Applaus ist ein schönes Zeichen, aber nicht die Lösung. Das sagen Mitarbeiter des Pflegezentrums Hegau (PZH) in Singen über die Situation ihres Berufsstandes. Sie sind Pflegehelfer, Pflegefachkraft, Pflegedienstleiterin oder Heimleiter. Es gibt viele Bezeichnungen und viele Bereiche, um Menschen zu pflegen. Es gibt aber auch wenig Anerkennung und einige Probleme, welche die Corona-Pandemie noch einmal unterstrichen hat. 9187 Menschen arbeiten laut Agentur für Arbeit Konstanz-Ravensburg im Landkreis Konstanz in medizinischen Gesundheitsberufen, das sind 8,74 Prozent aller Beschäftigten. Wie viele den Pflegeberuf zuletzt aufgegeben haben, kann die Agentur nicht beziffern. Sprecher Walter Nägele weiß aber, dass sich im Januar 477 Menschen aus diesem Bereich arbeitssuchend gemeldet haben. Davon 188 Pfleger.

Darunter seien sicher auch Menschen, die sich nicht länger dem Ansteckungsrisiko aussetzen möchten – oder im zweiten Pandemie-Winter die Grenzen ihrer Belastbarkeit erreicht haben, so Nägele weiter. Dabei ist der Bedarf so groß wie nie.

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Das Heim sei bisher gut durch die Pandemie gekommen, wie Geschäftsführer Helmut Matt erzählt. Dazu trage sicher auch die große Impfbereitschaft bei: Jeder Mitarbeiter sei geimpft, auch alle Bewohner sind immunisiert. Deshalb macht die einrichtungsbezogene Impfpflicht, die seit 16. März gilt, hier keine Sorgen. Die Stimmung ist gut, es wird miteinander gescherzt und gelacht. Die eine Mitarbeiterin hat ihre Schicht schon hinter sich und Feierabend, der andere Pfleger startet bald seine Nachtschicht. Was er dort macht, wüssten viele nicht, sagt Pflegefachkraft Aldin Dizdarevic. Das Team betreut mit etwa 75 Mitarbeitern zwischen 90 und 100 Bewohner. 365 Tage im Jahr und von morgens bis abends.

Hauptsache satt und sauber? Pflege bedeute viel mehr

Wer nach dem Tagesablauf fragt, merkt rasch: Essenszeiten sind ein fixer Punkt im Kalender. 8 Uhr wird das Frühstück vorbereitet, 12 Uhr das Mittagessen und 15 Uhr gibt es Kaffee und Kuchen, wie Asha Hassan erklärt. Sie arbeitet seit 2020 als Pflegehelferin im PZH. Für sie beginnt der Arbeitstag um 6.50 Uhr mit der Körperpflege von Bewohnern, sie ist für die sogenannte Grundpflege zuständig. Die Behandlungspflege ist ausgebildeten Pflegekräften vorbehalten, sie übernehmen auch medizinische Aufgaben wie das Wechseln von Verbänden und das Legen von Infusionen.

Doch Pflege bedeute viel mehr als satt und sauber, betont Pflegedienstleiterin Eva-Maria Vollmer. „Wir sind teilweise Ersatzfamilie und Zuhause.“ Das bedeute auch eine große Verantwortung: „Wir können nicht einfach wie in einer Firma den Stift fallen lassen. Es muss immer weitergehen, auch wenn jemand ausfällt.“

Jessica Deiss pflegt im Pflegezentrum Hegau in Singen.
Jessica Deiss pflegt im Pflegezentrum Hegau in Singen. | Bild: Tesche, Sabine

Die Arbeitsbedingungen in der Pflege hätten sich in den vergangenen Jahren aber bereits verbessert, betont Geschäftsführer Helmut Matt: Der Betreuungsschlüssel sei besser und man könne auf Hilfskräfte zählen, die es früher so nicht gegeben habe. Das Schichtsystem habe Vor- und Nachteile: Natürlich müsse man auch arbeiten, wenn andere frei haben. Aber nach der Frühschicht von 6.30 bis 14.30 Uhr habe man zum Beispiel noch etwas vom Tag, wie Matt erklärt. Aldin Dizdarevic übernimmt gerne Nachtschichten, wie er erklärt, denn dann kann er nach sieben Diensten auch mal fünf Tage frei machen und für einen Kurzurlaub nutzen.

