Der Verfassungsschutz beobachtet die Partei schon länger bundesweit als Verdachtsfall, der baden-württembergische Landesverfassungsschutz kam im Juli dazu, ein chaotischer Parteitag mit zwei verfeindeten Lagern hat sie ins Gerede gebracht und nach den jüngsten Personalentscheidungen wird erwartet, dass die Partei weiter ins rechte politische Spektrum wandert. Vor dem Hintergrund dieser Gemengelage teilte die AfD kürzlich mit, dass sie Ende Mai einen Ortsverein für Singen, Steißlingen und Volkertshausen gegründet hat.
Das Personal-Tableau des neuen Ortsvereins besteht zum Teil aus bekannten AfD-Gesichtern. Zum Sprecher des Ortsverbandes wurde Michael Hug aus Volkertshausen gewählt und sein Stellvertreter wurde Steffen Jahnke aus Steißlingen, wie es in einer Pressemitteilung des Ortsvereins heißt. Diese beiden Personalien könnten ein Grund dafür sein, dass ausgerechnet Steißlingen und Volkertshausen auch noch zum Einzugsbereich des neuen Ortsverbandes gehören. Zum Vorstand gehören laut der Mitteilung außerdem Ronny Rether als Schatzmeister und Anita Kraft als Beisitzerin. Beide sind laut der Mitteilung aus Singen.
Der Ortsverein hat schon 24 Mitglieder
Ein Drittel der stimmberechtigten Mitglieder sei bei der Gründungsversammlung dabei gewesen, heißt es darin weiter. In Zahlen bedeutet das, dass acht der 24 AfD-Mitglieder in den drei Gemeinden anwesend waren, wie Hug und Jahnke auf Nachfrage schreiben. Außerdem seien fünf Gäste dabei gewesen.

Damit entsteht in der kommunalpolitischen Szene unterm Hohentwiel ein neuer Teilnehmer, dessen Repräsentanten und Dachorganisation immer wieder durch zweifelhafte Aktionen aufgefallen sind. So entsendet die AfD mit Bernhard Eisenhut einen Abgeordneten in den Landtag, der offen die sogenannten Montagsspaziergänge gegen die Corona-Maßnahmen unterstützt und dort mindestens einmal Werbematerial eines rechtsradikalen österreichischen Internet-Fernsehsenders verteilt hat.
Der Landtagsabgeordnete hat laut eigener Pressemitteilung vom Mai im Landtag gefordert, der Landesregierung die Entscheidungsgewalt über Corona-Maßnahmen zu entziehen. Und im Januar forderte er in einer Pressemitteilung, keine Schwerpunktermittlungen wegen Impfpassdelikten zu unternehmen – wobei er in Zweifel zog, ob es sich bei Corona überhaupt um eine wirkliche Pandemie handle.
Eisenhut habe den Mitgliedern des ersten AfD-Ortsverbandes in der Region gratuliert, ebenso wie Kreissprecher Walter Schwaebsch, heißt es in der Pressemeldung.
Was will die AfD mit ihrem Singener Ortsverein erreichen?
Mittelfristig wolle man lokalpolitische Akzente setzen, schreiben Hug und Jahnke auf Anfrage. Und die AfD soll ein „realistisches Gesicht“ bekommen, heißt es darin außerdem. Der Ortsverein positioniert sich dabei klar als Sammelbecken für Unzufriedene. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung wachse, behaupten Hug und Jahnke. „Vor diesem Hintergrund sehen wir unseren Chancen derzeit sehr zuversichtlich entgegen.“ Eine eigene Liste für die Kommunalwahl 2024 werde angestrebt.
Einen Großteil der Wähler verorte man bei Arbeitern, Angestellten und Rentnern sowie „konservativ-bürgerlich denkenden Menschen unserer Region“. Und auch bei den Jugendlichen wollen die Rechten Stimmen sammeln.
