Es hat für bundesweites Aufsehen gesorgt, als bekannt wurde, dass Polizisten in Singen im Februar einen Elfjährigen aus der Gruppe der Sinti und Roma in Handschellen gelegt und zur Wache mitgenommen haben (siehe Text unten). Die Ermittlungen hatte die Kriminalpolizei in Rottweil übernommen, nachdem die Vorwürfe gegen die Singener Beamten laut geworden waren. Wo steht der Fall jetzt und welche Neuigkeiten gibt es?

Die letzte Vernehmung eines in dem Fall betroffenen Kindes hat nun stattgefunden, sagen Andreas Mathy, Staatsanwalt und Sprecher der ermittelnden Staatsanwaltschaft Konstanz, und Mehmet Daimagüler, Anwalt des elfjährigen Jungen, um den es bei dem Fall hauptsächlich geht, übereinstimmend auf Anfrage. Die Vernehmung, die ein Richter vorgenommen habe, habe Ende März stattgefunden. Beim ersten Vernehmungstermin, bei dem der Junge ausgesagt hatte, der in Handschellen abgeführt wurde, sei dieser weitere Junge krank gewesen, sagt Mathy. Und: Vier Polizisten würden als Beschuldigte geführt, so der Staatsanwalt.

Anwälte können Stellung nehmen

Damit kann der Handschellenfall in die nächste juristische Runde gehen. Das bedeutet: Wenn die Niederschrift der Vernehmungen vorliegt, werde die Akte den Verteidigern der beschuldigten Polizisten zugestellt, so Mathy. Diese würden dann höchstwahrscheinlich eine Stellungnahme abgeben. Dabei seien allerdings verschiedene Fristen zu wahren. Die Staatsanwaltschaft bewerte dann, ob es einen hinreichenden Tatverdacht gebe.

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Deswegen geht Mathy davon aus, dass die Staatsanwaltschaft erst Mitte oder Ende Mai entscheidet, ob sie Anklage erhebt – und wenn ja, gegen welchen der Beschuldigen. Sollte die Staatsanwaltschaft einen hinreichenden Tatverdacht für eine Anklage sehen, müsse das Gericht entscheiden, ob es dies teilt. Wie die juristische Aufarbeitung des Vorfalls am Ende aussieht, ist derzeit jedoch noch offen – und selbstverständlich nimmt Mathy keine Bewertungen in der Sache vor.

„Die Entscheidung, ob Anklage erhoben wird, wird voraussichtlich nicht vor Mitte oder Ende Mai fallen.“ Andreas Mathy, ...
„Die Entscheidung, ob Anklage erhoben wird, wird voraussichtlich nicht vor Mitte oder Ende Mai fallen.“ Andreas Mathy, Staatsanwalt und Pressesprecher bei der Staatsanwaltschaft Konstanz | Bild: Oliver Hanser

Auch Anwalt Daimagüler hat Akteneinsicht beantragt und geht davon aus, diese in den nächsten Tagen zu bekommen. Er erwartet, dass es zu einer Anklage und zu einer Hauptverhandlung kommen wird. Denn aus seiner Sicht habe sich bei der richterlichen Vernehmung die Darstellung seines Mandanten, des elfjährigen Jungen, bestätigt: „Er war in den entscheidenden Punkten konsistent und hat übereinstimmende Angaben gemacht.“ Die Vorwürfe gegen die Polizisten wiegen schwer. Auch das öffentliche Interesse an dem Fall sei gegeben.

Was der Junge konkret gesagt hat, dazu äußert sich Daimagüler nicht. Er betont aber, dass die Familie kooperativ gewesen sei. So habe die Mutter des Jungen während der Vernehmung vor der Tür gewartet, damit ihr Sohn möglichst unbefangen aussagen könne. Aus einem Nebenraum seien auch Verteidiger von beschuldigten Polizisten zugeschaltet gewesen, die ebenfalls Fragen an den Jungen hätten stellen können – und dies auch getan hätten, so Daimagüler.

