In seinem Kopf herrscht totaler Krieg. Zwei Stunden bereits hat Wolfgang Gedeon in der Talwiesenhalle seiner Heimatgemeinde Rielasingen vor rund 20 Getreuen monologisiert, jetzt knüpft er sich Clausewitz (1780 – 1831) vor.
Bekannt ist der Mann vor allem wegen eines Ausspruchs, wonach der Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist. In den Augen von Wolfgang Gedeon taugt der Satz zu nichts mehr. Denn bei Clausewitz bleibt der Krieg ja doch eher die Ausnahme, und das ist für Wolfgang Gedeon ein Zeichen von Schwäche. Die Politik, sagt er, ist Krieg mit anderen Mitteln. Soll heißen: Es gibt nur Krieg, die Politik dient allenfalls seiner Verschleierung.
Wer so durch die Weltgeschichte spaziert, kann sich mit Kleinigkeiten nicht aufhalten. Immerhin, Wolfgang Gedeon räumt ein, dass man sich auch darum kümmern muss. Dinge etwa wie die Kanalisation oder ob auf dem Schienerberg Windräder gebaut werden sollen. Folglich würden die meisten Landtagsabgeordneten ihre Aufgabe darin sehen, dass sie die Interessen ihres Wahlkreises in Stuttgart vertreten.
Die Impfung ist keine Impfung. Sie ist ein medizinisches Experiment. Das wird unter den Teppich gekehrt.Wolfgang Gedeon, über Corona-Impfungen
Er selbst sieht das anders. Das Kommunale werde überbewertet. Er ist überzeugt, dass über den Landtag die ganz große Politik dem Volk vermittelt werden muss. „Was nützt die schönste Kanalisation“, fragt er rhetorisch, „wenn wegen Corona oder der Migration das ganz Große zusammenbricht?“
Aber er gibt sich großzügig. Wer von den Abgeordneten von Feuerwehr- zu Bratwurstfesten ziehen wolle – bitte sehr. Ihm steht der Sinn nach der Bundes- und Außenpolitik. Mindestens. Und bei den globalen Zusammenhängen kennt sich Wolfgang Gedeon aus – er tut zumindest so. Corona beispielsweise. Zu 20 Prozent handle es sich um eine Seuche, zu 80 Prozent um ein groß angelegtes Komplott.
Die ARD, sagt er, ist ein Antifa-Sender, der mit seiner Propaganda der Staatssicherung dient. Ob seine Zuhörer eigentlich wüssten, dass Horst Mahler für seine RAF-Aktivitäten mit einer geringeren Strafe davon gekommen sei als für seine spätere rechtsextremistische Kehrtwende?
Die Migration führt dazu, was wir gerade in den USA sehen. Aber die USA sind selbst schuld. Sie haben die Schwarzen ja ins Land geholt.Wolfgang Gedeon, über das historische Unrecht des Menschenhandels
Für Wolfgang Gedeon ein klarer Fall von Gesinnungsjustiz, aber doch auch dies ziemliches Gekröse im Vergleich zum abendländischen Überlebenskampf. Millionen Migranten müssten dringend sofort ausgeschafft werden, denn das könne sich doch jeder leicht selbst ausrechnen, wenn beispielsweise ein Syrer mit vier Frauen jeweils vier bis fünf Kinder zeuge. Wolfgang Gedeon ist überzeugt, dass Deutschland kaputt geboren werden soll. Es gibt Beifall.
Schade nur, dass die AfD zu einer Ansammlung von Luschen verkommen sei. Wolfgang Gedeon hat ganz besonders Jörg Meuthen auf dem Kieker, mit dem er vor fünf Jahren in den Landtag einzog. Völlig unfähig sei der Mann, und das von Beginn an, als er beim Anspruch der AfD auf den Posten eines stellvertretenden Landtagspräsidenten „nur blöd in die Luft glotzte“. Ein rückgratloser Mensch zudem, und zweifellos vom Verfassungsschutz bearbeitet.
Die AfD kann man nicht wählen, solange Leute wie Meuthen oder die Weidel der verlängerte Arm des Verfassungsschutzes sind.Wolfgang Gedeon, zu einem der von ihm vermuteten Komplotten
Aus Unfähigkeit sei Jörg Meuthen dann ins Europaparlament geflohen, da gab‘s mehr Geld. Was den damaligen AfD-Fraktionschef gleichwohl gewurmt habe, sei der Verlust von Dienstwagen und Chauffeur. „Zeitweise lagen nur Auto-Prospekte auf seinem Schreibtisch“, höhnt Wolfgang Gedeon, während es ihm selbst nie ums Geld gegangen sei. Was bedeutet der Mammon, wenn es ums große Ganze geht.
In seinen Augen keinen Deut besser ist übrigens Bernd Gögel, der amtierende AfD-Fraktionschef im Landtag. Anfänglich ein strammer Mitkämpfer, aber dann sei er vom Verfassungsschutz in die Mangel genommen und umgedreht worden. „Bernd, Du bist mein Judas“, hat Wolfgang Gedeon dem Fraktionschef angesichts der Verwerfungen zugerufen.
