Der Anblick erinnert etwas an das Märchen von Dornröschen: Beim Einbiegen von der Dorfstraße in die Schlossstraße in Bohlingen taucht linkerhand unter riesigen Kastanienbäumen und Tannen ein altes unbewohntes Schloss auf. Eine geschwungene Treppe führt zur großen Eingangstür unter dem Relief mit dem Wappen der einstigen Bischöfe von Konstanz. Der heutige Schlossherr persönlich öffnet die Holztür und erklärt den eintretenden Journalisten, dass das Haus derzeit nur von Tieren wie dem Marder bewohnt sei.

Neue Wohnungen bis Ende 2023
„Der Märchenschlaf ist bald vorbei, hier wird neues Leben eingehaucht“, verrät Andreas Zeiser-Radtke. Er ist Vorstand der SGZ-Bau AG in Emmingen-Liptingen. Die Investoren wollen in dem alten Schloss über vier Millionen Euro an Baukosten investieren und neun attraktive Wohnungen mit insgesamt 850 Quadratmetern Wohnfläche errichten lassen. „Der Baubeginn soll im Jahr 2022 sein, mit dem Einzug in die neuen Wohnungen ist Ende 2023 zu rechnen“, erhofft sich Bauherr Zeiser-Radtke vom Zeitplan. Großes Lob verteilt er an das Bauamt der Stadt Singen und den Bohlinger Ortschaftsrat für deren tolle Unterstützung.

Bauherr verliebte sich in das Schloss
Warum er so ein altes Gebäude mit riesigen Auflagen der Denkmalbehörden sanieren möchte? Die Frage beantwortet Andreas Zeiser-Radtke schnell. „Weil ich mich in das einzigartige Schloss verliebt habe, das wird hier nach dem Umbau sehr urig“, sagt er und steigt mit der Taschenlampe voraus die steile Holztreppe in das Kellergewölbe hinunter. Die meterdicken Steinmauern sollen später in dieser Kellerwohnung einmal sichtbar bleiben, erklärt der Bauherr. Darüber sind im Erdgeschoß und Obergeschoß jeweils drei weitere Wohnungen geplant. In diesen hohen Räumen soll der nostalgische Hauch der noch vorhandenen barocken Raumausstattung mit Türgewänden/-beschlägen und Stuckprofildecken teilweise sichtbar bleiben.
Mägdekammer unter dem Dach
Weil das Außendach bei einer früheren Renovation um 1955 verändert wurde, können die Bauherren weitere Gauben einbauen, somit wird es im Mansardendach zusätzlich zwei Wohnungen geben. Der oberste Dachboden soll indes gedämmt werden, aber im jetzigen Zustand verbleiben. Bei der Besichtigung zeigte Zeiser-Radtke den Journalisten eine noch vorhandene spartanisch eingerichtete Kammer, wo einst bedienstete Mägde oder Knechte direkt unter dem Dach gelebt hatten.
Einst bischöfliches Amtshaus
Das einstige bischöfliche Amtshaus hat von Keller bis zum Dach viele Geschichten zu erzählen. Die alten Steinböden in den Fluren deuten ebenso auf die Jahrhunderte alte Geschichte dieses Schlosses hin, für Überraschungen sorgten auch die denkmalpflegerischen Untersuchungen. Eine Giebelwand in einem Stockwerk ist dem 16. Jahrhundert zuzuordnen und somit deutlich älter als der Bau des Hauses um 1686“ erzählte Andreas Zeiser-Radtke beim Rundgang. Das könnte in der Historie auch ein Indiz dafür sein, dass an dieser Stelle tatsächlich ein Vorgänger-Bau existierte und mit der früheren Burganlage, gegenüber an der Stelle der heutigen Pfarrkirche, eine Einheit gebildet hatte. Eindeutig bewiesen ist diese Theorie aber nicht.

Bis in die 70er ein Gasthaus
Spannend ist die Geschichte des alten Schloss allemal, denn ab 1823 bis in die 1970-er Jahre wurde es als Gasthaus Krone mit Hotelbetrieb geführt. Die letzten Wirtsleute Artur und Friedhilde Müller sind den Dorfbewohnern noch recht gut bekannt. In den vergangenen 20 Jahren war ein Internat in diesem Haus beherbergt. Und noch eine Besonderheit hat das frühere Bischofsschloss zu bieten: Eine alte Wasserleitung mit Tonröhren ist zum Vorschein gekommen, diese führte vor Jahrhunderten schon von einer Quelle am Galgenberg zum Schloss hinunter und versorgte den Bischof mit frischem Wasser.

Video und Geschichte
- Zum Video: In der Reihe „Aufgeschlossen – Vergessene Orte in der Region“ zeigt der SÜDKURIER auf dem Onlinekanal SK on air Videos von verlassenen Orten. Als dritte Folge der Serie öffnet die Tageszeitung am 26. Dezember ihren Internetnutzern die Türen in das Bohlinger Schloss. Zuvor besuchte das SÜDKURIER-Filmteam das Schloss Espasingen und die Klinik St. Blasien.
- Zur Geschichte: Das barocke Schloss in Bohlingen ließ der Konstanzer Bischof Franz Johann Praßberg, Vogt von Altsummerau, bis 1686 als Amtshaus und Jagdschloss erbauen. 1813 ersteigerte der Konstanzer Domkapitular Freiherr von Reichlin-Meldegg das Anwesen und liess es in der weitgehend noch heute erhaltenen Form umbauen. Doch schon 1817 wechselte es durch eine „Lotterie“ erneut den Besitzer, anno 1823 wurde auf dem Schloss bereits gewirtet. Um diese Zeit muss es Kronenwirt Anton Weißmann erworben haben, das einstige hochfürstliche Amtshaus war nun zum „Gasthaus zur Krone“ geworden und blieb es 150 Jahre lang. In Bohlingen steht die „Krone“ auch für den Ursprung der traditionellen Sichelhenke, welche 1958 unter dem damaligen Bürgermeister Martin Hirt im Schlossgarten erstmals gefeiert wurde.