15 Prozent der Altenpfleger hatten 2020 einen ausländischen Pass, das sind fast doppelt so viel wie fünf Jahre zuvor. Das zeigen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit und das zeigt ein Blick in die Pflegeeinrichtungen im Hegau. Im Singener Klinikum arbeiten beispielsweise Menschen aus 55 Nationen, in stationären Pflegeeinrichtungen stammen einige Mitarbeiter vor allem aus dem Balkan oder dem asiatischen Raum. Das ist aber nicht nur Abbild einer multikulturellen Gesellschaft, sondern das Ergebnis gezielten Anwerbens. Denn der Mangel an Pflegekräften ist so groß, dass Arbeitgeber kreativ werden.

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„Wir brauchen die Zuwanderung dringend, das ist ganz klar“, sagt Matthias Frank als Leiter des Michael-Herler-Heims in Singen. Das liege nicht daran, dass man in Deutschland nicht ausbilde, sondern am ständig steigenden Pflegebedarf. „Da kommt man mit dem Ausbilden nicht hinterher.“ Bei der Awo arbeite der Bezirksverband seit drei Jahren verstärkt mit Dienstleistern zusammen, Arbeitskräfte von den Philippinen nach Deutschland zu bringen. Dort gebe es mehr gut ausgebildete Leute als Stellen. Anders sei es auf dem Balkan, wo es einen Mangel an Pflegern gebe. Deshalb findet Matthias Frank es moralisch schwierig, Pflegekräfte von dort nach Deutschland zu holen: „Es ist nicht zu vertreten, dass man sein eigenes problematisches System in Deutschland reparieren will auf Kosten anderer Länder, wo es noch schlimmer ist.“ Deshalb würden sie sich auf die Philippinen konzentrieren. Inzwischen würden auch vermehrt Bewerbungen etwa aus Marokko oder Madagaskar bei ihnen ankommen. Ähnlich ist es im Klinikum, wo die Personalsuche internationaler geworden ist: Neben europäischen Nachbarländern stünden nun auch Brasilien, Tunesien, Albanien und die Philippinen auf der Liste, wie Sofia Grau erklärt. Sie kümmert sich als Recruiterin darum, geeignetes Personal zu finden.

Matthias Frank leitet das Awo-Seniorenzentrum Michael-Herler-Heim in der Singener Masurenstraße.
Matthias Frank leitet das Awo-Seniorenzentrum Michael-Herler-Heim in der Singener Masurenstraße. | Bild: Arndt, Isabelle

Für Menschen aus dem Ausland kann die Arbeit in Deutschland eine große Chance sein, auch für Menschen aus dem Balkan. Ein Beispiel dafür ist Aldin Dizdarevic. Er kommt aus dem Kosovo und arbeitet seit Dezember 2018 im Pflegezentrum Hegau. In seiner Heimat habe er keine Arbeit gefunden, wie er erzählt. Über eine Vermittlung kam er nach Deutschland und durfte dort wegen seines europäischen Berufsabschlusses direkt arbeiten. Vor etwa sechs Jahren habe er erstmals Arbeitskräfte im Ausland gesucht, sagt Einrichtungsleiter Helmut Matt. Denn es werde von Jahr zu Jahr schwieriger, deutsche Bewerber für Pflegestellen zu bekommen. „Wir können mit deutschen Fachkräften unser System nicht halten, das ist kein Geheimnis.“ Denn der Bedarf in der Pflege sei riesig – und in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Er erinnert sich, dass es vor zehn Jahren nur drei große Häuser in Singen gegeben habe. Heute gebe es viel mehr Einrichtungen für viel mehr Menschen, doch dafür brauche es auch viele Fachkräfte. „Der Weg dauert mittlerweile fast zwei Jahre bis zur Anerkennung“, sagt Matt. Doch es habe sich gelohnt, Aldin sei ein Strahlemann und tue den Menschen gut. „Es ist eigentlich eine Win-Win-Situation. Nicht immer, aber meistens“, sagt Matt.

„Die Anwerbung über eine Agentur verursacht pro Kopf im Regelfall zwischen 10.000 und 15.000 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer“, ...
„Die Anwerbung über eine Agentur verursacht pro Kopf im Regelfall zwischen 10.000 und 15.000 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer“, erklärt Andrea Jagode als Pressesprecherin des Gesundheitsverbunds Landkreis Konstanz (GLKN) | Bild: Lucht, Torsten

Laut Informationsportal der Bundesregierung dauert es drei bis vier Monate, bis ein Anerkennungsbescheid vorliegt. Matthias Frank hat andere Erfahrungen gemacht: „Die sitzen da teilweise ein Jahr auf gepackten Koffern. Es ist mir unbegreiflich, warum das nicht schneller geht.“ Das Anerkennungsverfahren sei ziemlich bürokratisch und aufwändig. Außerdem müssen Arbeitgeber nicht nur mehr Zeit, sondern auch viel Geld investieren: „Die Anwerbung über eine Agentur verursacht pro Kopf im Regelfall zwischen 10.000 und 15.000 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer“, erklärt Andrea Jagode als Pressesprecherin des Gesundheitsverbunds Landkreis Konstanz (GLKN) auf Anfrage. Mit Hilfe von Agenturen sind in den vergangenen zwei Jahren vier ausländische Fachkräfte nach Singen gekommen, um im Michael-Herler-Heim zu arbeiten. Dort seien sie mit offenen Armen empfangen worden. „Wir geben uns da richtig Mühe“, sagt Matthias Frank. Sieben Wohnungen habe seine Einrichtung inzwischen angemietet. Das sei leider nötig: „Manche haben wegen ihres Nachnamens keine Chance auf dem Wohnungsmarkt.“ Deshalb habe die Awo eine Kooperation mit Wohngenossenschaften und vermittle auch zwischen Mitarbeiter und Vermieter. Die Wohnungen seien dann komplett eingerichtet, damit sich die Pflegekräfte wohl fühlen. Außerdem helfe man bei Behördengängen und Organisatorischem wie dem Eröffnen eines Bankkontos. Ein wichtiger Punkt, damit die Zusammenarbeit erfolgreich sein kann, sei Sprache: „Wenn jemand nicht mindestens ein gehobenes Sprachniveau hat, funktioniert es nicht“, sagt Frank.

