Wenn Anne Blatter-Miredin mit detailverliebten Süßigkeiten lockt, kommen dutzende Menschen nach Gottmadingen. „Die feiern das, wenn wir geöffnet haben“, sagt die 27 Jahre alte Konditormeisterin. Viele Kunden konnten bei Instagram schon Bilder und Videos der Törtchen sehen. Sie stehen Schlange, bis sie selbst einen Kuchen am Stiel oder einige Macarons kaufen können – selbst bei frostigen Temperaturen.
Was vor einigen Jahren schon ein seltenes Phänomen war und meist nur auftrat, wenn ein US-amerikanisches Unternehmen sein neues Smartphone auslieferte, ist seit einigen Monaten regelmäßig in Gottmadingen zu beobachten. Menschen nehmen Wege und Wartezeiten auf sich, um etwas Besonderes zu kaufen. Wie schafft die junge Selbstständige das?
Sie baute nach und nach ihr Törtchen-Geschäft auf
Im Dezember sprang Anne Blatter-Miredin ins angewärmte Wasser. „Ich habe lange nichts verkauft und nur Marketing gemacht“, sagt die 27-Jährige über ihre Aktivitäten bei Instagram. Über 16.000 Menschen haben das Profil babobaker abonniert. Nach Ausbildung und dem Meister als Kammersiegerin ging sie nach London, kehrte dann aber wegen der Pandemie heim in den Hegau. Neben ihrer Arbeit im telefonischen Support baute sie ihr Torten-Geschäft auf. Im Dezember kündigte sie den sicheren Job und zog in ihr eigenes Studio.
Wer spontan in das Geschäft gegenüber der alten Realschule spaziert, wird aber keine klassische Kuchentheke finden. Stattdessen brummt da ein großer Kühlraum und es werkelt eine einzelne junge Frau vor sich hin.
Hier sehen Sie im Video, wie es in der Auftragskonditorei Babobaker aussieht
„Ich bin eine Auftragskonditorei“, erklärt Anne Blatter-Miredin. Das sei anfangs besonders der Pandemie geschuldet gewesen. „Ich höre auf mein Bauchgefühl und fange lieber klein an“, erklärt sie. Mit der Auftragsarbeit könne sie sich ihre Zeit frei einteilen – und auch mal spontan einen Auftrag über 1200 Kekse übernehmen. Ist was dran am Klischee einer Arbeit „selbst und ständig“? „Ich hatte seit vier Wochen nicht einen Tag frei“, erwidert die Konditormeisterin. Doch sie wisse, wofür sie das tue.
Alltag im Handwerk zeigen – und Lust darauf machen
Mit anderen Klischees möchte Anne Blatter-Miredin aufräumen. Denn früher habe man sie ausgelacht, als sie von ihren Träumen berichtete. Sie brauche ja keinen Meister, hätten manche Männer gesagt. Wie die Handwerkskammer Konstanz auf Nachfrage erklärt, prägen Männer das Handwerk: Schon bei den Gesellen sind nur knapp 20 Prozent weiblich. Die Verteilung sei ziemlich traditionell: Frauen wählen eher kreative Berufe wie Friseurin oder Konditorin, wie Pressesprecherin Petra Schlitt-Kuhnt erklärt. Aber der Anteil junger Frauen, die Bäckerin, Malerin und Lackiererin oder Schreinerin werden wollen, sei leicht gestiegen.
Und an einigen entscheidenden Stellen würden Frauen sitzen: „Fast jede vierte Gründung im Handwerk erfolgt durch eine Frau. Darüber hinaus sind über 75 Prozent der Handwerksbetriebe Familienbetriebe, die von einem Paar gemeinsam geleitet werden.“ Frauen im Handwerk sei ein Herzensthema der Kammer, daher soll etwa der „Girl‘s Day“ Schülerinnen das Handwerk näher bringen.
Viele Berufskollegen sind nicht so aktiv in sozialen Netzwerken
Auch dass sie so stark auf soziale Netzwerke setzt, sei ungewöhnlich, sagt die Konditormeisterin aus Gottmadingen. Denn viele Berufskollegen würden, wenn überhaupt, nur wenig teilen. „Die Konditoren müssen ein bisschen moderner werden“, sagt die 27-Jährige. Laut Petra Schlitt-Kuhnt ist da tatsächlich noch Luft nach oben. „Betriebe sollten nicht unterschätzen, wie sinnvoll die Einbindung der Beschäftigten in ihre Social- Media-Strategie ist, um mehr Reichweite zu generieren.“
Denn Handwerker könnten online nicht nur ihre Produkte und Dienstleistungen bewerben. Einige würden sich auch als Ausbilder und Arbeitgeber positionieren, was die Kammer immer wieder mit Workshops zum Thema „Social Media in der Nachwuchswerbung“ unterstütze.
