Das Gespräch dauert etwa 90 Minuten und es hat es in sich. Hier der Polit-Profi Andreas Jung, auf dem bei der CDU große Hoffnungen ruhen, dort drei Aktivisten der Bewegung Fridays for Future (FFF). Das Besondere an der Begegnung: Manuel Oestringer (25, Chemie-Student), Hannah Bauer (23, Psychologie-Studentin) und Frida Mühlhoff (17, Schülerin) wissen, mit wem sie es zu tun bekommen, der Bundestagsabgeordnete dagegen hat keine Ahnung. Kurz nach 10 Uhr steigt er an diesem sonnigen Vormittag bei Hegne aus dem Seehas und wird mit den Forderungen der Klimaschützer konfrontiert.

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Was überrascht: Ein Eingreifen oder eine Moderation des vom SÜDKURIER arrangierten Treffens ist während der gesamten anderthalb Stunden nicht nötig. Und das Quartett liefert dabei Debatten-Kultur vom Feinsten. Das Trio zielt bei jeder Frage mit argumentativer Schärfe auf die Defizite beim Klimaschutz – sachlich, fundiert, mit Herzblut. Das gilt in gleicher Weise für die Paraden auf Seiten von Andreas Jung und er agiert auf absoluter Augenhöhe: Keine Spur von Überheblichkeit, kein Ausweichen, keine Befindlichkeiten.

Plakative Präsentation einer aus Sicht der Klimaschützer verfehlten Politik: Die drei Vertreter von Fridays for Future konfrontieren ...
Plakative Präsentation einer aus Sicht der Klimaschützer verfehlten Politik: Die drei Vertreter von Fridays for Future konfrontieren Andres Jung mit Daten und Fakten zum Energieverbrauch aus fossilen Quellen.

Unmittelbar auf die Überraschung folgt ein Problem: Wo eigentlich liegen die inhaltlichen Differenzen zwischen dem CDU-Mann und den FFF-Repräsentanten? Deren Fragen drehen sich exakt um jene Themen, die Andreas Jung seit 2005 beschäftigen, als er erstmals in den Bundestag gewählt wird. Nachhaltigkeit ist sein Ding, wobei er nach 16 Jahren für seine Partei ein Glücksfall für die Bundestagswahl am 26. September ist.

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Er nimmt es locker mit den Grünen auf, er versteht die Einbindung sozialer Aspekte in den mit dem Klimawandel einhergehenden Umbau der Gesellschaft und zeigt sich sattelfest in juristischen Bewertungen. Vor allem aber ist er frei vom Image eines Wendehalses, das vielen seiner Parteifreunde von Laschet bis Söder anhaftet. Es wirkt wie bei Winfried Kretschmann: Außen grün und innen schwarz – bei Andreas Jung ist‘s nur umgekehrt. Es ist vermutlich einer der Gründe, warum er sich im zunehmend durchgrünten Wahlkreis Konstanz als unangefochtener Erststimmenkönig hält.

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Wo liegen die Unterschiede?

Doch zurück zu den Unterschieden. Es gibt sie, aber sie sind weniger inhaltlicher als handwerklicher Natur. Aus den Aktivisten sprudelt‘s dabei nur so und die Quelle ihrer Argumente ist die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Wie kann es sein, dass sich die Politik trotz drohender Katastrophen historischen Ausmaßes mit der Klimaneutralität bis 2045 Zeit lassen möchte? Warum nicht schon 2035? Was soll die Pose der angeblichen deutschen Vorreiterrolle beim Klimaschutz, wenn man noch nicht einmal die Gäubahn zum Laufen bringt und mit dem vor zig Jahren beschlossenen Ausbau der B33 eine weitere Spur für den Erhalt des Individualverkehrs in die Landschaft gezogen wird? Wie passt es zum Ziel des Ausstiegs aus der fossilen Energienutzung, dass die Stadtwerke Konstanz 20 Millionen Euro in den Ausbau der Gasleitungsnetzes investieren – ja investieren müssen, weil in Berlin nicht die Rahmenbedingungen so ausgerichtet werden, dass andere Energieträger infrage kommen?

