Oft war zuletzt davon die Rede, dass Deutschland unpolitisch geworden sei. Es werde nicht mehr diskutiert, gestritten und argumentiert, sondern nur noch weichgespült und moderiert. Wohin soll es mit der Gesellschaft in Deutschland gehen? Wie offen sollte sie gestaltet sein, wie viel Bereitschaft für Wandel zeigen? Fragen wie diese schienen lange nicht allzu viel Bedeutung zu haben.

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Dass solche Fragen allerdings nach wie vor Sprengkraft entfalten, wird deutlich, wenn man Michael Hug und Bernhard Grunewald zum Gespräch bittet. Hug, gebürtiger Singener und wohnhaft in Volkertshausen, will für die AfD im Wahlkreis Konstanz in den Bundestag. Grunewald, gebürtiger Konstanzer und wohnhaft in Singen, ist Vorsitzender des Vereins „Integration in Singen“ (InSi) und seit Jahren in der Flüchtlings- und Integrationshilfe aktiv. Das Menschen- und Gesellschaftsbild der AfD ist Schwerpunkt des Gesprächs. Beide Männer haben einen sehr unterschiedliche Blick auf das Thema. Rasch entwickelt sich ein hitziger und mitunter lauter Schlagabtausch. Der Eindruck während zweieinhalb Stunden: Der Streit ist die einzige Gemeinsamkeit der beiden.

Warum soll man so streng gegenüber Einwanderern sein? Video: Freißmann, Stephan

Der Konflikt entzündet sich schon am Titel des Wahlprogramms der AfD, „Deutschland. Aber normal“. Was darin steht, liest sich streckenweise wie eine Misstrauenserklärung gegen die parlamentarische Demokratie und die anderen im Bundestag vertretenen Parteien. In Hugs Worten vertrete seine Partei ein Gesellschaftsbild, wie es in den 1970er- oder 1980er-Jahren Normalität gewesen sei. Grunewald hält dagegen, dass die AfD zwar normal erscheinen wolle, es aber nicht sei. Die Streitpunkte lassen sich vor dem Hintergrund des Abzugs westlicher Soldaten aus Afghanistan und der Not der Menschen vor Ort durchspielen.

Hugs These: Manche Gruppen lassen sich nicht integrieren

Warum solle man Menschen, die von den Taliban verfolgt würden, denn nicht nach Deutschland holen, fragt Grunewald. Es gebe kein Menschenrecht auf freie Wahl des Aufenthaltsortes, entgegnet Hug. Und man sei in Deutschland doch jetzt schon mit der Integration überfordert. Wo denn die Straßenschlachten und Religionskriege in Singen und im Landkreis seien, fragt Grunewald zurück. Im Bundestag gehe es um den eigenen Wahlkreis und um ganz Deutschland, kontert Hug – und da gebe es durchaus Gegenden, in denen Integration gescheitert sei. Hugs These: Es gebe soziale Gruppen, die sich nicht integrieren lassen wollen.

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Damit zielt Hug vor allem auf Menschen aus manchen islamischen Ländern ab. Die Liste seiner bisherigen Mitgliedschaften, die er in seinem Lebenslauf veröffentlicht, passt in dieses Bild. Von 2011 bis 2015 war er demnach Mitglied der „Bürgerrechtspartei Die Freiheit“, davon zwei Jahre als stellvertretender Landes- und ein Jahr als stellvertretender Bundesvorsitzender. Die Gruppierung wird als rechtspopulistisch und islamfeindlich eingestuft, letzter Bundesvorsitzender bis zur Auflösung 2016 war Michael Stürzenberger. Der Bayerische Verfassungsschutz bezeichnet Stürzenberger auf seiner Internetseite als „weiterhin die zentrale Person der verfassungsschutzrelevanten islamfeindlichen Szene in Bayern“.