Kampfansage an etablierte politische Kräfte: Das sagen CDU, SPD und Grüne
Das darf man getrost als Kampfansage an die etablierten politischen Kräfte in Singen verstehen. Deren Vertreter äußern sich zwar besorgt angesichts der Gründung des neuen Ortsvereins, aber auch kämpferisch. So schreibt Franz Hirschle, Vorsitzender des CDU-Ortsvereins Singen, es mache ihm Sorgen, wenn undemokratische Parteien, die Spaltung in der Bevölkerung säen würden und Putins Krieg nicht scharf verurteilen würden, sich hier noch mehr sesshaft machen wollen würden. Begegnen wolle man dem mit Argumenten und Aufklärung. Und Hirschle kündigt an: „Wir als demokratisch legitimierte Partei werden mit Argusaugen aufpassen und die Programme der AFD uns anschauen.“
Berthold Jörke, Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Singen, weist darauf hin, dass die AfD bei den zurückliegenden Landtags- und Bundestagswahlen starke Verluste habe hinnehmen müssen: „Sie ist vor Ort ein Phantom, das nicht durch konkrete politische Vorschläge aufgefallen ist.“ Landesweit sei die Partei von Rechtsextremisten dominiert, was der Parteitag deutlich gemacht habe. Auch bei der SPD kündigt man an, die Aktivitäten wachsam zu beobachten. Und: „Durch die Gründung des Ortsvereins hat die AfD in Singen Gesichter bekommen.“

Für den Ortsverband der Grünen schreibt Eberhard Röhm, der relativ hohe Anteil an AfD-Wählern in Singen sei zunächst sehr beunruhigend, weil es sich um unzufriedene Bürger handele. Daher könne die AfD es auch schaffen, bei der nächsten Kommunalwahl in den Gemeinderat zu kommen: „Inhaltlich macht uns das weniger Sorgen, aber es wird insgesamt mühsamer mit den Mehrheitsverhältnissen.“
Um der Herausforderung zu begegnen, müsse man in der Stadt ansprechbar sein und die Sorgen der Bürger ernst nehmen – auch außerhalb des Wahlkampfs: „Der Erfolg der AfD gründet unseres Erachtens darauf, dass die Wähler der AfD das Vertrauen in die Politik verloren und sich in ihrer Opferrolle eingerichtet haben.“
Parteien und Wählervereinigungen reagieren kämpferisch
Kirsten Brößke, Vorsitzende des FDP-Ortsverbands Singen, kündigt Widerstand an: „Wir werden in harte Konkurrenz treten und im politischen Streit mit unseren Konzepten für eine lebenswerte Heimat werben, die auch – und gerade – ohne rechtsextreme Antworten auskommt.“ Die Erfolgsaussichten für die AfD vor Ort relativiert sie mit Verweis auf den Abwärtstrend, in dem die Partei bundesweit stecke. Nun gelte es, enttäuschte Wähler ins bürgerliche Lager zurückzuholen – und zwar über die thematische Auseinandersetzung, etwa über das Thema soziale Gerechtigkeit in Zeiten der Teuerung.
Brößke ist überzeugt, dass die AfD keine Inhalte habe, sondern mit populistischen Attitüden werbe: „Entsprechend werden wir uns mit eigenen Angeboten positionieren, die auf die Bedürfnisse der Menschen eingehen. Deshalb fühlen wir uns angespornt, die Singener mit demokratischen Mitteln von der Unnötigkeit der AfD zu überzeugen.“
„Eine gestandene Demokratie muss verschiedene Ansichten und Meinungen verkraften“, schreibt Detlef Greiner-Perth, Vorsitzender der Freien Wähler in Singen. Auch bei der Wählervereinigung geht man davon aus, dass die AfD in den Gemeinderat kommen könnte. Doch Greiner-Perth ist unmissverständlich: „Eine Möglichkeit der Zusammenarbeit mit der AfD sehen wir nicht.“ Die wichtigste Aufgabe sei es, die „erfolgreiche Arbeit im Stadtparlament der breiten Öffentlichkeit zu vermitteln“.
Neue Linie sieht Aufgaben für etablierte Parteien
Markus Weber, Vorsitzender der Wählervereinigung Neue Linie, schreibt, man mache sich wegen der Neugründung keine Sorgen: „Denn diese Sammlungsbewegung muss sich auch als Ortsverband beweisen, ob sie auf dem Fundament der freiheitlich demokratischen Grundordnung steht.“ Es werde immer Personen geben, die sich von politisch extremen Strömungen angezogen fühlen. Weber sieht die Verantwortung auch bei den etablierten Parteien in Landtag und Bundestag. Wenn diese „ihren Aufgaben ausreichend nachkommen würden, würden sich Menschen nicht abgehängt fühlen“.
Bei der Wählervereinigung SÖS will man durch soziales und ökologisches Engagement im Gemeinderat die Bürger davon überzeugen, „dass die AfD nicht die richtigen Antworten auf die berechtigten Sorgen und Nöte der Menschen hat“, schreibt SÖS-Gemeinderätin Birgit Kloos auf Anfrage. Sie fügt hinzu: „Solange sich die Anhänger und Aktiven dieser Partei auf dem Boden unseres Grundgesetzes bewegen und adäquat kommunizieren, werden wir zum Dialog bereit sein.“ Und: „Leider gibt es in Singen Anhänger der AFD, dies zeigen schon die Wahlergebnisse zu verschiedenen Wahlen.“