Kuschelig familiär oder lieber breit aufgestellt? Wenn es um Pflegeeinrichtungen geht, gibt es diverse Modelle. Während das Haus am Hohentwiel mit 106 Betten eines der größeren Seniorenzentren im Hegau ist, eröffnete in Aach jüngst eine halb so große Einrichtung. Doch auch dafür brauche es viele Mitarbeiter, wie Isabella Dix als Heimleitung des Evangelischen Pflegeheims Aachquelle bei einem Besuch erklärt. Ohne Unterstützung des Stockacher Schwesterbetriebes könnte das kleine Haus nur schwer wirtschaftlich arbeiten. „Wären wir alleine, wäre es sehr schwer“, sagt sie offen. So könne man sich zum Beispiel bei der Haustechnik, bei der Hauswirtschaft sowie beim Personal aushelfen.
Dahinter stecken viel mehr Köpfe: 23 Stellen kümmern sich um 45 Plätze
Dass spontanes Einspringen für Kollegen nicht überhand nimmt, ist ein zentrales Anliegen von Isabella Dix vom Pflegeheim Aachquelle. Denn sonst komme man gerade in einem kleinen Haus schnell an Grenzen der Mitarbeiterzufriedenheit. Geld sei dabei nicht einmal der entscheidende Faktor. Kritisch sei vielmehr das Gefühl, alles alleine stemmen zu müssen und dafür keine Anerkennung zu bekommen. Für die 45 Plätze in drei Wohngruppen rechnet die Heimleiterin mit 23 Stellen. „An Köpfen wird das sehr viel mehr sein“, sagt Dix.
Einige langjährige Mitarbeiter würden aus Stockach in die neue Einrichtung in Aach wechseln. Doch bis das Haus im Sommer voll belegt ist, brauche sie noch einige neue Kollegen. Und man müsse sich heute etwas einfallen lassen, um ein attraktiver Arbeitgeber zu sein, sagt die Heimleiterin.

Nur drei Kündigungen trotz Corona-Belastungen
Manche Pflegerinnen arbeiten beispielsweise von 8 bis 12 Uhr, um anschließend ihre Kinder betreuen zu können. Bei der Schichtplanung setzt Dix auf das Konzept einer Nettoarbeitszeit: Feiertage, Fortbildungen und mögliche Krankheitstage werden rausgerechnet, um mit der tatsächlich verfügbaren Arbeitskraft zu planen. Dann könne man mit einer beständigen Besetzung planen. „Und man muss nicht ständig einspringen und kann seine Freizeit besser genießen“, ergänzt Pflegedienstleiter Bogdan Ichim.
Mit ihrem Vorgehen hätten sie gute Erfahrungen gemacht, berichtet Bogdan Ichim: In Stockach hätten in den vergangenen zwei Jahren nur drei von 70 Mitarbeitern gewechselt. Eine Kollegin sei in die Schweiz gegangen, eine andere in Rente.
Geht Geborgenheit in einer größeren Einrichtung?
Urs Bruhn leitet das Haus am Hohentwiel in Singen und schildert ein Komplettpaket von der Tagespflege bis zum stationären Wohnen in vier Bereichen. Menschen sollen sich geborgen und sicher fühlen, sagt der Heimleiter. Geht das bei einer so großen Einrichtung überhaupt? „Familiär sind sicher die kleineren Häuser“, sagt Bruhn.

In großen Häusern müsse man mehr darauf achten, dass es nicht anonym zugehe und Bewohnern dann die Orientierung fehle. Bezugspersonen seien sehr wichtig, gerade bei der steigenden Zahl von Menschen mit Demenz. Bewährt habe sich das Arbeiten in kleineren Wohneinheiten, erklärt der Heimleiter. Heute wären so große Häuser ohnehin begrenzt: „Die öffentliche Hand will nicht mehr, dass es zu große Häuser gibt.“
Mehr als 100 Betten sollen es seit 2009 nicht mehr sein
Tatsächlich hielt das Landesministerium für Arbeit und Soziales in der Landesheimbauverordnung 2009 fest, dass 100 Heimplätze pro Standort nicht überschritten werden sollen – da stand das Haus am Hohentwiel allerdings schon rund 30 Jahre.