„Er war in den entscheidenden Punkten konsistent und hat übereinstimmende Angaben gemacht.“ Mehmet Daimagüler, Anwalt des ...
„Er war in den entscheidenden Punkten konsistent und hat übereinstimmende Angaben gemacht.“ Mehmet Daimagüler, Anwalt des Elfjährigen, über die Aussage seines Mandanten | Bild: Kay Nietfeld/dpa

Und der Anwalt wundert sich nun vernehmlich darüber, dass bis jetzt, mehr als zwei Monate nach dem Vorfall, kein Behördenvertreter bei der betroffenen Familie vorstellig geworden sei – ein Besuch, der in seinen Augen dem Polizeipräsidenten oder einem Vertreter des baden-württembergischen Innenministeriums obliegen würde. Und Daimagüler legt noch nach: „Ich bin einigermaßen erstaunt, dass der Fall von Innenministerium und Polizeipräsidium mit solcher Lässigkeit gehandhabt wird“, formuliert er seine Einschätzung. Und er fährt schweres Geschütz in Bezug auf die Gesamtsituation der Sinti und Roma auf. Denn er vertrete auch an anderen Orten Geschädigte, die aus der Volksgruppe kommen, wie er berichtet. Anscheinend würden sich manche Beamte darauf verlassen, dass den Geschädigten Geld und Mut fehlen würden, um sich mit rechtlichen Mitteln zu wehren.

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Behörden können keine Auskunft geben

Nun liegt es in der Natur der Sache, dass Behörden zu laufenden Verfahren keine Auskunft geben – denn es gibt ja noch keine Entscheidung, da soll nicht vorgegriffen werden. Entsprechend spärlich lässt sich die Behördensicht oder die der beschuldigen Polizeibeamten darstellen, ehe eine juristische Entscheidung vorliegt. Auch das Innenministerium geht auf die Vorwürfe nicht ein. Unter Verweis auf das laufende Verfahren heißt es aus der Pressestelle: „Deshalb kann das Innenministerium zu möglichen Fragen derzeit keine Stellung beziehen.“ Allerdings gelte generell: „Rassismus und diskriminierendes Verhalten haben in der Landespolizei keinen Platz!“, wie Sprecher Renato Gigliotti weiter schreibt.

Auch das Polizeipräsidium Konstanz gibt dazu keine Stellungnahme ab: „Wir müssen zunächst das Ergebnis der Untersuchungen und die justizielle Bewertung des Sachverhalts abwarten“, lautet die Rückmeldung, die Uwe Vincon, Leiter der Pressestelle beim Polizeipräsidium Konstanz, auf Anfrage verschickt.

Die Vorgeschichte des Falls und eine Kampagne des Innenministeriums

  • Die Vorgeschichte: Der Fall, bei dem Polizisten einen Elfjährigen aus der Gruppe der Sinti und Roma in Handschellen mit zum Revier genommen haben, ereignete sich Anfang Februar. Nach einer damaligen Pressemitteilung des Verbandes Deutscher Sinti und Roma sei die Festnahme grundlos erfolgt und bei einer Befragung seien antiziganistische Sprüche gefallen. Den Beamten sei offenbar klar gewesen, dass der Elfjährige zur Gruppe der Sinti und Roma gehöre. Recherchen vor Ort in der Südstadt haben ergeben, dass der Vorfall offenbar eine Vorgeschichte hatte. Die Kindergruppe, zu der auch der Elfjährige gehörte, habe schon mehrfach Unruhe gestiftet, sagte ein Mann, der mit den Verhältnissen vertraut ist und den Einsatz teilweise verfolgt hat. Der Junge habe als einziger mit den Polizisten diskutiert.
  • Die Kampagne: Das Innenministerium hat Ende März die auch per Youtube verbreitete Kampagne „Wegschauen? Nicht bei uns!“ gestartet, die ein Zeichen gegen Diskriminierung und Extremismus setzen soll, innerhalb und außerhalb der Polizei. Innenminister Thomas Strobl (CDU) wird in der Pressemitteilung so zitiert: „Die Wertschätzung aller Menschen ist Grundlage unseres Handelns. Jegliche Tendenzen, die diese Maxime in Frage stellen, müssen wir bereits im Keim ersticken – innerhalb wie außerhalb der Polizei.“ Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz sagte demnach, dass die Polizisten rund um die Uhr für die Sicherheit der Menschen sorgen würden und extremistische oder diskriminierende Vorfälle die absolute Ausnahme seien: „Trotzdem ist jeder Fall in diesem Bereich einer zu viel!“ Es wird vermerkt, dass Polizisten oft mit Respektlosigkeit, Aggressivität und Gewalt konfrontiert seien. Laut Ministeriumssprecher Renato Gigliotti sei die Kampagne 2020 initiiert worden – völlig unabhängig vom konkreten Vorfall.