Was tut der Bund für erneuerbare Energien? Video: Hanser, Oliver

Und weiter: Muss denn wirklich erst das Bundesverfassungsgericht die Rechte nachfolgender Generationen in die parteipolitische Agenda einschreiben, und warum beschleicht die Menschen die Ahnung, dass sie dort als Lippenbekenntnis veröden? Wissen die Politiker hierzulande nicht, dass allein die in der Abwicklungsphase befindlichen Projekte (wie etwa der B33-Ausbau) das Klima so stark beeinträchtigen, dass die gesteckten Ziele der Klimaneutralität schwerlich erreichbar sein werden? Warum wird nur schleppend reagiert auf die prognostizierten Kipppunkte, ab denen die Abfolge von Katastrophen sich unabhängig vom menschlichen Tun vollzieht?

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Gelegentlich wird sogar das ganz große Besteck ausgepackt – etwa wenn der globale Süden, der keine oder wenig Verantwortung für den Klimawandel trägt, sich an den Werten des Nordens orientieren soll. „Wir haben den Umbau der Gesellschaft verbaselt, und jetzt sollen die armen Länder auch noch dankbar für die neuerliche Bevormundung sein“, sagt Frida Mühlhoff. Steckt darin nicht der Hohn eines neuerlichen kolonialistischen Ansatzes?

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Es ist ein argumentatives Sperrfeuer, das da auf Andreas Jung niederprasselt, aber es zeigt seine ganze Professionalität, dass sich seine Erwiderungen sämtlich auf eine Gegenfrage reduzieren lassen: Liebe Leute, Ihr habt ja recht – aber wie wollt Ihr das denn alles hinbekommen? Und also packt er aus dem Handwerkskasten praktischer Politik die Werkzeuge aus, mit denen die CDU, Angela Merkel und nicht zuletzt er selbst die Verbindlichkeit der Ziele bereits verschraubt hat. Nur so lässt sich seiner Einschätzung nach das kleine Karo einer auf Deutschland beschränkten Klimaneutralität erweitern. Beim globalen Ansatz sei Europa inzwischen mit dem „Green Deal“ und einer darin eingebauten Dynamik fest verankert, in Mexiko werde parallel zum Techniktransfer kräftig aufgeforstet (übrigens auf Wunsch des Landes und also ohne kolonialistischen Ansatz), über Instrumente wie die Umstellung der Kfz-Steuer auf einen CO2-Maßstab werde sich der Individualverkehr modifizieren und bei der Nutzung der Kohle beispielsweise geht der Politiker aufgrund geänderter Rahmenbedingungen faktisch von einem früheren Ausstieg als dem geplanten Jahr 2038 aus.

Verzicht auf Rechthaberei

Seine Haltung hat dabei etwas Bestechendes: Andreas Jung will nicht Recht haben. Warum auch? Die Argumente der drei FFF-Aktivisten sind seine Argumente, und er vermittelt zum Beispiel glaubhaft den Eindruck, dass auch ihm Vieles viel zu langsam voran geht. So wie er spricht und agiert, könnte Andreas Jung freitags mit der schwedischen Greta um den Block ziehen. Zugleich versteht er es, den drei Zweiflern die ein oder andere Hausaufgabe mit auf den Weg zu geben. Zum Beispiel wenn es um die sozialen Folgen einer rigorosen Klimaschutzpolitik mit Restriktionen ohne Augenmaß geht. Nicht Schrumpfung des wirtschaftlichen Leistungsvermögens führe aus der Krise – Andreas Jung ist überzeugt, dass die Politik auf ein Wachstum auf nachhaltiger Basis setzen muss. „Sonst knallt‘s“, sagt er.