Die Szenarien wiederholen sich fast minütlich: Eine gehbehinderte Frau steht mit ihrem Rollator ratlos und wütend auf einem Bahnsteig. Zuvor war sie aus dem Zug ausgestiegen, der aus Richtung Gottmadingen kam. Erika Steputsch muss sich mühsam die Treppen hinunterquälen, um für die Weiterfahrt zum Hegau-Klinikum an die Bushaltestelle zu gelangen. Nicht nur für sie gerät der Singener Bahnhof zur Hindernisfalle, sondern auch für die junge Mutter Samantha Busch mit ihrer kleinen Tochter Marilyn im Kinderwagen. Sie will den Aufzug benutzen, doch den gibt es gar nicht, weil die Bahn die Fahrstühle erneuern will. Die Baustelle ist aber schon Monate verwaist. Samantha Busch rollt Stufe für Stufe mit dem Kinderwagen die Treppe hinunter, findet dann aber einen Helfer. "Für solche Aktionen muss ich öfter tätig werden", betont Dieter Feletto. "Dieser chaotische Zustand dauert schon ein gutes halbes Jahr an. Wieso schafft es die Bahn nicht, dass die Aufzüge endlich laufen", wettert Samantha Busch.
"Das geht gar nicht. Die Bahn müsste wenigstens eigene Leute zur Verfügung stellen, die den gehbehinderten Menschen helfen", sagt die Gottmadinger Seniorin Renate Gaßmann. Sie selbst ist wie Kollegin Hannelore Bretz noch gut zu Fuß. Von Bekannten wissen sie aber um die großen Probleme, die viele ältere Menschen auf den Bahnhöfen haben. Noch vor einigen Jahren steuerten Busse von Gottmadingen aus direkt das Klinikum an. Heute müssen die Bürger über innerörtliche Buslinien zum Gottmadinger Bahnhof gelangen, um mit dem Zug nach Singen weiterfahren und dann wieder in die Busse einsteigen zu können, bevor es zum Zielpunkt geht. Es stellt sich oft nicht nur ein Hindernis. Auch ein Gottmadinger Steg-Aufzug ist wieder einmal defekt.

"Das Thema ist ein Dauer-Ärgernis. Gerade die älteren Menschen aus Gottmadingen fordern zu Recht, dass der Bus wieder nach Singen fährt. Es verkehren viele Busse bei Leerfarten auf der Strecke", erklärt Walter Benz, Vorsitzender des Gottmadinger Seniorenbeirats. "Die Anbindung an den Zug klappt nicht, wenn die Steg-Aufzüge nicht benutzbar sind und nach der Rückfahrt aus Singen die Busse schon abgefahren sind, weil der mühsame Treppen-Übergang zuviel Zeit erfordert", so Benz. "Man gewinnt den Eindruck, dass mit Baustellen begonnen wird, dann aber bleibt die Arbeit über Wochen liegen", schimpft der Singener Stadtrat Eberhard Röhm von den Grünen.
"Wir sind sehr ungehalten über die Situation und fordern die Bahn permanent dazu auf, die Probleme mit den stehenden Aufzügen zu beheben. Mehr können wir nicht tun", betont der Gottmadinger Bürgermeister Michael Klinger. "Nach Gesprächen mit dem Betreiber-Unternehmen SBG sind die Busse von Gailingen nach Gottmadingen so getaktet, dass sie maximal Luft bekommen, um die Fahrgäste, die aus dem Zug kommen, aufnehmen zu können. Nach dem Fahrplanwechsel im Dezember gibt es noch eine kleine Ausweitung", betont er. Die Gemeinde könne zwar beantragen, dass wieder eine Buslinie zwischen Gottmadingen und Singen verkehre, dann würde aber auch anderenorts der vom Kreistag beschlossene Grundsatzbeschluss, nicht parallel Schienen- und Busverkehr einzurichten, wieder zum großen Thema werden. Dabei sei durch die erreichten Einsparungen mehr Geld für den deutlich verbesserten Zubringer-Verkehr ausgegeben worden. "Es fahren jeweils morgens und nachmittags Anruf-Sammeltaxis von Gottmadingen nach Singen und zurück.
Das wird aber von den Senioren kaum genutzt, obwohl wir auch über ihre Vertretungen mit unserem selbst finanzierten Faltblatt seit langem verstärkt werben", schildert Klinger. Es gelte, das gut funktionierende Ruftaxi besser zu nutzen.
"Die Konzeption aus dem Nahverkehrsplan des Landkreises hat sich bewährt. Die Mittel im Öffentlichen Personen-Nahverkehr werden so wirtschaftlich, sinnvoll und bedarfsorientiert eingesetzt. Immerhin konnten die Taktzeiten der Regionalbusse wesentlich verbessert werden – bis hin zu einem Halbstundentakt", erklärt Benedikt Graf, Pressesprecher des Landratsamtes Konstanz. Die Schienenstrecke Schaffhausen – Gottmadingen – Singen habe einen stabilen Halbstunden-Takt. "Der Landkreis hält nichts davon, ein seit Jahren bewährtes System aufzugeben, weil einzelne Komponenten nicht funktionieren. Es müsste vielmehr alles daran gesetzt werden, die Aufzüge funktionsfähig zu machen. Das System krankt offensichtlich nur an den nicht funktionierenden Aufzügen, nicht an der Gesamtidee", so Graf. Im Übrigen habe der Landkreis mit den immer stärker genutzten Anruf-Sammeltaxi-Angeboten beste Erfahrungen gemacht.
"Bei den Aufzügen in Gottmadingen gab es nach der Inbetriebnahme technische Probleme, die aber mittlerweile behoben werden konnten.Derzeit auftretende Störungen sind auf Vandalismus zurückzuführen", sagt ein Bahnsprecher. "Die Aufzüge in Singen werden im Rahmen eines Austauschprogramms erneuert, da Alter und Laufleistung dieses erforderlich machten. Leider verzögert sich die Inbetriebnahme wegen Lieferengpässen seitens der beauftragten Firmen", sagt er.
Einige tägliche Verbindungen zwischen Gottmadingen und Singen werden im Auftrag der Südbaden Bus Gesellschaft (SBG) mit dem Anruf-Sammeltaxi bedient, auch an Wochenenden. Sie sind auf dem Fahrplan mit einem Taxi-Symbol gekennzeichnet. Die Anmeldung erfolgt bei der Anruf-Sammeltaxi-Zentrale in Radolfzell unter der Telefon-Nummer (0 77 32) 942 33 38 spätestens 45 Minuten vor Abfahrt. Es gelten die Tarife der Verkehrsverbund Hegau Bodensee (VHB). Auf Wunsch sind Zusatzhalte zwischen den Haltestellen für 1 Euro Aufschlag möglich.