Wirklich anfechten tut‘s Gedeon nicht. „Ich werde mich durchsetzen, das ist nur eine Frage der Zeit.“ Um die AfD aber sei‘s geschehen, und als Beleg zieht Wolfgang Gedeon wieder in einen seiner Kriege. Alexander Gauland, die Galionsfigur der AfD, beispielsweise habe gesagt, dass man notfalls für Israel kämpfen müsse, und das sei ja wohl Hinweis genug, dass „der Mann nicht alle Tassen im Schrank hat“.
Nein, bevor er einen von denen wähle, gebe er seine Stimme lieber dem Boris Palmer von den Grünen oder Sahra Wagenknecht von den Linken. Im Übrigen kann er warten. Er sei ein Jahr jünger als Donald Trump und Konrad Adenauer habe erst in sehr viel höherem Alter politisch reüssiert. „Wenn man mich braucht“, sagt Wolfgang Gedeon, „stehe ich bereit.“
Die Nese Erikli meint, dass sie immer gleich klagen muss, nur weil ein Radler an ihr vorbeifährt und sie als Schlampe bezeichnet.Wolfgang Gedeon, über die Landtagsabgeordnete der Grünen
Für keine seiner Behauptungen übrigens liefert Wolfgang Gedeon stichhaltige Belege, aber wer Zweifel hegt, ist seiner Ansicht nach ein Opfer von Fake-News. Trump lässt grüßen – etwa wenn es sich um die angeblich ausgebliebene Berichterstattung im SÜDKURIER über den Anschlag auf Wolfgang Gedeon und die Verbrennung seiner Bücher handelt.
Aber richtig und falsch – was soll‘s angesichts von Tatsachen, die Wolfgang Gedeon für sich verbuchen kann: Er versammelt die Unzufriedenheit, die ihm vor fünf Jahren 20,2 Prozent der Stimmen in Singen und 18,8 Prozent in seinem Heimatort Rielasingen einbrachte. Und Erfolg spiegelt sich sogar in seinen Niederlagen.

Dazu zählt, dass nach dem Rauswurf seine Wiederaufnahme in die AfD-Fraktion mit einem Votum von acht zu neun (!) Stimmen nur aufgrund von drei spontanen Enthaltungen verhindert wurde. Dazu gehört, dass sich die aktuellen AfD-Landtagskandidaten Bernd Eisenhut (für den Wahlkreis Singen/Stockach) und Thorsten Otterbach (Konstanz/Radolfzell) nicht darum scheren, in wessen Fußstapfen sie da treten. Was aber vor allem zum zerstörerischen Vermächtnis des Wolfgang Gedeon zählt: Er betrieb mit den Mitteln des Worts die Zersetzung der stabilen Mitte, die für eine Demokratie unentbehrlich ist.
Die Folgen: Der Anschlag auf Wolfgang Gedeon, die Verbrennung seiner Bücher – sie zeugen nicht nur von Hilflosigkeit, es ist kriminell. Und völlig zu Recht kassierte das Verwaltungsgericht Freiburg den Versuch des Rielasinger Gemeinderats, dem Landtagsabgeordneten die Anmietung der Talwiesenhalle für politische Veranstaltungen zu verweigern. Die Strategie des Krieges in der Spielart der provokativen Unworte – sie ging auf und hat von ihrer perfiden Faszination nichts eingebüßt. Seine Anhänger hängen an seinen Worten wie an denen eines falschen Messias.
Dabei ist Wolfgang Gerdeon noch nicht einmal der Schlimmste vom Lande. Rückblick: Ungefähr in der Mitte seiner Amtszeit diskutiert Wolfgang Gedeon mit seinen Anhänger über das Existenzrecht Israels und er erweist sich als Taube unter den Falken. Nein, dieses Recht könne man Israel nicht mehr nehmen, die Juden hätten es sich erkämpft. Und wer im Krieg besteht, gehört zu den Guten, denn was sagte schon der griechische Philosoph Heraklit? „Der Krieg ist der Vater aller Dinge“, womit Wolfgang Gedeon seine Widerstreiter zähneknirschend befriedet.
Die Maske schadet der Gesundheit. Der Säuregehalt des Blutes ändert sich, was wiederum eine Gefahr für Herzinfarkt-Kandidaten darstellt. Das ist Staatskriminalität und die wissen das alles.Wolfgang Gedeon, über die Maskenpflicht
Man sitzt dabei im Warmen, getrunken wird Stümple, Schorle, Wasser – wie das eben so ist bei politischen Stammtischen. Krieg ist andernorts. Würde Wolfgang Gedeon ihn wirklich kennen, dann wüsste er, dass er nicht der Vater aller Dinge ist. Er ist das Ende.
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