Spätestens mit der Corona-Pandemie steht ein Berufsfeld im Scheinwerferlicht: Pflegekräfte sind gefragt, aber auch besonders unter Druck. Drei Pflegekräfte erzählen zum Tag der Pflege am 12. Mai, wie sie ihren Alltag erleben. Wo hakt es und was macht den Beruf attraktiv?

Lukas Walter absolviert im Hegau-Bodensee-Klinikum die Ausbildung zum Pflegefachmann.
Lukas Walter absolviert im Hegau-Bodensee-Klinikum die Ausbildung zum Pflegefachmann. | Bild: Arndt, Isabelle

Er fängt an: Lukas Walter will lieber pflegen als ins Büro

Lukas Walter aus Rielasingen absolviert die generalistische Pflegeausbildung am Hegau-Bodensee-Klinikum.

Eigentlich wollte er Industriekaufmann werden, erzählt Lukas Walter, doch einen Arbeitsalltag im Büro habe er sich nicht vorstellen können. Also entschied er sich, im April 2021 die Ausbildung zum Pflegefachmann zu beginnen – inmitten einer Pandemie, die ein oftmals kritisches Licht auf die Situation in der Pflege warf. „Corona war eher noch ein Impuls, dass es wichtig ist, in diesem Bereich zu arbeiten“, erklärt der 23-Jährige. In seiner Ausbildungsklasse ist er einer von fünf jungen Männern, die restlichen 22 Azubis sind weiblich. Drei hätten die Ausbildung bereits abgebrochen. Daran denke er selbst nicht – auch weil er einen guten Umgang mit belastenden Situationen gefunden habe.

Acht Todesfälle habe er bisher mitbekommen, einen Patienten habe er als Erster leblos gefunden. „Da war ich erstmal überfordert“, schildert er. „Aber ich bekomme solche Erlebnisse mit Sport ganz gut kompensiert und dadurch, dass ich mich mitteile.“ Erfahrene Kollegen hätten ihm Tipps gegeben, wie er mit solchen Situationen umgehen kann, und ihn beruhigt.

Intime Situationen mit Patienten waren erstmal ungewohnt

An manches müsse man sich gewöhnen, etwa das frühe Aufstehen oder die intimen Situationen mit Patienten. Ihn freue es aber, wie dankbar die meisten Patienten über seine Hilfe sind. „Man kann von Menschen mit Lebenserfahrung oft einiges mitnehmen.“ Teil der Ausbildung ist inzwischen, in verschiedene Arbeitsbereiche zu blicken. Daher arbeitete Lukas Walter auch drei Monate im Pflegeheim. Das sei zwar eine gute Erfahrung gewesen, aber nicht ganz sein Fall, weil jeder Tag ähnlich ablaufe. Lieber sei ihm die Arbeit im Klinikum, wenn man nicht planen könne.

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Seine Entscheidung hat der 23-Jährige bisher nicht bereut, wie er sagt. „Ich bin froh, dass ich den Schritt in die Pflege gewagt habe. Man lernt auch fürs Leben.“ Doch er wünsche sich, dass der Beruf attraktiver gemacht wird, damit viele weitere junge Menschen den abwechslungsreichen Beruf wählen. Zwei Ideen hat er, wie das gelingen kann: Verdienst und Personalmangel. Denn das Leute fehlen, würde zu Stress bei den verbliebenen Mitarbeitern führen – ein Teufelskreis.

Andrea Fleischhaker-Franke ist Kinderkrankenschwester und stellvertretende Stationsleitung im Hegau-Bodensee-Klinikum.
Andrea Fleischhaker-Franke ist Kinderkrankenschwester und stellvertretende Stationsleitung im Hegau-Bodensee-Klinikum. | Bild: Arndt, Isabelle

Sie macht weiter: Andrea Fleischhaker-Franke mit Herz für Kinder

Andrea Fleischhaker-Franke aus Volkertshausen ist Kinderkrankenschwester und stellvertretende Stationsleitung im Hegau-Bodensee-Klinikum Singen.

Der Arbeitsalltag von Andrea Fleischhaker-Franke wäre weniger stressig, wenn sie sich um Notfälle kümmern könnte. „Die Eltern sind so unsicher geworden“, sagt die Kinderkrankenschwester, und würden die Akutklinik mit einer Arztpraxis verwechseln. An einem Wochenende kämen zwischen 60 und 70 Kinder in die Notfall-Ambulanz – ohne dass eines aufgenommen wird. Diejenigen, die wirklich leiden, würden wiederum zu lange warten.