Mehr Mitarbeiter = mehr Kosten für die Bewohner
110 Köpfe arbeiten für das Haus am Hohentwiel. „Da ist schon jede Menge Logistik dahinter“, sagt Bruhn. So gebe es beispielsweise Tage, an denen 300 Essen gekocht werden müssen. Denn neben den Bewohnern werden auch 90 Kunden mit Essen auf Rädern sowie 20 bis 30 Mitarbeiter verköstigt. Wesentlicher Bestandteil des Teams sind Pfleger: Bis zu 60 Mitarbeitende kümmern sich in drei Schichten. „Wir sind ein hochregulierter Bereich und haben je nach Pflegegrad einen gewissen Mitarbeiteranteil. Das wird monatlich genau berechnet“, erklärt Urs Bruhn.
„Klar könnten es ein, zwei Leute mehr sein, aber es muss für Heimbewohner auch zahlbar sein“, sagt der Heimleiter. Vorteil eines großen Hauses sei, dass man Krankheitsausfälle im großen Team besser auffangen könne. Allgemein merkt Urs Bruhn aber an, dass die Aufgaben immer umfangreicher werden, und spricht von einem Bürokratiemonster.
Neubau in Singen soll helfen, Bedarf zu decken
Während der Bedarf in Aach mit 45 Plätzen laut Isabella Dix gut abgedeckt ist, fehlen in Singen weitere Angebote: „Der Bedarf ist größer, als die Strukturen es abdecken können“, sagt Bruhn. Er beobachtet, dass es mehr und intensivere Anfragen nach Pflegeplätzen gebe – auch weil Menschen älter werden. Für das Haus am Hohentwiel hat der Einrichtungsleiter zwei bis drei große Ordner voller Wartelisten, die nach Dringlichkeit behandelt würden. Deshalb plane er aktuell ein neues Haus Bonhoeffer mit 55 Plätzen, das am Remishofer Zelgle in Singen entstehen soll. Es soll kein klassisches Pflegeheim werden, wie Bruhn erklärt, sondern ein Servicewohnen mit individueller Pflege, Hauswirtschaft und Begegnungsmöglichkeiten, sodass Menschen möglichst lange eigenständig leben können.
Dass das Haus Bonhoeffer halb so groß werden soll wie das Haus am Hohentwiel, habe auch finanzielle Gründe: „Es kostet so schon knapp 17 Millionen Euro. Und ich hoffe, dass es dabei bleibt“, sagt der Heimleiter angesichts ständig steigender Baukosten. Spatenstich soll in diesem Frühjahr sein, Fertigstellung des ersten Teils im März 2023.
Die Serie & Corona
- Mit der Serie „Wir kümmern uns“ blickt der SÜDKURIER in den nächsten Wochen hinter die Kulissen der Pflege. Wie funktioniert das eigentlich genau und woran hakt es offenbar? Denn die Corona-Pandemie hat die Schwächen, aber auch Stärken dieses Bereichs aufgezeigt. Wir widmen uns daher großen und kleinen Einrichtungen, den Erfahrungen Pflegender, der Anwerbung von Fachkräften im Ausland und dem finanziellen System. Dabei fragen wir auch, ob noch Zeit bleibt für Menschlichkeit und was die Politik ändern möchte.
- Die Corona-Pandemie hat laut Urs Bruhn vom Haus am Hohentwiel diverse Folgen für Mitarbeiter und Bewohner von Senioreneinrichtungen. Nicht nur, dass die Pflege immer wieder besonders aufmerksam beachtet wurde. In ihrem Haus habe es 30 Todesfälle an oder mit Corona gegeben. „Das macht was mit den Mitarbeitern“, so Bruhn. Außerdem habe die Pandemie der Digitalisierung einen Schub gegeben: Nun gebe es in allen Wohnbereichen WLAN und Geräte, damit die Senioren darüber am sozialen Leben teilhaben können.