Im Ratssaal herrscht an diesem Mittag ehrfürchtiges Schweigen. Wo es sonst während den Gemeinderatssitzungen schon einmal laut her gehen kann, ist es an diesem Mittag mucksmäuschen still. Gebannt schaut die Handvoll geladener Gäste auf die noch freie Seite des goldenen Buches der Stadt, die sich langsam mit zwei Namen füllt. Nur das leichte Kratzen des Füllfederhalters ist zu hören. Auch Oberbürgermeister Bernd Häusler ist sich sicher: „So etwas erleben wir nicht jeden Tag“, sagt er beinahe flüsternd.

Ehre, wem Ehre gebührt

Alle Augen sind auf Merle Menje und Yannis Fischer gerichtet. Die zwei jungen Athleten aus Gottmadingen beziehungsweise Mühlhausen-Ehingen tragen sich gerade ins goldene Buch der Stadt ein. Warum? „Weil ihr zwei Ausnahmetalente seid“, betont OB Häusler dann mit wieder festerer Stimme. Merle Menje und Yannis Fischer seien nicht nur Athleten. „Sie sind Top-Athleten“, so der Singener Rathauschef. Sie hätten Deutschland bei den Paralympischen Spielen in Tokio hervorragend und sympathisch vertreten. „Ihr seid für viele Menschen in Singen und dem Hegau leuchtende Beispiele, wohin man es mit hartem Einsatz, viel Training und unbändigem Wille schaffen kann. Singen ist eine Sportstadt und ihr zwei zeigt das in außergewöhnlicher Weise“, lobt Häusler.

Viel Lob für junge Athleten

Auch Hans-Peter Storz, Vorsitzender des Stadtturnvereins Singen, für den Merle Menje und Yannis Fischer seit ein paar Jahren an den Start gehen, ist stolz auf die beiden jungen Sportler: „Wir haben jetzt zwei waschechte Paralympioniken in Singen und der Stadtturnverein hat durch Euch Weltniveau erreicht.“ Er habe die Wettkämpfe in Tokio mitverfolgt: „Das, was ihr erlebt habt, kann Euch niemand nehmen. Das war einfach der Wahnsinn“, so Storz weiter. Er sicherte den beiden Athleten weiterhin Unterstützung seitens des Stadtturnvereins zu. Auch in finanzieller Hinsicht.

Merle, das „German Wunderkind“

Und die zwei Ausnahmeathleten im behinderten Sport selbst: Sie geben sich im Singener Rathaus bescheiden. Eigentlich können sie den Rummel um ihre Personen gar nicht so richtig nachvollziehen. „Ich mache einfach nur den Sport, den ich liebe“, sagt Merle Menje. Der Stern der 17-Jährigen aus Gottmadingen ging bei den Para-Europameisterschaften in Polen auf. Seit sie dort im Juni zweimal Gold und zweimal Silber geholt hat, wird sie in den Medien als Ausnahmesportlerin gefeiert.

Vor dem Rennen: Merle Menje bei den Paralympics in Tokio.
Vor dem Rennen: Merle Menje bei den Paralympics in Tokio. | Bild: Sandra Menje

Internationale Medien gaben ihr sogar den Spitznamen „German Wunderkind“. Angesprochen darauf, ob sie sich an diesen Spitznamen schon gewöhnt habe, antwortet Merle mit einem sympathischen Grinsen: „Eigentlich nicht, ich mache nichts anders, wie die anderen Sportler: Ich trainiere hart und gebe mein bestes für meine Leidenschaft.“ Aber die noch ungewohnte Bezeichnung bringe ihr aus Selbstvertrauen: „Man hat dann schon das Gefühl, dass man in den vergangenen Jahren sehr, sehr viel richtig gemacht hat“, sagt Merle.

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Mit sieben Jahren fing sie mit dem Rennrollstuhlsport an. Auf dem Weg hin zur herausragenden Sportlerin konnte sie sich stets auf zwei Menschen verlassen: ihre Eltern. „Meine Eltern haben mich von der ersten Minute an unterstützt. Ohne sie hätte ich dies alles nicht geschafft“, sagt Merle. Die Paralympics 2024 in Paris war das große Ziel von Merle Menje. Doch dann kam alles anders: Merle schafft den Sprung ins Team Deutschland nach Tokio. Die Corona-Pandemie hat ihr dabei in die Karten gespielt: „2020 hätte ich es wohl noch nicht geschafft“, sagt sie. So habe sie ein ganzes Jahre mehr Zeit gehabt, um zu trainieren.

60 Zentimeter bis zu Bronze

Wer mit Yannis Fischer ins Gespräch über die Paralympics in Tokio kommt, der bemerkt schnell das Funkeln in seinen Augen. Der 19-Jährige brennt für seinen Sport und der hat mit einer schweren Kugel zu tun: Yannis Fischer ist Kugelstoßer. 60 Zentimeter haben ihn in Tokio zur Bronzemedaille gefehlt. „Ich war superaufgeregt, schließlich erlebt man das ja nicht jeden Tag“, sagt Yannis.

Im Singener Münchriedstadion kennt man ihn schon. Yannis Fischer hat hier unzählige Trainingseinheiten im Kugelstoßen absolviert.
Im Singener Münchriedstadion kennt man ihn schon. Yannis Fischer hat hier unzählige Trainingseinheiten im Kugelstoßen absolviert. | Bild: Trautmann, Gudrun

Die Aufregung habe sich erst im Stadion gelegt. Der von Sportler viel zitierte Tunnel habe ihn dann erfasst. Dass es am Ende nicht ganz zum großen Wurf gereicht habe, ist für Yannis kein Problem. „Allein an den Paralympics teilzunehmen, war ein Riesenerfolg für mich“, sagt der Mühlhausen-Ehinger. Er habe die Wettkämpfe genossen, obgleich er die Zuschauer im Stadion vermisst habe. Das soll sich 2022 bei der nächsten Weltmeisterschaft ändern. „Die Qualifikation ist mein nächstes Ziel“, sagt Yannis, Dafür trainiere er hart: fünfmal die Woche, davon an zwei Tagen in Stuttgart bei Peter Salzer.

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An die mediale Präsenz und doch einige Interviewanfragen müsse er sich erst noch gewöhnen, betont der junge Sportler. Aber er finde es super, dass der Behindertensport und vor allem die Para-Spiele entwickeln. „Behinderte Sportler erfahren deutlich mehr Aufmerksamkeit, als noch vor Jahren“, betont er.

Nächster Halt: Paris 2024

Und was steht nun an? „Jetzt mache ich erst einmal mein Abi am Wöhler“, sagt Merle Menje. Danach will sie studieren. Lehramt. „Vielleicht für die Grundschule, Englisch wäre cool.“ Yannis Fischer hat sich für ein freiwilliges soziales Jahr entschieden. Und wie könnte es anders sein, natürlich beim Deutschen Olympischen Sportbund. Und dann war da ja noch was: 2024 wollen Merle und Yannis in Paris wieder bei den Paralympics starten – und vielleicht reicht es ja dann für die erste Medaille. „Dann sehen wir uns hier wieder und feiern richtig zusammen“, verspricht OB Bernd Häusler.