Selten wurde in Deutschland so viel gestreikt wie 2024: Allein im Verkehr wurde an über 30 Tgaen gestreikt, zuletzt in den vergangenen Tagen im kommunalen Nahverkehr etwa in Konstanz. Dahinter stecken Gewerkschaften, die bessere Arbeits- und Lebensbedingungen erreichen wollen. Einer der jüngsten Erfolge ist die Vereinbarung der 35-Stunden-Woche bis 2029 zwischen der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer und der Deutschen Bahn. Auch in Singen sind Gewerkschaften vertreten, zum Beispiel der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die IG Metall. Sie wollen am 1. Mai ebenfalls auf solche Themen aufmerksam machen – allerdings nicht mit einem Streik, sondern mit einem Fest.
Seit 2022 findet das Familienfest auf dem Herz-Jesu-Platz statt. Davor wurde die Scheffelhalle genutzt, die im November 2020 abgebrannt ist. Dazwischen liegen zwei Jahre Pause aufgrund der Pandemie. Nun haben die Verantwortlichen das diesjährige Programm vorgestellt. Der Hauptredner des Tages wird Klaus Stein sein, Personalleiter der IG Metall.
Viele Forderungen an die Politik
Frederic Striegler, zweiter Bevollmächtigter der IG Metall und Mitorganisator, betont, wie wichtig der 1. Mai für die Gewerkschaft sowie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist. „Wir wollen wieder gemeinsam für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Gerechtigkeit eintreten“, sagt er. Daher stehen viele betriebliche Themen im Mittelpunkt des Festes. Dazu zählt etwa die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Hans-Peter Menger, Gewerkschaftssekretär bei der DGB, ergänzt: „Wir fordern die Tarifwende mit mehr Tarifbindung. Das bringt Verlässlichkeit und Sicherheit und das brauchen die Menschen.“
Denn wie Striegler erklärt, gebe es immer weniger Einstellungen. Das gehe aus einer im Januar veröffentlichten Umfrage des Ifo-Instituts hervor, also des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung an der Universität München. „Das hängt vor allem mit der aktuellen schwierigen Lage zusammen, die Unternehmen und Personaler verunsichert“, erklärt er.
Außerdem gebe es mehr Insolvenzen im Land. So wird Automobilzulieferer BCS Automotive Interface Solution in Radolfzell dieses Jahr noch geschlossen. Und der Warenhauskonzern Galeria Kaufhof hat zum dritten Mal innerhalb von dreieinhalb Jahren Insolvenz angemeldet und die Häuser in Singen und Konstanz müssen um ihr Bestehen bangen. „Die komplizierte Bürokratie und der Fachkräftemangel sind oft hausgemacht“, sagt Striegler. „Wir fordern ein klares Bekenntnis von der Politik zum Industriestandort Deutschland.“
Klares Zeichen gegen rechts
Die Gewerkschaften haben aber nicht nur betriebliche Themen auf dem Herzen. So werde am 23. Mai das deutsche Grundgesetz 75 Jahre alt. Das soll ebenfalls gefeiert werden. „Wir wollen mit der Maifeier auch ein Zeichen für Solidarität setzen“, sagt DGB-Kreisvorsitzender Klaus Mühlherr, denn politisch gebe es auch in dieser Hinsicht viel zu diskutieren.
Die Gewerkschaft hatte sich schon bei der Kundgebung gegen rechts Ende Januar beteiligt, bei der über 4000 Menschen teilgenommen haben. „Wie manche Menschen offen über Deportation unter dem Begriff der Remigration sprechen, ist besorgniserregend“, äußert Mühlherr seine Bedenken zur Entwicklung der AfD. DGB-Gewerkschaftssekretär Hans-Peter Menger macht aber deutlich: „Trotz vieler politischer Botschaften soll es ein familienfreundliches Fest werden.“
Umso mehr freuen sich die Veranstalter, dass sie für das kulinarische Angebot viele ausländische Vereine gewinnen konnten. Auch der Singener Integrationsverein Insi werde mit einem Infostand vertreten sein. „Der Verein wird über verschiedene Themen beraten, auch zur Kommunalwahl“, erklärt Mühlherr. All das soll zum interkulturellen Austausch beitragen.
Nach dem Maifeiertag ist vor dem Maifeiertag
Wie die Organisatoren erklären, beginnt die Planung für die Veranstaltung schon im November. Dann werden etwa Gespräche mit Partnern geführt, Genehmigungen bei der Stadt eingeholt und technische Fragen geklärt. „Im Grunde beginnt die Vorbereitung aber schon direkt nach der Maifeier mit einer Nachbesprechung: Was war gut, was können wir besser machen“, erklärt Menger. Das Ergebnis können Besucher am 1. Mai erleben.