Singen (pm/gan) Im Kulturzentrum Gems hat ein Kinofest anlässlich einer Reihe von Veranstaltungen für Demokratie und Vielfalt stattgefunden. Darüber informiert Melanie Patzke (Gems) in einer Pressemitteilung.

Auf der Leinwand sieht man Szenen aus dem Stadtgarten – die Aach, zwei Spaziergängerinnen mit Hund. Eine Stimme sagt: „Manchmal haben mich so kleine Fünftklässlerjungs einfach so gefragt, du bist doch russisch, oder? Was hältst du von dem Krieg? Unterstützt du das? (...) Ich beantworte die Frage einfach ganz normal und sag‘, dass ich den Krieg natürlich nicht gut finde und dass ich Krieg nicht unterstütze, weil ich persönlich habe ja nichts mit dem Krieg zu tun. Also diese Frage könnte man jedem stellen, wieso sollte man sie mir stellen – weil ich russische Wurzeln habe? Ich glaube, niemand unterstützt Krieg.“ Die Sprecherin ist eine Schülerin des Friedrich-Wöhler-Gymnasiums (FWG), ein Kind von Spätaussiedlern. Ihr Gesicht ist nicht zu sehen. Ihre Stimme wird begleitet von Aufnahmen des fahrenden Seehas und Kameraeinstellungen, auf denen Ausschnitte der Darsteller zu sehen sind: Schuhe, Hosenbeine, ein Hinterkopf.

„Das äußere Bild“ heißt eine der Filmproduktionen der 9c des Friedrich-Wöhler-Gymnasiums, die im Rahmen des Projekts „spots.“ entstanden ist. Die Klasse hat sich während eines einwöchigen Workshops mit den Themen Diskriminierung, Rassismus, Identität auseinandergesetzt und in zwei Filmen festgehalten, was das für sie ganz persönlich heißt. Unterstützt wurden sie von den Filmschaffenden Tatjana Moutchnik und Jöns Jönsson. Der zweite Kurzfilm heißt „Gedankenfahrt“ und spielt in den Gängen und Räumen des Gymnasiums. Dort offenbaren die Schüler offen und ehrlich, was sie bewegt: Sie sprechen über Ausgrenzung und Zivilcourage, den Alltag in der Schule. Aber auch darüber, wie sich manche lustig machen über die Aussprache türkischer Namen.

Etwa 150 Menschen haben sich diese und weitere Kurzfilme beim Kinofest angeschaut, als krönenden Abschluss des Projekts „spots.“, heißt es in der Mitteilung.

In der ersten Hälfte des Programms wurden in zwei Filmblöcken jeweils drei Kurzfilme gezeigt, die zwei weitere 9. Klassen des FWG in eigenen Kuratierungsworkshops gesichtet und ausgewählt haben. Jede Filmwahl begründeten Schülerinnen und Schüler mit einer kurzen Laudatio. Dabei bestach die Vielfalt der ausgewählten Produktionen: Beispielsweise die bissig-humorvolle Produktion „Revolvo“, in der ein lesbisches Pärchen einen rechtsextremen Politiker mit homophoben Überzeugungen entführt, in den Kofferraum des titelgebenden Fahrzeugs sperrt und ihn nach einer holprigen Spritztour an das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen kettet. Der Animationsfilm „Obervogelgesang“ erzählt in Schwarz-Weiß mit wenigen Farbtupfern über das Leben einer Jugendlichen in Sachsen, einem Bundesland, in dem jeder Dritte einer rechtsextremen Partei die Stimme geben würde. Oder „Unsere Realität“, in dem schwarze Schülerinnen von rassistischen Vorfällen erzählen, die sie erlebt haben. Sexuelle Identität und das Anderssein gegenüber den Erwartungen der Familie, Mobbing aufgrund von Hautfarbe, Körpergewicht, Kleidungsstil, Gruppenzugehörigkeit, und wie viel Mut dazu gehört, Zivilcourage zu zeigen: All das konnten die Kurationsklassen durch die Filmauswahl in die Gespräche auf dem Filmfest einbringen, heißt es weiter.

In den Pausen zwischen den Filmblöcken lud die Moderatorin Lena Schaffer dazu ein, ins Gespräch zu kommen und sich auf den im hinteren Teil des Kinosaals aufgestellten Pinnwänden auszutauschen. Dort konnten die Besucher Bemerkungen und Kommentare auf vorbereitete Plakate schreiben – ein Angebot, das rege genutzt worden sei.

Auch das Bündnis aus FWG, inSi, der Gems und der SKP hatte einen Film ausgewählt, der im Anschluss an die beiden Filmblöcke gezeigt wurde: In „Masel Tov Cocktail“ geht es um einen jüdischen deutsch-russischen Jugendlichen namens Dima, der von einem Mitschüler mit einer antisemitischen Bemerkung provoziert wird. Dima schlägt zu und bricht ihm die Nase. Beide werden eine Woche suspendiert und das Publikum folgt Dima auf dem Weg zu seinem Mitschüler, bei dem er sich entschuldigen soll. Dima trifft auf dem Weg Menschen, die sich stereotyp zu seinem Jüdischsein verhalten: Vom deutschen Jugendlichen, der sich für die Kriegsgräuel der Nazis entschuldigt und von Dima Absolution will, obwohl er doch nichts dafür könne, bis zur Geschichtslehrerin, die das Wort „Jude“ kaum aussprechen kann vor Angst, etwas Falsches zu sagen. Dima spricht immer wieder direkt ins Publikum und lässt es an seinen Gedanken teilhaben. „Masel Tov Cocktail“ wirft mehr Fragen auf, als der Film beantworten will – das führte zu einem regen Gemurmel schon während der Abspann lief. In der Pause unterhielten sich die Gäste angeregt.

Nach der Pause hatten die eingangs erwähnten Produktionen der Filmklasse Premiere und wurden mit Applaus gefeiert. Im „Making-of“ gab die Klasse weitere Eindrücke von den Workshops, die erahnen lassen, dass es der Klasse richtig Spaß gemacht hat, die Filme zu produzieren. Melanie Patzke, die lokale Projektkoordinatorin, überreichte der Klasse zwei goldene Statuetten, die einer Hollywood-Auszeichnung ähnlich sehen, und leitete die Afterparty ein.

Zusammen mit Schülern des FWG habe das Bündnis mit dem Kinofest einen weiteren Meilenstein erreicht, der sich in die Reihe von Veranstaltungen für Demokratie und Vielfalt einreihte – von der Kundgebung in Singen am 27. Januar über die Demokratiekonferenz am 23. Februar und den Vortrag von Landtagspräsidentin Muhterem Aras am 29. Februar im Bürgersaal. Das Interesse an den Themen Demokratie und Vielfalt sei ungebrochen. Das Kinofest habe gezeigt, dass Jugendliche sowohl durch kluge Filmauswahl als auch durch kreative Eigenproduktionen eine eigene Stimme finden und ihre Anliegen und Themen in die Stadtgesellschaft hineintragen können.