In die Nähe eines Glockenturms zu ziehen und sich dann über das Läuten zu beschweren, ist so absurd wie ein Haus neben einem Bahnhof zu kaufen und anschließend zu verlangen, dass die Gleise stillgelegt werden. Die Ruhestörungen, die an solchen Orten zwangsläufig entstehen, sind alles andere als unvorhersehbar. Man weiß, worauf man sich einlässt. Trotzdem häufen sich die Lärmklagen und immer öfter haben sie Erfolg – so nun auch in Singen.
Die Kirche hat die älteren Rechte
In den vergangenen 107 Jahren läuteten die Glocken der Herz-Jesu-Kirche zu jeder Viertelstunde und waren für viele Singener Orientierungshilfe und lieb gewonnene Tradition zugleich. Damit ist nun Schluss. Weil sich zwei Anwohner über den nächtlichen Lärm beklagten und ein Verstummen des weltlichen Geläuts erzwangen. Dabei hat die Kirche in diesem Fall die älteren Rechte.
Umso bedenklicher ist die Entscheidung der Seelsorgeeinheit, das Läuten der Glocken vorsorglich einzustellen. Die verärgerten Anwohner hatten mit einer Anzeige gedroht, erstattet wurde diese noch nicht. Ein Rechtsstreit sei zu teuer und aussichtslos, argumentiert der Pfarrer. Das ist einerseits nachvollziehbar, andererseits ein fragwürdiges Signal. Wenn finanzielle Mittel heutzutage darüber entscheiden, ob Kirchenglocken läuten dürfen, droht Tradition zu einem Luxusprodukt zu werden, das an den Meistbietenden verscherbelt wird.