Gedeon geschlossenen Mietvertrag annullieren mit der Begründung, dass er wegen der Vorstellung seines neuen Buches eine gewerbliche Absicht verfolge. Dagegen wehrte sich der frühere Abgeordnete juristisch und bekam Recht. Daher habe man keine Handhabe, die Halle zurückzuhalten, erklärt Baumert heute. Und er fährt fort: „Die AfD ist nicht verboten und es ist auch keine Wahlveranstaltung.“

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Zumindest im letzteren Punkt relativiert sich das Bild, wenn man bei der Veranstaltung dabei war. Da hat unter anderem Eisenhut offensiv darum geworben, dass Menschen sich für die AfD bei der Kommunalwahl 2024 aufstellen lassen. Und Thorsten Otterbach, der 2021 erfolglos im Wahlkreis Konstanz für den Landtag kandidierte, kündigte an, einen neuen Ortsverband der AfD gründen zu wollen, und zwar für die Höri und Rielasingen-Worblingen, was einem Kreistagswahlkreis entspricht. Auch für den Kreistagswahlkreis um Engen soll es einen Ortsverein geben.

Fuck AfD, schreiben die einen

Doch die AfD hat auch Gegenwind bekommen. Schon im Vorfeld waren Fensterscheiben an der Halle mit dem Schriftzug „Fuck AfD“ beschmiert worden, sagt Bürgermeister Baumert. Dieser sei am Freitag schon entfernt worden.

Vor der Veranstaltung der AfD in der Talwiesenhalle in Rielasingen-Worblingen haben Unbekannte Schmierereien mit eindeutiger Botschaft ...
Vor der Veranstaltung der AfD in der Talwiesenhalle in Rielasingen-Worblingen haben Unbekannte Schmierereien mit eindeutiger Botschaft an dem Gebäude angebracht. | Bild: Gemeinde Rielasingen-Worblingen

Am Tag der Veranstaltung haben sich Gegendemonstranten vor der Halle eingefunden. Polizeisprecherin Katrin Rosenthal spricht von etwa 30 Personen aus dem antifaschistischen und bürgerlichen Spektrum, auch Vertreter der Letzten Generation seien dabei gewesen. Geschätzt 40 bis 50 Polizisten waren vor Ort, doch eine offizielle Angabe vom Präsidium gibt es dazu nicht. Die Kundgebung blieb friedlich, am Ende der Veranstaltung waren die Demonstranten verschwunden.

Unsäglich, sagen die anderen

Claudia König ist Einwohnerin von Rielasingen-Worblingen und eine der Gegendemonstrantinnen: „Wir sind eine Gruppe von Menschen, die es sehr traurig finden, dass es so eine Veranstaltung direkt neben der Leichtbauhalle gibt.“ Und Matthias Frank ergänzt: „Ich finde die Veranstaltung der AfD unsäglich. Als ob die Menschen in der Leichtbauhalle nicht schon genügend Druck hätten.“

Auch Menschen aus dem bürgerlichen Spektrum zeigen Gesicht gegen die AfD (von links): Claudia König, Monika Sterk, Sieghard Horstmann, ...
Auch Menschen aus dem bürgerlichen Spektrum zeigen Gesicht gegen die AfD (von links): Claudia König, Monika Sterk, Sieghard Horstmann, Matthias Frank, Petra Horstmann und Elsbeth Herold. | Bild: Freißmann, Stephan

Ein Teilnehmer der Gegendemo aus dem antifaschistischen Spektrum kritisiert in seiner Rede die AfD als Partei der sozialen Ungleichheit. Und: „Auch heute versucht sie, faschistische Propaganda unter dem Deckmantel des demokratischen Dialogs zu verbreiten.“

Gedeon saß „für nix“ im Landtag

Drinnen nahmen sich im Kontrast zu Eisenhuts Tiraden die Äußerungen von Anton Baron, Fraktionsvorsitzender der AfD im Stuttgarter Landtag, regelrecht harmlos aus. Er schimpft über, so wörtlich, „Kartellparteien“, die sich den Staat zu Beute machen würden. Das ruft im Publikum auch kritische Töne hervor. Ein Mann bemerkt deutlich hörbar von hinten, dass Wolfgang Gedeon fünf Jahre im baden-württembergischen Landtag gesessen habe, ohne etwas Erkennbares für die Menschen in seinem Wahlkreis zu erreichen.

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Das neueste Thema, auf das die AfD aufspringt, ist die Energiesicherheit. Die hohen Strompreise lägen an einer „idiotischen Bundesregierung“, schimpft Baron und erntet dafür Applaus. Die Lösung seiner Partei: Atomkraftwerke wieder einschalten.

Gentherapie statt Impfung? Das stimmt nicht

Die Bundestagsabgeordnete Christina Baum schimpft ebenfalls, nämlich über die Gesundheitspolitik. Sie behauptet, die „sogenannte Corona-Impfung“ sei in Wahrheit eine Gentherapie, und dass man sich auch dann mit dem Coronavirus infizieren könnte, wenn man eine Blutspende von einer gegen Corona geimpften Person bekommt – über die Spike-Proteine. Das Paul-Ehrlich-Institut, das Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, schreibt hingegen: „Auch nach einer Covid-19-Impfung mit den derzeit zugelassenen Impfstoffprodukten kann Blut oder Plasma gespendet werden.“ Es stimmt also nachweislich nicht, was Baum sagt.

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Baum ist kein unbeschriebenes Blatt: Im Online-Lexikon Wikipedia wird die Politikerin unumwunden als rechtsextrem bezeichnet. Der baden-württembergische Verfassungsschutzbericht von 2021 betrachtet ihre Aktivitäten für den als rechtsextrem eingestuften Flügel, sie gilt als Vertraute von Björn Höcke und als Erstunterzeichnerin der „Erfurter Resolution“, der Gründungsurkunde des Flügels.

Die Polizei beziffert die Zahl der Teilnehmer im Festsaal der Talwiesenhalle auf 123 – unter Berufung auf die Veranstalter.
Die Polizei beziffert die Zahl der Teilnehmer im Festsaal der Talwiesenhalle auf 123 – unter Berufung auf die Veranstalter. | Bild: Freißmann, Stephan

Wie viele Menschen wollten das hören? Laut offiziellen Angaben des Veranstalters seien 123 Besucher bei der AfD-Veranstaltung gewesen, sagt Polizeisprecherin Rosenthal auf Nachfrage. Einige von ihnen meldeten sich nach den Reden auch eifrig zu Wort. Die Beiträge verrieten: Die Botschaften von Empörung und Angst verfangen.