Der Fall eines elfjährigen Kindes, das von Polizisten Anfang Februar in Handschellen gelegt und abgeführt wurde, zieht weitere Kreise. Inzwischen liegt eine zweite Anzeige gegen einen Singener Polizisten vor. Dies teilt der Verband Deutscher Sinti und Roma (VDSR) Baden-Württemberg in einer Pressemeldung mit.
Zu der neuen Anzeige sei es laut Mitteilung des VDSR nach der richterlichen Vernehmung des Elfjährigen und weiterer Zeugen gekommen, die am Montag stattgefunden habe. Der Anwalt Engin Sanli, der als Zeugenbeistand bei der Vernehmung dabei gewesen sei, habe die Strafanzeige gegen einen der beteiligten Polizisten gestellt, die auf Beleidigung und Freiheitsberaubung laute.
Laut der Pressemitteilung des VDSR sei bei der Vernehmung bekannt geworden, dass der Beamte eines der Kinder aus der im Februar betroffenen Gruppe gefragt habe, ob es von der „Zigeunerfamilie“ sei, nachdem das Kind seinen Nachnamen genannt habe. Sanli wird beim VDSR damit zitiert, dass dem Kind verwehrt worden sei, ans Handy zu gehen, als sein Vater anrief. Laut VDSR-Sprecherin Chana Dischereit handelt es sich dabei nicht um den Elfjährigen, der im Februar die Handschellen angelegt bekommen habe, sondern um ein anderes Kind.
Das Polizeipräsidium Konstanz äußert sich mit Verweis auf das laufende Verfahren nicht zu dem Vorgang. Dies teilte Uwe Vincon, Pressesprecher des Polizeipräsidiums, auf Anfrage mit. Staatsanwalt Andreas Mathy, der gleichzeitig auch Pressesprecher der Konstanzer Staatsanwaltschaft ist, erklärt die Hintergründe aus Sicht der Behörden. Er bestätigt, dass der elfjährige Junge und eines oder zwei weitere Kinder aus der Gruppe, um die es im Februar ging, am Montag vernommen worden seien.
Noch ist offen, ob Anklage erhoben wird
Diese richterliche Vernehmung sei wichtig gewesen, um eine Grundlage zu haben und zu beurteilen, was an den Vorwürfen gegen die Polizisten dran sei. Wenn das Protokoll der Vernehmung da sei, werde bei der Staatsanwaltschaft entschieden, gegen wen welche Vorwürfe vorliegen. Beispielsweise könnte der nun neu angezeigte Fall vom bisherigen Fall abgetrennt werden, falls man die Vorwürfe voneinander trennen müsse. Auch die beschuldigten Polizisten müssten gehört werden, ehe es um die Frage gehe, ob Anklage erhoben wird. Inhaltlich könne er zu dem Fall allerdings derzeit noch nichts sagen, so Mathy. Auch zu der Pressemitteilung des VDSR gibt er keine inhaltliche Bewertung ab.

Laut Staatsanwalt ist die Vernehmung durch einen Richter die wertvollste, was die Verwertbarkeit angehe. Einerseits sollen Polizisten nicht zu Unrecht in die Mühlen der Justiz geraten. Andererseits solle gerade bei Vorwürfen gegen Polizisten besonders gründlich untersucht werden. Gleichzeitig könne man bei einer richterlichen Vernehmung ein Video aufzeichnen, das anstelle einer erneuten persönlichen Aussage des Kindes in einer Hauptverhandlung abgespielt werden könne – falls es dazu komme.
Und was ist die Rolle von Engin Sanli? Der Anwalt, der seine Kanzlei in Stuttgart hat, war als Zeugenbeistand bei der richterlichen Vernehmung dabei. Das ist quasi eine Hilfe für die Zeugen. Am Telefon erklärt Sanli, dass er diese Rolle für drei der Kinder einnehme, die bei dem Vorfall im Februar vor Ort gewesen seien. Bei der Vernehmung sei aufgefallen, dass es im Zuge des Vorfalls zu einer weiteren Straftat gekommen sei, sagt der Anwalt. Das ebenfalls elfjährige Kind, das davon betroffen gewesen sei, gehöre genau wie der erste Junge der Minderheit der Sinti und Roma an, so Sanli. Und er bekräftigt, dass die Anwälte auf eine Hauptverhandlung vor Gericht hinarbeiten, bei der der Fall juristisch aufgearbeitet wird. Mehmet Daimagüler vertrete weiterhin das Hauptopfer, erklärt Sanli. Doch die Familie des Jungen, um den es bei den neuen Vorwürfen geht, könnte zum Nebenkläger in einem Gerichtsverfahren werden, so der Anwalt.