„Was reimt sich auf Schuh?“, will Heike Brückner von ihren Schülern wissen. Sofort lässt Erika die Fliegenklatsche auf die Karte mit der Kuh darauf sausen. Heike Brückner nickt anerkennend und ruft das nächste Wort aus. Was sich nach einem Kinderspiel anhört, ist ein effektives Training für Kinder mit Sprachproblemen. Denn Heike Brückner ist an der Singener Bruderhofschule seit Oktober 2021 für die Sprachförderung zuständig.
Laut Informationen der Stadtverwaltung Singen leben aktuell mehr als 13.000 Einwohner in Singen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Das entspricht einem Bevölkerungsanteil von fast einem Drittel. Daher leisten die Schulen eine enorme Integrationsarbeit. „Die Sprache ist das A und O, wenn es um Integration geht. Ohne Sprache geht es nicht“, ist sich Heike Brückner sicher. Jeden Freitag kümmert sie sich um die Sprachförderung an der Bruderhofschule, 45 Minuten lang wird mit sechs Kindern aus der ersten und der zweiten Klasse gelernt. Das geschieht spielerisch, etwa mit einem Wortmemory mit Hilfe der Sprechhexen-Reime. „Wir arbeiten zuerst am Wortschatz“, sagt Brückner.
Wie erfolgreich Schüler im Leben sind, hängt laut Bildungsbericht des Landes Baden-Württemberg zu einem großen Teil vom Bildungsstand der Eltern und deren wirtschaftliche Situation ab. Diese sind bei Einwandererfamilien oft ungünstiger als bei deutschen. Kinder aus Akademikerfamilien hätten laut Bildungsbericht im Südwesten deutlich bessere Chancen als Kinder aus Arbeiterfamilien oder von Arbeitslosen.
Daheim wird oft nicht Deutsch gesprochen
Heike Brückner weist aber noch auf einen anderen Umstand hin: „Viele Kinder sprechen daheim ausschließlich in ihrer Muttersprache, da ihre Eltern gar kein Deutsch können.“ Wenn das Kind dann in die Schule komme, sei es ohne Deutsch schwierig, sich am Schulalltag zu beteiligen. Deshalb rät Brücker: „Kinder sollten daheim neben der Muttersprache auf jeden Fall auch Deutsch sprechen.“ Ein Stück weit mache sie dafür auch die Eltern verantwortlich. „Viele Kinder sind bei uns in der Ganztagesbetreuung, damit wir den Kindern in einem alltäglichen Sprachbad die deutsche Sprache neben dem Lernen in der Klasse auch in den verschiedenen AGs sowie beim gemeinsamen Spiel vermitteln“, sagt Heike Brückner.
Aufgrund der sprachlichen Barrieren sei es auch für die Eltern oft schwierig, ihre Kinder beim Lernen zu unterstützen und beim Leben mit der deutschen Kultur zu begleiten. Bürgermeisterin Ute Seifried ergänzt auf Nachfrage des SÜDKURIER: „Die Unterstützung der Sprachentwicklung und die sprachliche Bildung ist für alle Kinder wichtig, da wir uns die Welt über Sprache erschließen.“
Laut Seifried gebe es in Singen an der Hardt- und der Bruderhofschule insgesamt drei Grundschulförderklassen, die neben anderen Entwicklungsthemen auch Sprachförderung umsetzen würden. Zudem gebe es noch 13 Vorbereitungsklassen an den Singener Schulen, die laut Seifried aber keine Sprachförderung im klassischen Sinn, sondern das grundsätzliche Erlernen der deutschen Sprache zum Ziel hätten. „Dort werden alle Kinder unterrichtet, die erst seit Kurzem in Deutschland sind und die Sprache erst noch lernen müssen“, schildert sie.
