Ist das Trinkwasser sicher? Diese Frage ist existenziell für Menschen – und damit auch für die Städte, in denen die Menschen leben. Die Stadt Singen steht praktisch auf ihrem eigenen Grundwasservorkommen, das Gebiet heißt nicht umsonst Singener Becken. Es wird für die Wasserversorgung von zehntausenden Menschen und von mehreren Unternehmen mit Brunnen angebohrt. So haben laut einer Landkarte, die zum neuen Grundwasserströmungsmodell des Radolfzeller Büros Hydrodata gehört, die Firmen Maggi und Fondium sowie die Alu-Betriebe eigene Brunnen, um Wasser für ihre Produktion zu pumpen.

Doch das Grundwasser ist nicht statisch, sondern ein wenig wie ein Fluss. Zahlreiche Einflüsse bestimmen, wie es fließt. Und diese Einflüsse behalten Kommunen im Auge – denn Trinkwasser gehört zur Daseinsvorsorge.

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Die Stadt Singen hat nach mehreren Trockenjahren das Gutachten in Auftrag gegeben, das den Zustand des Grundwassers im Singener Becken unter die Lupe genommen hat. Werner Michel vom Radolfzeller Büro Hydrodata hat das Grundwasserströmungsmodell dem Gemeinderat in der jüngsten Sitzung vorgestellt. Im Hintergrund der Neuberechnung steht auch eine geplante Erweiterung des Kiesabbaus im Radolfzeller Stadtwald, wie seinen Äußerungen zu entnehmen war. Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Welchen Einfluss hat der Kiesabbau?

Laut dem Vortrag von Werner Michel im Gemeinderat soll der Kiesabbau Stadtwald Radolfzell am Abzweig der Bundesstraße 34 von der Bundesstraße 33, Ausfahrt Steißlingen und Singen Industriegebiet, erweitert werden. Die Kiesgrube ist als Nassabbau gekennzeichnet. Das bedeutet, dass Kies unter der Grundwasserlinie abgebaut wird – Eingriffe, die nicht rückgängig zu machen sind, wie das baden-württembergische Umweltministerium schreibt. Damit die Versorgung mit Trinkwasser aus dem Singener Becken nicht gefährdet ist, muss ein Zustrom von Grundwasser vom östlichen Teil in den westlichen Teil des Singener Beckens ausgeschlossen werden. Denn im östlichen Teil liegt der Nassabbau, im westlichen die Trinkwasserbrunnen.

Bislang gibt es zwischen den beiden Bereichen eine solche Grundwasserscheide, wie es der Experte nennt. Diese trennt die beiden Bereiche voneinander. In seinen Berechnungen kommt Michel zu dem Schluss, dass diese Grundwasserscheide auch nach der geplanten Erweiterung des Nassabbaus erhalten bleibe. Das Trinkwasser sei also nicht gefährdet.

Für diesen Bereich wurde das neue Strömungsmodell für das Grundwasser erstellt. Die Grafik zeigt die Brunnen, die das Grundwasser im ...
Für diesen Bereich wurde das neue Strömungsmodell für das Grundwasser erstellt. Die Grafik zeigt die Brunnen, die das Grundwasser im Singener Becken anzapfen. | Bild: Jessica Steller/Ute Schönlein

Haben Neubauten einen Einfluss auf das Grundwassersystem?

In den zurückliegenden Jahren gab es einige große Bauvorhaben in der Kernstadt von Singen – zum Beispiel die Errichtung des Einkaufszentrums Cano oder den Umbau am Herz-Jesu-Platz. Außerdem stehen große Bauprojekte bevor, etwa im Sanierungsgebiet Scheffelareal. Wie aus dem Kurzbericht von Werner Michel hervorgeht, der den Sitzungsunterlagen beiliegt, gab es dazu seit 2015 jeweils Probebohrungen, um die Auswirkungen auf den Fluss des Grundwassers zu überprüfen. Auch in diesem Fall kommt der Gutachter zu dem Schluss, „dass durch die größeren Baumaßnahmen keine signifikanten Änderungen der Grundwasserverhältnisse aufgetreten sind“.

Gibt es Gefährdungen durch Schadstoffe wie Pflanzenschutzmittel?

Werner Michel schreibt, dass bislang in keinem der Trinkwasserbrunnen, die das Grundwasser im Singener Becken anzapfen, Schadstoffe nachgewiesen werden konnten. Eine Ausnahme seien allerdings zwei Brunnen im Münchried, in denen zuletzt 2020 ein Abbauprodukt eines Pflanzenschutzmittels nachgewiesen worden sei. Die Konzentrationen seien zwar oberhalb der Nachweisgrenze, aber noch deutlich unter dem gesundheitlichen Orientierungswert von drei Mikrogramm pro Liter gewesen, heißt es in dem Kurzbericht.

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Auch wenn der Kiesabbau vergrößert werde und trotz des Klimawandels ändere sich nach dem neu berechneten Strömungsmodell daran nichts, heißt es darin weiter. Es sei keine Gefährdung der Grundwassergüte im Bereich der Trinkwasserbrunnen zu erwarten.

Wie wirkt sich der Klimawandel auf das Grundwasser aus?

Spürbar ist der Klimawandel auf jeden Fall. „Man geht davon aus, dass man bis 2050 20 Prozent weniger Neubildung von Grundwasser hat“, erklärte Werner Michel den Gemeinderäten. In seinen Berechnungen kommt er zu dem Schluss, dass in den nächsten 15 Jahren der Grundwasserspiegel nur geringfügig absinken werde – um Werte, die auch im natürlichen Schwankungsbereich lägen.

In der Trockenperiode von 2018 bis 2020 habe man einen niedrigeren Grundwasserspiegel beobachtet, so der Geophysiker. Singen schöpfe aber aus einem großen Reservoir, die Quellen seien nicht trockengefallen. Seit 2021 registriere man wieder einen höheren Grundwasserspiegel.

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Doch Michel erklärte auch, wie labil das Grundwassersystem ist. In den 1970er-Jahren sei deutlich zu viel entnommen worden, sodass der Grundwasserspiegel gesunken sei, sagte er den Räten. In den 1980er-Jahren sei die Entnahme dann wieder zurückgefahren worden. Und derzeit entnehme man etwa drei bis vier Millionen Kubikmeter im Jahr – die kaum fassbare Menge von drei bis vier Milliarden Liter Wasser. Laut Michel ist das aber weniger, als sich im Grundwasser neu bildet.