So etwas gibt es im Vorfeld einer Haushaltsberatung in Singen eher selten. Denn bereits bevor die erste Haushaltsrede von den Fraktionssprechern gehalten wurde, brandet Applaus auf. Applaus in Richtung eines Stadtrates: Hubertus Both von den Freien Wählern. Nach einer schweren Erkrankung im vergangenen Jahr nimmt er zum ersten Mal wieder am Ratstisch Platz. „Mein Ziel war es nie, Haushaltsreden zu halten. Heute bin ich aber froh, dass ich eine halten kann“, sagt Both. Auch Oberbürgermeister Bernd Häusler zeigt sich sichtlich berührt: „Wir freuen uns alle, dass Du wieder da bist.“
Obwohl es ein harmonischer Einstieg in die Haushaltsberatung ist, wird danach sehr deutlich, dass 2023 wohl erst einmal das letzte Jahr der großen Investitionen in Singen sein werde. Ein Überblick, wo die Fraktionen ihre Schwerpunkte sehen.

Der Stellenplan
Mit Sorge blickt Hubertus Both (FW) auf den Stellenplan der Stadt, denn er würde die zukünftigen Probleme der Stadt am deutlichsten offenlegen: „Der Stellenplan weist über 20 neue Stellen aus. Jede Stelle macht Sinn und hat ihre Berechtigung – aber diese Stellen müssen eben auch finanziert werden.“
So haben sich die Personalkosten im Rathaus entwickelt
Einen Seitenhieb gibt es mit Blick auf den Fachkräftemangel in Richtung Radolfzell. „Das gegenseitige Abwerben von pädagogischen Fachkräften stellt auch keine Lösung dar und erdrosselt die kommunale Solidarität“, so Both. Dirk Oehle (Neue Linie) mahnt an, dass man die Personalsituation in der Stadtverwaltung genaustens im Auge behalten müsse. „Es wird vor allem wichtig sein, dass wir unsere Verwaltung gut aufstellen, damit diese die Aufgaben ordentlich sowie zeitnah weiter bearbeiten können.“
Klimaschutz und Mobilität
Enttäuscht zeigt sich Walafried Schrott (SPD), dass das versprochene Klimaschutzkonzept noch immer nicht vorliege. „Es fehlen damit die Handlungsempfehlungen für ein zielgerichtetes Vorgehen“, kritisiert er. Zudem habe sich die SPD die Fortschreibung des Radwegekonzepts schon zu den Haushaltsberatungen gewünscht, auch um daraus abgeleitete Maßnahmen in den Haushalt 2023 aufzunehmen.

Schrott nennt auch ein Beispiel: „Die Abstufung der Noch-Bundesstraßen Ekkehard- und Freiheitstrasse muss uns endlich im Jahr 2023 gelingen.“
Auch Eberhard Röhm (Grüne) vermisst ein Klimaschutzkonzept und eine Wärmeplanung. „Wo ist das neue Radverkehrskonzept, wann kommt das Car-Sharing?“, fragt er. Laut Röhm gebe es in Singen verhältnismäßig viele Autos. „Wir hoffen, dass ein gutes Car-Sharing-Angebot, das hoffentlich bald kommt, und ein deutlich verbessertes ÖPNV-Angebot ab 2026 diese Zahl reduzieren können“, so Röhm weiter. Eine zugeparkte Stadt sei keine schöne Stadt.
Die Steuererhöhungen
Uneinigkeit herrscht bei Steuererhöhungen – zumindest im Lager der CDU und der SöS. Birgit Kloos (SöS) spricht sich dafür aus, die städtischen Einnahmen durch eine Erhöhung der Gewerbesteuer zu verbessern, um notwendige Projekte finanzieren zu können. „Vergleichbare Gemeinden liegen hier seit Jahren höher“, sagt sie.