Die Singener Innenstadt war der Ort für das Treffen. Das bunte Publikum in der August-Ruf-Straße passt zur Diskussion um das ...
Die Singener Innenstadt war der Ort für das Treffen. Das bunte Publikum in der August-Ruf-Straße passt zur Diskussion um das Gesellschaftsbild einer Partei (von links): Überraschungsgast Bernhard Grunewald, AfD-Kandidat Michael Hug, SÜDKURIER-Redakteur Stephan Freißmann. | Bild: Tesche, Sabine

Und seit deren Gründung 2008 ist Hug laut eigenen Angaben auch bei der „Bürgerbewegung Pax Europa“, zu deren Protagonisten ebenfalls Stürzenberger zählt. Der Bayerische Verfassungsschutz beobachtet den dortigen Landesverband in der Kategorie islamfeindliche Bestrebung.

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Grunewalds zentraler Vorwurf an die AfD lautet: Die Partei vertrete völkisches Gedankengut und schüre Panik, indem sie aufgrund von einzelnen Verbrechern unter den Zuwanderern behaupte, man dürfe niemanden mehr ins Land lassen. Um das zu untermauern, schreckt Grunewald auch nicht vor einem Zitat aus dem NSDAP-Wahlprogramm von 1920 zurück: „Jede weitere Einwanderung Nicht-Deutscher ist zu verhindern.“ Hug wehrt sich heftig: „Das ist unsäglich. Das hört man von der AfD nicht“, sagt er mit Blick auf die Gesamtpartei. Das Recht auf Asyl sei eindeutig geregelt, und Recht und Gesetz müsse man einhalten.

Die Partei und der Rechtsstaat

Doch wie sieht es überhaupt mit dem Rechtsstaat aus? Beschädigt die AfD das Ansehen seiner Institutionen? Grunewald sagt: Ja. Das ist beispielsweise auf Hugs Anwurf gemünzt, dass Oberstaatsanwälte den Weisungen ihrer jeweiligen Länderjustizminister unterstellt seien. Das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG; Paragraf 146) hält tatsächlich fest: „Die Beamten der Staatsanwaltschaft haben den dienstlichen Anweisungen ihres Vorgesetzten nachzukommen.“ Auf Gerichte und Richter, deren Unabhängigkeit im Grundgesetz garantiert ist, bezieht sich das jedoch nicht.

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Die Unabhängigkeit der Justiz infrage zu stellen, empört wiederum Grunewald. Er und sein Verein würden auf die Unabhängigkeit der Justiz vertrauen, betont er mehrfach. Die Frage, ob jemand in Deutschland bleiben dürfe oder nicht, müsse rechtsstaatlich entschieden werden. Und selbstverständlich seien auch er und sein Verein dafür, Verbrechen zu ahnden, der Verein vertrete nur rechtschaffene Menschen. Gegen einen Generalverdacht gegen Migranten wehrt er sich im Gespräch daher konsequent.

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Und wie vertragen sich Hugs Ansichten mit seiner christlichen Orientierung, die er als Mitglied der Christen in der AfD auch in seinem öffentlichen Lebenslauf betont? Hug, der nach eigenen Angaben in einer Pfingstkirche in Stockach aktiv ist, widerspricht der Vorstellung, dass das Christentum nur mit Barmherzigkeit in Verbindung zu bringen ist. Er zitiert aus der Bibel „Das Heil kommt aus den Juden“ (Johannes 4,22) und sagt, dass Jesu Wirken laut den Evangelien eine Ethnie und Region klar bevorzugt hätten. Hugs provokante Einschätzung: „Heute würde Jesus Christus in linken Kreisen als Rechtsradikaler bezeichnet werden.“ Und er setzt noch einen drauf: Der AfD wäre der Gottessohn wohl nicht abgeneigt.

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Auf einen gemeinsamen Nenner kommen die beiden Männer auch nach mehr als zwei Stunden intensiver und teilweise lautstarker Diskussionen nicht. Doch: Unpolitisch ist hier nichts.