Auf den Rängen der Radrennbahn drängten sich zur Eröffnungsveranstaltung 1966 die Zuschauer wie immer – die Wettkämpfe hier zogen seit dem Bau der Bahn mit ihren um 43 Prozent überhöhten Kurven im Jahr 1931 die Massen an. Schließlich maßen und messen sich bis heute in Singen die Spitzenfahrer des Bahnradsports. Auch der eigene Nachwuchs war erfolgreich. Der Velo-Club Singen trainierte Talente wie Albert Fritz, dem späteren Sechstage-Star, und Herbert Honz. Honz gewann in eben diesem Jahr einen seiner elf Deutschen Meistertitel im Zweier-Mannschaftsfahren und fuhr zwei Jahre später bei der Olympiade auf der Höhenbahn in Mexiko den Deutschen Rekord über 1000 Meter.
Honz, der mittlerweile nicht mehr unter den Singener Farben, sondern für Bocholt fuhr, trat auch an diesem Tag an. Mit ihm und den Nationalfahrern und ehemaligen Weltmeistern Link (Stuttgart), Henrichs (Bocholt) und Kobusch (Bocholt), war das Rennen sehr stark besetzt.
Die Wahrnehmung von Willi Steigauf war an diesem Tag ganz auf die Geschehnisse auf der Bahn konzentriert. Steigauf, der selbst Erfolge in der Bahn und auf der Straße aufweisen konnte, war nach seiner Zeit als Radrennfahrer fast sechzig Jahre lang Kampfrichter und als Wettkampfvorsitzender auch für die Abläufe dieses Rennens verantwortlich. Das erste, das der heute 84-Jährige sah, war das Aufschlagen des Sturzringes auf dem Beton der Radrennbahn, der sich vom Haupt seines Trägers gelöst hatte. Der Sturzring war der Vorläufer des Schutzhelmes. Und dann registrierte er das Aufschlagen des Kopfes des Schweizer Jungradsportlers Ruedi Herger, der später im Krankenhaus Singen seinen Verletzungen erlag.
Unfallursache war ein geplatzter Reifen, nicht – wie damals in der Öffentlichkeit diskutiert – die sanierungsbedürftige Oberfläche der Radrennbahn. Das bestätigten auch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Zwar war die Bahndecke im Bereich der Dehnfugen uneben. Aber bis auf Steherrennen, bei denen bei Überhol-Manövern Geschwindigkeiten von 70 Kilometern in der Stunde erreicht wurden und die zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr stattfanden, sei die Bahn für alle anderen Rennen tauglich gewesen, erinnert sich Steigauf.
Dennoch ist dieser wohl schwärzeste Tag in der Geschichte der Radrennbahn Singen in gewisser Weise der Anlass gewesen, sich nun ernsthaft mit ihrer grundlegenden Renovierung zu befassen. Zwei oder drei Rennen gab es noch. Dann wurde es für fast sieben Jahre ruhig im Bahn-Oval.
Damals und heute
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Der schwierige Weg zum Neustart
Dem Velo-Club war es immer gelungen, die notwendigen Unterhaltungsmaßnahmen an der Radrennbahn durchzuführen. Mit dem Großprojekt einer grundlegenden Sanierung waren die Singener Radsportler jedoch sowohl personell als auch finanziell überfordert. Für die Baumaßnahme standen erst Erstellungskosten von 190 000 Mark bald von 250 000 Mark im Raum. Hoffnungen, zum badischen Leistungszentrum zu werden, und mit den damit verbundenen Fördermitteln die Baumaßnahme stemmen zu können, zerschlugen sich.
1971 stand die Finanzierung einigermaßen. Die Stadt Singen stellte 100 000 Mark zur Verfügung, der Badische Sportbund 80 000 Mark. Die Finanzierungslücke sollte mit Spenden und Eigenarbeiten gedeckt werden. Letzteres war auf Grund der dünnen Personaldecke ein Problem. Schließlich wurde jedoch eine Lösung gefunden, wie der ehemalige Kampfrichter Willi Steigauf berichtet: Die Radsportvereine Büßlingen, Bittelbrunn, Gottmadingen, Orsingen, Schlatt unter Krähen, Mühlhausen, Singen und Volkertshausen schlossen sich zur Radrennsport Interessen Gemeinschaft Hegau (RIG) zusammen, die bis heute die Radrennbahn in Singen betreibt. Von den RIG-Mitgliedern wurden mehr als 5000 Stunden an Eigenleistungen mit sehr viel ehrenamtlichem Engagement erbracht.
Im Mai 1972 begannen dann die Bauarbeiten, im Herbst war die Betonfahrbahn durch eine Spezialfirma wieder hergestellt, aber auch ein großer Teil der Mittel aufgebraucht. In den folgenden Wintermonaten wurden die Brüstungen und in Eigenarbeit die Tribünen erstellt. Der Landkreis Konstanz stellte weitere 10 000 Mark zur Verfügung, und auch die Spendenliste der Bürger und der Geschäftswelt konnte sich sehen lassen.
Wie Werner Schwarz, einer der ehemaligen RIG- Vorsitzenden, und der verantwortliche Architekt und frühere Spitzenfahrer Rolf Steger festhielten, wurde die traditionsreiche Sportstätte am 22. September 1973 mit einem Länderkampf Schweiz-Deutschland wieder eröffnet. Noch heute ist die Singener Radrennbahn, unter Radsportlern fast nur als Bahn-Oval bezeichnet, Austragungsort für internationale Rennen. Eine Besonderheit sind die Steherrennen mit Motorrädern. (drm)