Manche Kunden wissen Handwerk nicht zu schätzen
Dadurch, dass Anne Blatter-Miredin bei Instagram zeigt, wie sie arbeitet, werden Kunden zu Fans. Ein Video ging im Februar sogar viral und erreichte bald zwei Millionen Menschen. Darin thematisiert die Konditorin eine Kundenanfrage: Jemand wollte kurzfristig eine Torte für zehn Personen bestellen – und nur 25 Euro bezahlen. „Manchen Menschen ist nicht bewusst, wie viel Arbeit dahinter steckt“, sagt die 27-Jährige. „Umso glücklicher bin ich über meine Kunden.“
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Die Torte, die sie an diesem Vormittag mit bunten Akzenten verziert, hat sich eine Frau zum 30. Geburtstag bestellt. Sie wird 140 Euro dafür bezahlen, ihre 17 Gäste mit einem besonderen Kuchen zu überraschen.
Meister bereitet nicht ganz auf diese selbstständige Arbeit vor
Nach dem Meister sei sie erstmal überfordert gewesen, sagt Anne Blatter-Miredin offen. Denn theoretisch lerne man während der Fortbildung zwar Buchhaltung, aber praktisch werde die Hilfe eines Steuerberaters empfohlen. Auch bei der Kalkulation müsse sie sich selbst ausprobieren, denn wie viele Kuchen und Torten in einem gewissen Zeitraum realistisch sind, lerne man nicht. Kunden sollen nämlich auch ohne vorherige Bestellung von den süßen Backwerken kosten können.
Dafür gibt es sogenannte Popup-Aktionen mit kurzfristigem Verkauf. Meist sind die Aktionen an einen Anlass geknüpft wie Weihnachten, Silvester oder Valentinstag. Die erste Aktion mit dem Café Erich in Singen sei zufällig entstanden. „Es kam super an, wir waren ausverkauft“, erklärt die Konditormeisterin. Weihnachten fand dann die erste Aktion in Gottmadingen statt – und ihr Bruder versorgte die Wartenden mit Punsch, damit sie nicht so frieren.
Back-Experimente kommen im Hegau gut an
Manche der angebotenen Kreationen sind ungewöhnlich für den Hegau: „Wir hatten einen Zitronenkuchen, der aussah wie eine Zitrone, aber das sorgte auch für Skepsis“, erzählt die 27-Jährige lachend. Einige Süßigkeiten seien außerdem vegan. Sie wolle Leute ermutigen, eine einzigartige Torte zu bestellen. Im vergangenen Jahr habe sie beispielsweise ein Torte mit getrockneten Blumen verziert. Das sei jetzt so sehr gefragt, dass ihre Mutter nun die ganze Zeit Blumen pflücken gehen müsse. Ihre Mutter Ulrike Blatter spreche schon von einem Familienunternehmen. Denn auch der Vater ist immer mit helfender Hand zur Stelle, wenn es ums Kochen von Marmelade oder das Aufbauen von Geräten geht. Ehemann Jessy soll ab Juni der erste Mitarbeiter von Babobaker werden – er ist auch Konditor und wird sie in der stressigen Hochzeitssaison unterstützen.
Das ungewöhnliche Konzept der jungen Unternehmerin geht auf: Anne Blatter-Miredin ist momentan ausgebucht.
Das könnte auch anderen Handwerkern blühen, wie Petra Schlitt-Kuhnt von der Handwerkskammer sagt. Etwa die Energiewende würde dazu beitragen, dass das Handwerk in den kommenden Jahren viel zu tun haben werde. Zentrales Anliegen der Handwerksunternehmen für die Zukunft sei es, Fachkräfte zu gewinnen und zu halten, denn die Konkurrenz sei groß.
Handwerkskammer betont Vorteile dieser Branchen
„Umso wichtiger ist es, die Alleinstellungsmerkmale des Handwerks noch besser aufzuzeigen“, so die Sprecherin. Sie zählt etwa kleine Teams auf, außerdem kreative, erfüllende Aufgaben, selbstständiges Arbeiten und gute Karrierechancen. Junge Menschen mit Lust am Gestalten könnten sich sehr gut einbringen – unabhängig vom Geschlecht und auch unabhängig von der Herkunft. Rund acht Prozent der Auszubildenden hätten aktuell einen Flüchtlingshintergrund.