Schlank, blass und in Roben gewandet, so dürften sich die meisten Menschen einen christlichen Missionar vorstellen. Sam Childers sieht aus, als hätte sich ein Comic-Künstler das genaue Gegenbild dazu ausgedacht: Der Mann mit dem Zottel-Schnauzer, der gerade vor der ersten Stuhlreihe der Scheffelhalle auf und ab marschiert, ist klein, braungebrannt und stämmig. Er trägt ein Harley-Davidson-Shirt und hat seine grau-schwarze Mähne zu einem Zopf zusammengebunden. Wenn er die Hände zur Faust ballt – und das tut er ausgesprochen gerne – dann kann man die Tätowierung auf seinem Unterarm lesen: "Preacher" steht da geschrieben.
Ja, Sam Childers ist ein Prediger – und ein äußerst unterhaltsamer dazu. Bei den von der christlichen Freikirche ICF ausgerichteten "Days of Power" in Singen tritt der US-Amerikaner als Star-Gast auf. Und Power versprüht Childers in rauen Mengen. In den vergangenen 15 Minuten hat er den 480 Zuschauern mit donnernder Stimme von einem Rastplatz erzählt, den er in den USA errichten wollte. Die Stimme Gottes habe ihm genau beschrieben, wo er auf dem Bauplatz einen Brunnen bohren solle. So weit so gut. "Als die Geologen eintrafen, haben sie mir gesagt, dass an der Stelle nur Fels zu finden sei", berichtet Childers und senkt seine Stimme: "Keine Spur von Wasser!"

Er habe darauf bestanden, dass die Arbeiter weiter bohren – tiefer und tiefer und tiefer. Und tatsächlich: Nach exakt 72,5 Metern stieß die Bohrmaschine auf klares kaltes Quellwasser. Applaus in der Scheffelhalle. Zugegeben, er prahle ein bisschen, gibt Childers zu – aber er prahle ja für Jesus. "Dann ist das doch irgendwie okay, oder?“, fragt er und lacht verschmitzt in seinen Bart.
Die überwiegend jugendlichen Zuschauer in der Scheffelhalle finden das voll okay. Sie sind an diesem Dienstagabend aus Schaffhausen, Konstanz und Villingen-Schwenningen angereist, um Sam Childers live zu erleben. Das wiederum ist kein Wunder: "Im Internet steht, ich bin der kontroverseste Prediger der Welt", verkündet Childers gleich zu Beginn. Seinen Beinamen "Machine Gun Preacher" – Maschinengewehr-Prediger – hat man dem 55-Jährigen aufgrund seiner kriminellen Vergangenheit verpasst.
Vom Saulus zum Paulus
Aber Childers ist nicht hier, um über seine Zeit als Delinquent und Drogendealer zu sprechen. Es geht ihm um die Wandlung, die er inspiriert vom christlichen Glauben durchgemacht hat – seine Berufung. Denn seit er vor 22 Jahren zum ersten Mal nach Afrika reiste, hat das ehemalige Gang-Mitglied sieben Waisenhäuser und mehr als 40 Brunnen errichten lassen. Heute lebt Sam Childers als Missionar in Uganda.
Einfach sei ihm seine Transformation vom Saulus zum Paulus nicht gefallen: "Ich besaß zu dem Zeitpunkt 17 Häuser und acht Geschäfte", erläutert der Amerikaner. "Ich hatte eine Immobilienfirma. Und ich hatte einen Plan." Er habe vorgehabt, mit 50 Jahren in Rente zu gehen. Nur noch herumreisen, angeln und jagen, beschreibt Childers seinen amerikanischen Frühpensionärs-Traum. "Gott hat alles durcheinander gewirbelt", ruft er und es klingt fast so, als würde er sich beschweren. Dabei ist Childers sichtlich stolz, auf das, was er geleistet hat.
