Dies ist ein geheimes Treffen. In der Scheffelhalle ist von Fasnacht nichts zu spüren. Tische und Stühle sind in einem offenen U für irgendeine Veranstaltung angeordnet. Der rote Bühnenvorhang ist geschlossen. In der Halle herrscht gähnende Leere. Nur ein einsamer Handwerker ist hier zugegen. Und: Gero Hellmuth. Der Künstler empfängt das SÜDKURIER-Team, um ihm einen diebischen Blick auf das neue Bühnenbild für den Poppele-Narrenspiegel zu ermöglichen. Ein roter Pinselstrich der Mitte des Bildes ist noch nass. "Da habe ich noch Farbe nachgelegt", sagt der Singener Künstler. Kurz bevor das riesige Gemälde abgehängt und bis zu seinem großen Stadthallenauftritt in der Zunftschüür eingelagert wird, führt der ehemalige Kunstlehrer noch kleinere Korrekturen aus. Doch das Gesamtbild ist in einem genialen Gestus entstanden. Im Herstellungsprozess hängt es an einem der Theaterzüge in der Scheffelhalle hinter dem roten Vorhang. 45 Quadratmeter Stoff, aus dem ein riesiger Poppele die neugierigen Besucher anspringt.
Poppele, der Geist vom Hohenkrähen, hat das Nordlicht Gero Hellmuth von Anfang an fasziniert. "Er erinnert mich an den kleineren Lütt Puck aus Schleswig-Hostein, wo ich groß geworden bin", sagt Hellmuth. "Noch heute gibt es alte Bauern, die eine Schale mit Hirsebrei auf den Dachboden stellen, um den Geist zu besänftigen."
Der Poppele fließt dem Künstler leicht aus der Hand. 29 Bühnenbilder hat Hellmuth inzwischen für die Singener Poppelezunft gemalt. Immer spießt er das zentrale Thema des abgelaufenen Jahres in der Illusionsmalerei auf. "Die Ideen sprudeln nur so", sagt Hellmuth. "Und die Zunft lässt mir völlig freie Hand." Thema ist diesmal das große Einkaufszentrum "Cano" am Bahnhof, für das sich beim Bürgerentscheid im Juli 2016 eine Mehrheit der Singener Bürger ausgesprochen hat. Mit riesigen Augen und hängenden Tränensäcken hat sich der Poppele über dem "Cano" ausgebreitet. Ein zipfelbemützter Steuerbürger in Form eines Hemdglonker steht mit großem Eimer und noch größerem Besen ratlos am Rand und wartet nur darauf, einen Scherbenhaufen zusammenzukehren. Doch der Eimer ist leer, der Misserfolg noch nicht besiegelt. Eine Fliege schwirrt dem verträumten Glonker vor der Nase herum. "Ihr hat der Steuerbürger nachgeschaut, statt beim Bürgerentscheid zur Wahl zu gehen", sagt der Künstler. Seine sanfte Mahnung ist ihm auch für die Bundestagswahl im September 2017 ein Anliegen. Der Hintersinn liegt ihm, der Holzhammer nicht. Denn eines ist Gero Hellmuth besonders wichtig: "Ich will die Menschen erfreuen."
Weil die brandgeschützte Theaterleinwand sich unter dem Farbauftrag nicht kräuseln soll, muss er sie flächendeckend mit einem Pinsel anfeuchten. Dazu füllt er einen Wassereimer in der Garderobe der Scheffelhalle, läuft mit dem Pinsel einmal an der Leinwand vorbei, bis der Eimer leer ist und füllt ihn in der linken Garderobe wieder auf. Bis zu drei Stunden dauert das Anfeuchten der Plane im Dauerlauf. Erst danach kann er seine Motive auftragen. Die Skizze kann ein Kassenbon sein oder ein anderer Papierfetzen. Sie wird maßstabgetreu auf die Leinwand übertragen, die Konturen mit Kohle gezeichnet. Erst dann sind die Acrylfarben dran.
"Es macht mir ein Vergnügen, so zu arbeiten", sagt Gero Hellmuth und meint damit die leichten Themen. Überall in der Stadt ist seine Handschrift zu sehen. Die bedrückenden Themen, die andere Kunst – wie die Verarbeitung der Nazi-Schrecken – gehen ihm nicht so leicht von der Hand. Hier grübelt er wochen- oder monatelang, bis ein Werk entsteht. Die bunte, fröhliche Fasnachtsmalerei oder die Theatermotive für die Färbe "sind wie der Nachtisch nach einem großen Festmahl", sagt er.
Zur Person
Gero Hellmuth wurde 1940 in Neustrelitz geboren. Nach dem Abitur in Stuttgart studierte er an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe bei den Professoren Klaus Arnold, Peter Dreher, Gottfried Meyer, Studium der Kunstwissenschaft und Philosophie in Freiburg, Karlsruhe, Stuttgart. Seit 1971 lebt er in Singen. 1974 bat ihn der damalige Schulleiter des Hegau-Gymnasiums, das Bühnenbild für den Poppele-Narrenspiegel zu malen. Der Kunstlehrer nahm die Aufgabe an und malt die Kulissen bis heute. (gtr)