In der Schule darf man Fehler machen
Heike Brückner macht ihre Aufgabe gerne. Sie arbeite am liebsten mit Kindern. Was sie aber gar nicht mag: Manche Menschen würden denken, dass Kinder in der Sprachförderung weniger intelligent als andere Kinder seien. „Das stimmt nicht“, betont sie. Sie habe viele Kinder, die sich schwer mit Deutsch tun, aber dennoch sehr gute Schüler seien. Einer ihrer Ansätze sei etwa, den Kindern Mut zuzureden und ihr Selbstvertrauen zu fördern und zu bestärken: „Ich sage ihnen immer: Getraut Euch! Ihr seid in der Schule, da darf man Fehler machen.“
Sprachförderung gibt es auch in den Singener Kitas
Nicht nur an Singener Schulen wird laut Bürgermeisterin Ute Seifried die Sprachentwicklung von Kindern gefordert, sondern auch in den Kindertageseinrichtungen im Stadtgebiet sei dies der Fall.
- Sprache im Alltag integrieren: So würden Kinder dort jeden Tag durch das Konzept der alltagsintegrierten sprachlichen Bildung in ihrer Sprachentwicklung begleitet. „Die Fachkräfte regen nicht nur durch gezielte Angebote, wie Fingerspiele und Lieder, die Sprechfreude der Kinder an, sondern schaffen im Laufe eines Kita-Tages vielfältige Sprechanlässe“, so Seifried. Sie würden den Kindern Möglichkeiten bieten, von sich selbst zu erzählen oder eigene Ideen einzubringen. „Durch offene Fragen im Zuge einer gemeinsamen Bilderbuchbetrachtung oder beim gemeinsamen Forschen und Experimentieren erweitern die Kinder täglich ihre sprachlichen Kompetenzen“, schildert sie. So werde im Gegensatz zu klassischen Sprachförderprogrammen die alltagsintegrierte sprachliche Bildung jeden Tag und immer allen Kindern in der Kita zuteil, so Seifried weiter.
- Die Förderung: Laut Bürgermeisterin Ute Seifried fördert das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms „Sprach-Kitas“ seit 2016 die alltagsintegrierte sprachliche Bildung mit Zuschüssen. Zudem könnten Einrichtungen im Rahmen der Gesamtkonzeption „Kompetenzen verlässlich voranbringen (Kolibri)“ des Landes Baden-Württemberg in jedem Kita-Jahr einen Zuschuss zur Einrichtung kleiner Fördergruppen für Kinder mit festgestelltem intensiven Sprachförderbedarf beantragen. Für Singen bedeutet dies: „In Kooperation mit der Musikschule werden die Kinder in Kleingruppen einmal pro Woche für eine Stunde über das Angebot „Singen – Bewegen – Sprechen (SBS)“ gezielt gefördert“, so Seifried. Es bestehe außerdem die Möglichkeit, die Kinder über den Förderweg „Intensive Sprachförderung plus“ (ISF+) durch eine zusätzlich qualifizierte Fachkraft der Kita in einer Kleingruppe stundenweise zu fördern.
- Hier lernen Kita-Kids im Alltag: Über die alltagsintegrierte sprachliche Bildung erreicht die Stadt Singen alle Kinder in Krippe und Kita. Über das Bundesprogramm „Sprach-Kitas“ werden in Singen derzeit insgesamt 19 Kitas gefördert, davon sieben der elf Kitas in kommunaler Trägerschaft. An der zusätzlichen Sprachförderung im Rahmen des Landesprogramms „Kolibri“ nahmen nur in den kommunalen Kitas im vergangenen Kita-Jahr rund 120 Kinder teil. In den Kitas in Singen kommen sehr viele verschiedene Nationalitäten und Sprachen zusammen – entsprechend der Gesamtbevölkerung Singens. „Der Anteil der Kinder in den Singener Kitas, in deren Familien überwiegend nicht Deutsch gesprochen wird, beträgt im Schnitt 47 Prozent, wobei die Zahlen zwischen den Kitas stark variieren“, sagt Bürgermeisterin Seifried.