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Daher setzt das Klinikum auf Sprachunterricht: „Für die ersten sechs Monate nach Ankunft in Deutschland besuchen die Pflegekräfte einen weiterführenden Deutschkurs in unserer eigenen Akademie“, erklärt Andrea Jagode. Dafür habe man schon länger eine Lehrkraft angestellt, die Deutsch für Nichtdeutsche unterrichtet. Auch bei der Wohnungssuche helfe der GLKN. „Untergebracht werden die Pflegekräfte anfangs in Einzelapartments oder WGs des Verbundes, da eine Wohnungssuche aus dem Ausland quasi unmöglich ist.“ Zwei der philippinischen Kolleginnen seien nach wenigen Monaten weiter gen Norden gezogen, berichtet Matthias Frank. Der Einrichtungsleiter führt das auf falsche Erwartungen zurück und versucht nun, über die Agenturen schon frühzeitig ein realistisches Bild zu kommunizieren. Die meisten ausländischen Pflegekräfte haben laut Andrea Jagode ein Pflegestudium vorzuweisen und daher in ihrer Heimat viele Tätigkeiten übernommen, die hierzulande Ärzten vorbehalten sind. „Diese Umstellung und vor allem die Übernahme von grundpflegerischen Aufgaben sind für viele anfangs nicht leicht“, erklärt die GLKN-Sprecherin. Doch das Klinikum habe gute Erfahrungen mit ausländischen Mitarbeitern gemacht: „Viele sind sehr engagiert. Die Motivation ist zumeist, dass sich viele ein besseres Leben in Deutschland erhoffen.“ Manche würden dann für immer bleiben, andere nach einer gewissen Zeit wieder in die Heimat zurückkehren.

Helmut Matt vom Pflegezentrum Hegau sieht ein multi-kulturelles Team nicht nur als Notwendigkeit, sondern auch als Vorteil. Denn man ...
Helmut Matt vom Pflegezentrum Hegau sieht ein multi-kulturelles Team nicht nur als Notwendigkeit, sondern auch als Vorteil. Denn man könne viel von verschiedenen Ländern und Kulturen lernen. | Bild: SK-Archiv

Helmut Matt vom Pflegezentrum Hegau sieht ein multi-kulturelles Team nicht nur als Notwendigkeit, sondern auch als Vorteil. Denn man könne viel von verschiedenen Ländern und Kulturen lernen. Sein Kollege Matthias Frank stimmt ihm zu: „Die Pflege bunt wie die Nationalmannschaft – und genauso gut.“

Wie eine Anwerbung abläuft

Sofia Grau ist beim Gesundheitsverbund Landkreis Konstanz (GLKN) für Personalgewinnung zuständig und hat den typischen Ablauf beschrieben, wie Arbeitskräfte aus dem Ausland in den Landkreis Konstanz kommen:

  • Kennenlernen: Nachdem der GLKN mit Agenturen über die Anforderungen an einen möglichen neuen Mitarbeiter gesprochen hat, stellen diese den GLKN als Arbeitgeber vor. Das Bewerbungsverfahren sei dann soweit klassisch: erst schriftliche Unterlagen, dann ein persönliches Gespräch. Wegen der Distanz finde das online statt – auf Englisch oder mit Hilfe von Dolmetschern auf Deutsch.
  • Vorbereiten: Wenn sich beide Seiten füreinander entschieden haben, ist das Regierungspräsidium Stuttgart gefragt. Dort werde für jede Pflegekraft einzeln geprüft, wie sich die Ausbildung im Ausland von der in Deutschland unterscheidet. Ein sogenannter Defizitbescheid mache dann deutlich, welche Ausbildungsinhalte für einen Wechsel nach Deutschland nachgeholt werden müssen. „Anschließend beantragen wir als Arbeitgeber bei der Bundesagentur für Arbeit eine Arbeitsmarktzulassung, nach deren Ausstellung beim Deutschen Konsulat im jeweiligen Herkunftsland das Visum beantragt werden kann“, erklärt Grau. Währenddessen setzen die Mitarbeiter im Ausland ihre Deutschkurse fort, bis sie ein gehobenes Sprachniveau erreicht haben.
  • Ankommen: In Deutschland starten die Pflegekräfte zunächst als Anerkennungspraktikanten und werden auf ihrer jeweiligen Station eingearbeitet. Zudem würden sie theoretisch wie praktisch auf die Prüfung vorbereitet, sagt die Personalerin, und würden weiterhin einen Deutschkurs besuchen.