Gerne will der Prediger auch seine Zuhörer inspirieren, sich für den Glauben und die Mitmenschen einzusetzen. Die Priester, die er während seiner Kindheit in den USA erlebt habe, hätten der Gemeinde immer wieder eingeredet: "Ihr braucht Jesus!", sagt Childers. Er glaube, dass das Gegenteil der Fall sei: "Jesus braucht uns!" Aber oft genug sei man abgelenkt. "Wir hören die sanfte Stimme Jesu nicht, weil wir selber nie die Klappe halten", sagt Childers. Und vielleicht, weil diese Erkenntnis ausgerechnet von ihm, dem Dampfplauderer, kommt, muss er kurz schmunzeln.
Das Publikum in der Scheffelhalle ist offen für die Botschaft des Predigers. Als Childers am Ende seines fast zweistündigen Vortrags zum gemeinsamen Gebet einlädt, erheben sich fast alle der knapp 500 Besucher. Mit geschlossenen Augen bitten sie: um einen neuen Job, ein neues Auto, Liebe, Mitgefühl. Childers schließt ganz bewusst eine Vielzahl von Wünschen in sein Gebet mit ein: "Errettung ist für jeden möglich."
Zur Person
Sam Childers wuchs in den Hügeln von Pennsylvania auf. In seiner Jugend war er häufig in Schlägereien verwickelt. Später übernahm er die bewaffnete Bewachung einschlägig bekannter Drogen-Dealer. Schließlich distanzierte sich Childers von diesem Lebensstil und begann, sich intensiv mit dem christlichen Glauben zu beschäftigen. 1998 schloss er sich Missionaren an, die vom Krieg zerstörte Hütten im Sudan wiederaufbauten. Anschließend kehrte er nach Afrika zurück, um ein Waisenhaus zu errichten. Heute lebt Childers in Uganda und hat sieben Waisenhäuser mitaufgebaut. Seine Biografie "Another Man’s War" wurde 2011 mit Gerard Butler in der Hauptrolle verfilmt.
Sekte oder Glaubensgemeinschaft? Wie ICF das Christ-Sein interpretiert
Zum Vortrag von Sam Childers hat ICF eingeladen. Die Abkürzung steht für „International Christian Fellowship“, zu deutsch: „Internationale Christliche Gemeinschaft“
- Selbstverständnis: ICF beschreibt sich selbst als überkonfessionelle Freikirche auf biblischer Grundlage. Ziel sei es, Kirche dynamisch und lebensnah zu gestalten, schreibt die Organisation auf ihrer Homepage. Dabei legt ICF besonderen Wert auf eine zeitgemäße Vermittlung des Glaubens. Das zeigt sich im Einsatz von bewusst emotionaler moderner Musik und Multimedia-Technik.
- Struktur: Die Organisation ist in zehn Ländern aktiv. Unter anderem existieren ICF-Ableger in Israel, Italien, den Niederlanden, Kambodscha und der Schweiz. Der Hauptsitz befindet sich in Zürich. Im Hegau und im Schwarzwald ist ICF in Singen und Villingen-Schwenningen aktiv. Ins Leben gerufen wurde der "International Christian Fellowship" im Jahr 1990, in der Form eines regelmäßigen überkonfessionellen Lobpreis-Gottesdienstes in der St. Annakapelle in Zürich.
Kontroversen: Die "Elterninitiative zur Hilfe gegen seelische Abhängigkeit und religiösen Extremismus" schreibt, dass das nach außen hin poppige Erscheinungsbild im Widerspruch zur konservativen Theologie und den rigiden Moralvorstellungen von ICF stünden. Die Freikirche lehne Sex vor der Ehe ab. Homosexualität werde als Sünde betrachtet. Eine Sekte im klassischen Sinne sei ICF aber mit Sicherheit nicht. "Problematisch ist die Praxis der Dämonenaustreibung im sogenannten Befreiungsdienst, der als gängige Praxis bestätigt wird", erklärt die Elterninitiative. Die seelischen, psychischen und körperlichen Folgen seien nicht kalkulierbar. "Daher ist eine solche Praxis problematisch und kategorisch abzulehnen."
Weitere Informationen zu dem Thema Freikirchen und Sekten finden Sie auf der Internetseite http://www.sektenwatch.de