Nachdem sich vor etwa vier Jahren rund 5000 Überstunden angesammelt hatten, hätten sie gelernt abzugeben: Medizinische Fachangestellte entlasten ebenso wie Stationshilfe und Pflegesekretärinnen. „Es war ein großes Umdenken und ist jetzt viel besser.“

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Das Problem von Pflegekräften sei aber, dass sie zu sozial seien: „Wir können es nicht mit unserem Gewissen vereinbaren, zu streiken, und werden deshalb oft nicht gehört.“ Während andere hohe Corona-Prämien bekommen, würden sie einfach weiterarbeiten. „Den Beruf muss man mit Herz und Seele machen. Aber so ein Zuckerle und Anerkennung wären schon schön.“

Trotz aller Belastungen in der Pflege habe sie nur kurz in einem anderen Bereich gearbeitet – und sei nach zwei Jahren zurückgekehrt, weil sie die vielseitige Arbeit mit Kindern vermisst habe.

Sie sollte eigentlich mehr verdienen als ihr Mann. Eigentlich

Dass sie im Pflegebereich nicht reich wird, sei ihr bewusst gewesen, sagt die Kinderkrankenschwester. „Alleine könnte ich keine großen Sprünge machen.“ Manchmal würde sie sich mit ihrem Mann, darüber unterhalten, dass es umgekehrt sein müsste: Sie sollte mehr verdienen als er in der Wirtschaft, weil es bei ihr um Menschenleben gehe. Statt dreimal im Jahr in die Ferne zu fliegen, würden sie jedes Jahr in Deutschland urlauben.

Ihre Kinder seien gewohnt, dass Mama arbeitet, auch nachts und an Feiertagen. Ihre Tochter erinnere sich aber bis heute, dass sie vor Jahren mal an Silvester direkt nach dem Raclette zum Nachtdienst musste. Dafür habe sie dann Weihnachten mit der Familie feiern können, sagt Andrea Fleischhaker-Franke.

Eveline Fendrich ist stellvertretende Leiterin der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) in Singen.
Eveline Fendrich ist stellvertretende Leiterin der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) in Singen. | Bild: Arndt, Isabelle

Sie hilft anders: Eveline Fendrich hat jetzt mehr Zeit für Menschen

Eveline Fendrich ist heute stellvertretende Leiterin der „Spezialisierten ambulanten Palliativversorgung“ (SAPV). Davor arbeitete sie lange in Kliniken.

Dass Pflege sinnbildlich an vorderster Front steht, ist für Eveline Fendrich nichts Neues. Das sei eigentlich schon immer so gewesen, erklärt die Pflegefachkraft nach Jahrzehnten im Gesundheitswesen. Jetzt werde lediglich deutlicher und sichtbarer, welche Gefahren und Umstände der Beruf mit sich bringe. Sie finde es gut, wenn Pflege selbstbewusster werde – das sei in ihren Anfangsjahren noch anders gewesen. „Nach der Ausbildung in Konstanz war es nicht so leicht, eine Stelle zu bekommen“, berichtet sie.

Nach einigen Jahren auf der Inneren Station in Radolfzell wechselte sie zur Intensivstation. Doch nachdem ihre Mutter auf einer Intensivstation starb, habe das Gebiet für sie den Sinn verloren. In der chirurgischen Ambulanz habe sie während der nächsten 13 Jahre das Gefühl gehabt, wirklich etwas tun zu können – und konnte Patienten nach Hause gehen sehen.

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Die Arbeitsumstände seien jedoch besondere: Anfangs habe sie gut gefunden, dass die Zeiten nicht so starr waren. „Aber es war nicht immer leicht, Familie mit drei Kindern und Schichtdienst unter einen Hut zu bekommen“, sagt Fendrich. Die Frühschicht begann um 6 Uhr, der Kindergarten öffnete aber erst 8 Uhr. Mit Anfang 50 habe sie noch den Wechsel gewagt: erst zur Brückenpflege am Hegau-Bodensee-Klinikum Singen, dann zur SAPV.

Das Sterben habe über die Jahre seinen Schrecken verloren: „Ich finde es wichtig, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen. Es ereilt ja doch jeden“, sagt Eveline Fendrich heute. Manch ein Patient lebe nur noch wenige Stunden, andere betreue sie monatelang. Ein großer Vorteil sei, dass sie ihre Zeit selbst einteile und sich dadurch auch Zeit für die Menschen nehmen könne.

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In der Klinik fehle heute Zeit, um Beziehungen aufzubauen

Eine Rückkehr in den Klinikalltag könne sie sich nicht mehr vorstellen: „Die Liegedauer der Patienten im Krankenhaus ist wesentlich kürzer, da kann man weniger eine Beziehung aufbauen.“ Außerdem habe die Büroarbeit schon damals zugenommen. „Mit der Fallpauschale im Krankenhaus wird es schwierig, den Patienten und ihrer individuellen Situation gerecht zu werden.“