Wie viel Gehör sich der gesundheitspolitische Sprecher der SPD, Florian Wahl, bei Bundeskanzler Olaf Scholz verschaffen konnte, ist in Singen noch nicht überliefert. Unmittelbar vor dem Landesparteitag der SPD in Friedrichshafen tourte der Sozialausschussvorsitzende zusammen mit seinem Kollegen, dem SPD-Landtagsabgeordneten Hans-Peter Storz, durch den Landkreis Konstanz, um sich ein Bild von der Situation der Gesundheitsversorgung und in der Pflege zu machen. Im Singener Krankenhaus zog er eine ernüchternde Bilanz.
Die schwarz-grüne Landesregierung habe es bisher versäumt, die veraltete Krankenhausbedarfsplanung zu überarbeiten. Er richtete den dringenden Appell an die Verantwortlichen in Stuttgart, verbindliche Investitionsbudgets zu verabschieden.
Düstere Aussichten: Bettenabbau wird weitergehen
Florian Wahl hat sich in den Krankenhäusern Baden-Württembergs umgeschaut und festgestellt: „Aus allen Landkreisen höre ich, dass Investitionsmittel für die Krankenhäuser fehlen.“ Während die Betriebskosten Sache des Bundes seien, trage das Land die Verantwortung für die Investitionen in den Kliniken. Wahl rechnet vor: „Wir brauchen jährlich 800 Millionen Euro vom Land für Investitionen in die Häuser. Dieses Ziel verfehlen wir um 340 Millionen Euro.“
Obwohl das Land gesetzlich für die Krankenhäuser zuständig sei, müssten die Landkreise einspringen, um das Defizit auszugleichen. Die Landkreise seien verpflichtet, die stationäre Versorgung sicherzustellen. „Das Land stößt sich auf Kosten der Kommunen gesund“, erklärt Wahl und vermutet, dass das kein Versehen sei. „Solange das Land keine vernünftige Planung macht und die Krankenhäuser nur zu 50 Prozent finanziert, wird der Bettenabbau weitergehen“, so Wahl. Der Konflikt werde auf die kommunale Ebene verlagert.
Es fehlen Pfleger für die Frühchen
Was das in der Praxis bedeutet, erleben Patienten, Ärzte und Pflegekräfte täglich im Singener Krankenhaus. Dort hatte sich die kleine Delegation zu einem Rundgang mit der Krankenhausleitung und der Betriebsratsvorsitzenden Christa Bartuschek getroffen. Dabei ging es nicht nur um die Finanzierung der Krankenhäuser, sondern auch um die prekäre Situation in der Pflege.
Zwei Beispiele aus der Notaufnahme und der Neonatologie der Kinderklinik verdeutlichen die Probleme. „Wenn wir mehr Pflegekräfte hätten, könnten wir deutlich mehr Frühchen bei uns aufnehmen“, erklärt Christa Bartuschek. Die Kinderklinik ist auf die Versorgung sehr kleiner Frühgeborener spezialisiert.
Vier bis fünf Stunden Warten in der Notaufnahme
Walafried Schrott (SPD), Mitglied im Aufsichtsrat des Gesundheitsverbundes Landkreis Konstanz, schildert die Situation in der zentralen Notaufnahme. „Die ist völlig überlaufen. Da muss man mit Wartezeiten von vier bis fünf Stunden rechnen“, sagt er. Und Christa Bartuschek ergänzt: „Da sind manchmal 150 Patienten am Tag zu behandeln.“ Dafür sei die Notaufnahme viel zu klein. Hier sei eine neue Versorgungsstruktur dringend nötig.
Es gebe bereits eine Planung für den Umzug der Abteilung in das ehemalige Café Lichtblick. Der Umbau werde aber zwei bis drei Jahre in Anspruch nehmen. Und das muss finanziert werden. Man könne nicht auf die Kreis-Krankenhauslösung warten.
Debatte über Strukturproblem fehlt
Für Hans-Peter Storz ist klar, dass sich der Druck auf die Notaufnahme noch weiter verstärken werde, weil die Zahl der Hausarztpraxen im Zuge des demographischen Wandels deutlich abnehmen werde. Gleichzeitig kämen mehr Baby-Boomer als Patienten ins Krankenhaus. Schon jetzt sei die Zahl der Patienten gegenüber 2019 von 35.000 auf 39.000 angestiegen.
„Wir haben ein Strukturproblem bei der ambulanten und der stationären Versorgung“, resümiert Florian Wahl. Das sei nur durch eine übergeordnete Krankenhausplanung zu lösen. Aus der Opposition kritisiert er: „Die entscheidende Debatte wird vom Land verweigert.“
Beeindruckt zeigten sich die Besucher vom Engagement der Pflegekräfte, die weit über ihre Kapazitätsgrenze hinaus arbeiteten. Diese Feststellung bezog sich nicht alleine auf das Klinikpersonal, sondern auch auf die Altenpflege. Ein Abstecher im Pflegeheim St. Verena in Arlen habe der Delegation noch einmal die eindrückliche Leistung der Pflegekräfte vor Augen geführt, besonders auch im Zuge der Corona-Pandemie.
Auf jeder Station müssen Betten frei bleiben
In diesem Bereich müssten die Arbeitsbedingungen verbessert werden, fordert Christa Bartuschek. Ein neuer, besserer Personal-Mix müsse her, sagt sie bezogen auf den gesamten Pflegesektor. „Ausländische Pflegekräfte brauchen mehr Sicherheit. Die Anerkennung der Diplome im Stuttgarter Regierungspräsidium dauere bis zu einem halben Jahr und damit viel zu lange.
Der Mangel an Pflegekräften hat auch im Gesundheitsverbund des Landkreises Konstanz dazu geführt, dass auf jeder Station Betten nicht belegt werden könnten. „Wir werben mittlerweile Pflegekräfte aus der ganzen Welt an“, erklärt die Betriebsratsvorsitzende. Der Verbund beschäftige eine Deutschlehrerin für den Sprachunterricht der ausländischen Mitarbeiter.