Pflegekräfte betonen die Vorteile ihres Berufs

Pflege habe viele Vorteile, wie während des Gesprächs deutlich wird. Der enge Kontakt mit Menschen, ein abwechslungsreiches Arbeiten, flexible Arbeitszeitmodelle und der Zusammenhalt im Team sind einige der Pluspunkte. „Es ist ein wunderschöner Beruf, der wahnsinnig viel gibt. Und in der Pflege kann man etwas Wertvolles für die Gesellschaft tun“, sagt Helmut Matt. Er muss es wissen, schließlich hat der heutige Geschäftsführer und Inhaber einst im Pflegedienst angefangen.

Verdienen Pfleger zu wenig? Es gibt schon deutlich mehr Gehalt als früher

Wenn es um Probleme in der Pflege geht, ist häufig das Gehalt ein Thema. Vor zehn Jahren hätten Pflegende teilweise nur 2200 Euro verdient, blickt Helmut Matt zurück. Doch heute sei das ganz anders: „Es gibt kaum einen Ausbildungsberuf, in dem man so viel verdient wie in der Pflege“, sagt der Geschäftsführer angesichts Gehältern zwischen 1100 und 1400 Euro. Auch danach müsse man sich nicht verstecken: Helfer können laut Matt mit 2100 bis 2400 Euro rechnen, Fachkräfte mit 3000 bis 3500 Euro. „Mit steigender Tendenz“, wie er anmerkt. Das sei politisch gewollt – und angemessen. Matt sagt aber auch, dass Lohnerhöhungen auch von Steuerzahlern und Bewohnern getragen werden müssen.

Am Band hat man weniger Verantwortung, aber mehr Gehalt

Im Vergleich mit Jobs in der Industrie würden Mitarbeiter in der Pflege weiter zu wenig wertgeschätzt, findet Pflegedienstleiterin Eva-Maria Vollmer. „Jemand am Band trägt nicht diese Verantwortung.“

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Die Verantwortung in einem Pflegeheim fängt beim regelmäßigen Trinken der Bewohner an. „Das ist das Wichtigste, die dehydrieren sonst“, sagt Aldin Dizdarevic, deshalb müsse man sie erinnern und ermuntern. Außerdem müsse man alles eintragen und dokumentieren. „Unsere Arbeitsbereich ist staatlich so kontrolliert und reguliert wie sonst keiner“, ordnet Geschäftsführer Helmut Matt ein. Die Verantwortung zeigt sich auch im Alltag, denn es gehe nicht zuletzt um Menschenleben.

Laut Altenpflegehelferin Jasmin Vollmer ist dabei besonders Geduld gefragt: „Wenn Hektik entsteht, muss man Ruhe bewahren.“ Eva-Maria Vollmer ergänzt: „Wir arbeiten mit Menschen, da kann man nicht alles planen.“

Der Tod ist ständiger Begleiter

Eine Begleiterscheinung des Pflegeberufs allerdings kann man schwer ausblenden: den Tod. Denn allen Beteiligten sei bewusst, dass das Heim in der Regel das letzte Zuhause eines Bewohners sein wird. „Ich gebe mir Mühe, dass es eine gute letzte Station ist. Man muss mit Herz und Empathie arbeiten“, sagt etwa Aldin Dizdarevic. Nähe und Distanz sei in der Ausbildung ein großes Thema, ergänzt Eva-Maria Vollmer. Doch auch wenn man in Gesprächen lerne, damit umzugehen, gehen manche Abschiede besonders nahe: „Manchmal hat man ja das Gefühl, man sieht die Bewohner öfter als eigene Familienmitglieder.“ Aaron Zister hat seine ersten Todesfälle erlebt und sagt: „Natürlich berührt das. Aber man muss da eine Balance finden, dass die Trauer einen nicht runter zieht.“ Er wünscht sich mehr Anerkennung für die wichtige Arbeit seines Berufsstandes. Schließlich seien sie seit der Pandemie offiziell systemrelevant.