Wenn sich die Trychler mit ihren schweren Kuhglocken vom Steiner Untertor den Weg durch die Menschenmenge zum Rathausplatz bahnen, ist das dunkle Grollen schon von Weitem zu hören. Auch wenn einige von ihnen in der jüngeren Vergangenheit als Systemkritiker auftraten, weil sie als sogenannte „Freiheitstrychler“ bei Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen zu sehen waren – in Stein am Rhein folgen sie einer alten Tradition, die am Nikolaus- und am Neujahrstag gepflegt wird. Und so gehören sie auch zur Eröffnung der 23. Steiner Märlistadt, die bis zum 2. Januar große Besuchergruppen aus der näheren und weiteren Umgebung anziehen wird.
Denn Stein am Rhein hat sich in der Adventszeit zu einem Publikumsmagnet in der Nord-Ost-Schweiz entwickelt. Zu verdanken ist das dem Engagement des Gewerbevereins unter dem Vorsitz von Antonino Alibrando. Im Jahr 2000 beschlossen die Händler, dem Winterschlaf der historischen Altstadt ein Ende zu setzen. Nach den großen Touristenströmen in den Sommermonaten kam das Leben im Winter nahezu zum Erliegen. Dem wollte man etwas entgegensetzen. Der Märliweg war geboren.
Mittlerweile kommen sogar Besucher aus Frankreich, Italien und natürlich aus Deutschland, um das Märchenwunder von Stein zu genießen. Die Stadt präsentiert sich in ihrer historischen Kulisse im weihnachtlichen Lichterglanz. In den schön dekorierten Schaufenstern werden an 20 Stationen die Etappen des jeweiligen Wintermärchens erzählt.
Künstlerisch umgesetzt hat sie in diesem Jahr Viviane Itten aus Romanshorn. Diesmal handelt es sich bei „Juna und der Bär“ um eine Adaption des nordischen Märchens „Östlich von der Sonne und westlich vom Mond“. Zum Märliweg gibt es nicht nur Führungen (jeweils Freitag bis Sonntag), sondern auch ein Gewinnspiel mit attraktiven Preisen. Hier haben die Gewerbetreibenden und andere Sponsoren kräftig zusammengelegt.

Überhaupt lebt die Märlistadt vom Enthusiasmus der zahlreichen ehrenamtlichen Helfer und dem Angebot der Standbetreiber. Zum festen Helferkreis gehören 40 Personen. Sie kümmern sich an 22 Tagen zusammen mit vielen Ehrenamtlichen um den reibungslosen Ablauf des Programms. Einige sind von der ersten Stunde an dabei. Fast das ganze Jahr über beschäftigt sich das Organisationskomitee mit der Programmgestaltung.
Tatsächlich ist das Angebot so umfangreich, dass es auf viele Schultern verteilt werden muss. Da gibt es Bastelangebote, kulinarische Besonderheiten in den Holzhütten, die dann an den offenen Feuerstellen verzehrt werden können. Es gibt Weihnachtsartikel und ein umfangreiches Unterhaltungsprogramm.
Viele Helfer machen Großereignis erst möglich
Die Veranstalter verstehen sich als große Familie, die etwas für Familien bieten wollen. Dabei setzt man bewusst auf ein niederschwelliges Angebot, das auch Menschen mit kleinem Geldbeutel den Zugang erlaubt. Die Märliwegführungen sind kostenlos; die Nachtwächterrundgänge mit Thomas Harzenmoser müssen reserviert werden und kosten 10 Franken. Im Märlihuus vor dem Rathaus finden Märchenstunden, Bastelangebote, Theater und Musikveranstaltungen statt.
„Unser Programm ist für die Gäste zu 80 Prozent kostenlos“, sagte Alibrando bei der Eröffnung. So auch dank der Windler-Stiftung die Fahrten mit dem 76 Jahre alten Kinderkarussell.

Stadtrat Ueli Böhni sagte zur Eröffnung: „Es wäre düster in Stein am Rhein, wenn der Touristenstrom abgerissen ist. Wir sind dankbar für die große Leistung des Organisationskomitees und aller Unterstützer. Das jährliche Märli zieht sich wie ein roter Faden durch die Stadt.“
Im nächsten Jahr steht ein Jubiläum an
Schon jetzt beginne die Planung für das kommende und zum Teil für das übernächste Jahr, sagte Antonino Alibrando. Denn 2026 werde man mit der 25. Märlistadt ein Jubiläum feiern. Der Chef-Organisator verweist auf das große Interesse, das er an 3,3 Millionen Webseiten-Aufrufen festmacht.
Ein besonderer optischer Magnet ist auch in diesem Jahr wieder der mächtige Weihnachtsbaum auf dem Rathausplatz. Er ist 14 Meter hoch und wurde vor 30 Jahren in Eschenz gepflanzt. Ein Privatmann habe damals einen Baum gekauft, der nicht größer als fünf Meter werden sollte, erzählt Alibrando schmunzelnd. Jetzt wurde ihm der Baum zu wuchtig, so dass er ihn der Märlistadt zur Verfügung stellte.