Bis zu 2670 Fahrgäste pro Tag prophezeien die Gutachter der Landesregierung einer Bahnverbindung zwischen Singen und Etzwilen. „Damit besteht eine gute Chance, dass das Land nach einer Reaktivierung die Kosten des Betriebs auf der Strecke vollständig und dauerhaft übernehmen kann“, macht der Landtagsabgeordnete Karl Rombach (CDU) als Betreuungsabgeordneter für den Wahlkreis Hoffnung. Und auch für Parlamentskollegin Dorothea Wehinger (Grüne) ist das Gutachten ein starkes Signal für die Bahnstrecke. „Aktuell sind die Rahmenbedingungen für Reaktivierungsvorhaben so günstig wie noch nie“, hat sie ausgerechnet. Der Bund fördere Baukosten für Reaktivierungsvorhaben mit bis zu 90 Prozent, das Land beteilige sich zudem an den verbleibenden Kosten, so dass im Ergebnis Streckenreaktivierungen mit bis zu 96 Prozent der Baukosten gefördert werden könnten. Das weitere Vorgehen liege nun in den Händen der Akteure vor Ort sind sich die Partner der Grün-Schwarzen Regierungskoalition einig.
Für die Gründerväter des Museumsbahnvereins Singen-Etzwilen war das Ziel schon bei der Übernahme der grenzüberschreitenden Bahnlinie klar: Im Vereinsstatut ist festgelegt, dass irgendwann wieder öffentlicher Verkehr auf der Schiene verkehren soll. „Nur zwei Bedingungen sind uns wichtig“, erklärt Werner Wocher als einer der beiden Vorsitzenden auf Nachfrage des SÜDKURIER. Erstens, der Museumsbahnbetrieb mit vier Fahrtagen im Jahr dürfe nicht behindert werden, und zweitens: „Der Verein kann finanziell nicht mithelfen“, so Wocher. Dennoch ist das Vereinsziel nun wieder ein Stück weiter in greifbare Nähe gerückt, nachdem das baden-württembergische Verkehrsministerium der Schienenstrecke im Rahmen eines Gutachtens zur möglichen Reaktivierung ein hohes Nachfragepotenzial bescheinigt hat.

Ralf Baumert, Bürgermeister von Rielasingen-Worblingen, freut sich über das Ergebnis. „Allerorts wird der Ruf nach Reduzierung des Verkehrsaufkommens auf unseren Straßen immer lauter“, zeigt er sich überzeugt, dass die Reaktivierung der derzeitigen Museumsbahnstrecke die Möglichkeit einer weiteren ÖPNV-Alternative zum Regionalbusverkehr eröffnet. „Wenn selbst das Gutachten zum Ergebnis kommt, dass diese geplante Strecke ein hohes Fahrgastpotenzial mit 2670 Einsteiger pro Tag im Stundentakt zum Ergebnis hat, dann war die Entscheidung in der Vergangenheit richtig, dass die Bahnstrecke nie entwidmet wurde“, betont er die Bedeutung dieses Lückenschlusses zwischen Singen und Winterthur. Sofern sich alle Beteiligten dies- und jenseits der Grenze schnell einig werden, könne es bald zu einer Realisierung kommen. „Das Verkehrsministerium hat den Startschuss gegeben und wir werden sehen, ob und wann die Ziellinie erreicht werden kann.“

Kritik an den Plänen kommen von Anwohnern. „Die Strecke hat auf Grund der Grenzüberschreitung und Anbindung an das Schweizer Bahnnetz diverse Besonderheiten, welche in dieser Massenanalyse nicht wirklich berücksichtigt werden konnten“, wirft Ingo Brunnenkant aus Rielasingen-Worblingen ein. Die geschätzte Fahrgastzahl sieht er, angesichts der wenigen Nutzer des Busangebots zwischen Rielasingen und Stein am Rhein, eher auf dem Streckenabschnitt Rielasingen-Singen. „Aber braucht es hier eine konkurrierende Bahn“, fragt er. ÖPNV solle gefördert werden wo es ökonomisch wie ökologisch sinnvoll sei. Eine Reaktivierung müsse ganzheitlich betrachtet werden und zum Beispiel auch über weitere Haltestellen am Berliner Platz und der Georg-Fischer-Straße nachgedacht werden. „Mit nicht konkret nachvollziehbaren Aussagen, dass es eine enorme Lärmentlastung für Rielasingen geben wird, kann ich nichts anfangen.“

Ralf Derwing von der Initiative Bodensee-S-Bahn (IBSB), die sich stark für die Reaktivierung der Strecke engagiert, sieht dies naturgemäß anders: „Bei den Einsteigern ist diese Strecke führend unter den Strecken der Kategorie B“, betont er. Zudem sei die Strecke dank der hervorragende Arbeit des Fördervereins der Stiftung Museumsbahn in gutem Zustand, sodass nach einer Modernisierung der Sicherungstechnik mit einer recht schnellen Reaktivierung gerechnet werden könne. „Sehr positiv zu gewichten ist die vor Kurzem erfolgte Wiedereröffnung der Strecke für den durchgehenden Verkehr“, sagt Derwing.
„Großteil der Kosten wird bezuschusst“
Ralf Baumert ist als Bürgermeister von Rielasingen-Worblingen ein überzeugter Befürworter des Projekts.
Herr Baumert, wie können die Kosten gestemmt werden?
Der Bund fördert die Baukosten mit bis zu 90 Prozent und das Land beteiligt sich auch, so dass eine Reaktivierung von der Grenze bis nach Singen-Bahnhof mit bis zu 96 Prozent förderfähig wäre. Das Gutachten stellt fest, dass sich die Strecke bereits im zugelassenen Fahrbetrieb befindet und somit „nur“ die sicherheitstechnischen Einrichtungen und die Haltestellen ertüchtigt werden müssten.
Könnte die Strecke elektrifiziert werden?
Da es sich um eine relativ kurze Strecke handelt, wären alternative Antriebstechnologien, wie Akkumulator, Wasserstoff oder Hybrid bestens geeignet. Für längere Strecken ab Singen oder Etzwilen wäre das Mitführen der Zugpaare vorstellbar. Ich persönlich halte eine Elektrifizierung für eine sehr unwirtschaftliche und unwahrscheinliche Variante.
Gibt es Lärmschutzkonzepte für betroffene Anwohner?
Da die Strecke schon immer eine Bahnstrecke war und nie entwidmet wurde, ist zu prüfen, ob ein Lärmgutachten überhaupt erforderlich wäre.
Und was könnte die Reaktivierung für die geforderte Ortsumfahrung bedeuten?
Die Reaktivierung wäre eine gute Ergänzung zu einer Ortsumfahrung-West über die das Land in den kommenden Monaten erneut entscheiden möchte. Das eine schließt das andere nicht aus, da die Ortsumfahrung den überregionalen Verkehr insgesamt aus Rielasingen verbannen soll. Insbesondere der zunehmende Schwerlastverkehr mit mehr als 700 LKW pro Tag von und in die Schweiz und insgesamt mehr als 14.000 Fahrzeugen in der Ortsmitte von Rielasingen ist ein untragbarer Zustand. (bie)