Gegenwind gibt es hier von Franz Hirschle (CDU): „Eine Gewerbesteuererhöhung wäre ein falsches Signal in dieser Zeit und für die Betriebe eine zusätzliche Belastung.“ Die Stadt sollte den Betrieben auch bei Neuansiedlungen oder Erweiterungen den roten Teppich ausrollen und nicht mit übertriebenen Vorgaben das Leben unnötig schwermachen.
Die Scheffelhalle
Besonders stolz zeigt sich Kirsten Brößke (FDP) auf den Antrag ihrer Fraktion, die Scheffelhalle in Holzbauweise wieder aufzubauen. „Die Kosten können wir aktuell noch nicht beziffern und wir müssen hoffen, dass wir sie stemmen können“, sagt Brößke. Obwohl sich fast alle Fraktionen einig waren, dass die Scheffelhalle mitunter die größte Priorität genieße, gib es auch kritische Stimmen. Und zwar aus Reihen der Grünen: „Wir hatten die Chance, die wiederaufzubauende Scheffelhalle so zu gestalten, dass für Singener Vereine und Institutionen, die dringend Räume suchen, zusätzliche nutzbare Räume zur Verfügung stehen. Schickes Aussehen und Nostalgiedenken war jetzt wichtiger als sinnvolle Nutzbarkeit“, zeigt sich Eberhard Röhm (Grüne) enttäuscht.
Er befürchte, dass auch die Scheffelhalle ein untergenutztes Dasein fristen werde. „Wir investieren als Stadt, zusätzlich zur Versicherungssumme, einen Millionenbetrag. Da können die Bürgerinnen und Bürger auch erwarten, dass die Halle nicht nur für eine kleine Gruppe nutzbar ist“, so Röhm. Damit spielt er auch die kürzliche Diskussion über parallele Nutzungsmöglichkeiten in der neuen Scheffelhalle an.
Der Wohnraum
Ausreichender, bezahlbarer Wohnraum ist weiterhin ein drängendes Thema in Singen. Hierbei setzen die Fraktionen Hoffnungen in den ersten Singener Mietspiegel. „Ich bin froh, dass der nun beschlossene Mietspiegel, den wir letztes Jahr gefordert haben, hier zu mehr Transparenz in der Zukunft führen wird“, sagt Birgit Kloos (SöS). Sie sei aber weiterhin der Auffassung, dass die Stadt selber geförderte Wohnungen für ihre Bürger bauen und verwalten solle. „Statt sich hier auf gewinnorientierte Investoren zu verlassen“, so Kloos weiter.

Auch Eberhard Röhm (Grüne) betont, dass die regionalen Baugenossenschaften zeigen würden, dass preiswerte Mieten möglich seien. „Sie allein können das Problem aber nicht lösen. Ein Instrument könnten baulandpolitische Grundsätze sein“, so Röhm weiter. Diese seien zwar bereits 2021 beschlossen worden, trotz mehrfacher Nachfragen hätten sie aber nicht auf der Tagesordnung gestanden. Walafried Schrott (SPD) sieht dies ähnlich: „Wenn der Mietspiegel für Singen – ein Anliegen der SPD-Fraktion seit vielen Jahren – im Sommer vorliegen wird, erwarten wir eine deutlich größere Transparenz auf dem Mietwohnungsmarkt.“
Das Krankenhaus
Der Klinikneubau für den westlichen Hegau ist eines der Schlüsselthemen in Singen. Für Walafried Schrott (SPD) sei es zudem richtig gewesen, auch ein Sanierungsgutachten am bestehenden Standort als sinnvolle Alternative zu einem Neubau in Auftrag zu geben. „Aber jede Lösung bedeutet einen finanziellen Kraftakt! Wir müssen daher zügig die Entscheidung Neubau oder Sanierung herbeiführen“, sagt er. Hubertus Both (FW) wird deutlicher: „Erst jahrelang durchkommerzialisiert und mit endlosen Sparzwängen in die roten Zahlen getrieben, offenbarte Corona in welch bedrohlicher Lage die Krankenhäuser sind.“ Wirtschaftlichkeit könne laut Both nicht das alleinige Maß der Gesundheitsversorgung sein.

Eberhard Röhm (Grüne) macht sich für einen Klinikstandort in Singen stark. Für ihn sei es klar, dass es nicht nur ein Krankenhaus am Ende des Landkreises (Konstanz), sondern auch eines mittendrin, nämlich in Singen, geben müsse, wie er mit einem deutsch-englischen Vergleich anmerkt. Zustimmung gibt es von Franz Hirschle (CDU): „Den Standort für einen eventuellen Neubau eines Klinikums sehen wir ganz klar in Singen als zentraler Versorger des westlichen und mittleren Landkreises.“
Die Videoüberwachung
Laut Franz Hirschle (CDU) halte seine Fraktion weiterhin an einer Videoüberwachung an kritischen Stellen in der Innenstadt fest – trotz bisheriger Absage des Landes. Bestärkt hätten ihn auch die Vorkommnisse in der Silvesternacht, in der es zu Ausschreitungen vor allem in Berlin gekommen sei. „Das ist heute kein Phänomen von Großstädten mehr“, so Hirschle. Er spricht in seiner Rede deshalb auch von einer teilweise missglückten Integration. Seiner Fraktion gehe es hier nicht um einen Generalverdacht, sondern um die Identifikation gewaltbereiter Gruppen. Deshalb bezeichnet er die verteilten Aufenthaltsverbote gegen Teile der beiden syrischen Großfamilien als richtigen Schritt.
Die Teestube
Keine Freunde mehr werden Kirsten Brößke (FDP) und der Neubau der Teestube. Die Stadträtin hat dazu eine eindeutige Meinung. „Solche Extravaganzen können wir uns nicht leisten“, sagt sie. Brößke geht davon aus, dass die dort veranschlagten Kosten von 900.000 Euro wohl nicht ausreichen werden.

Und: „Von diesem Neubau profitieren nur einige wenige, um nicht zu sagen, eine Randgruppe.“ Diese Summe sei in Augen der FDP unverhältnismäßig und maßlos angesichts des vielfältigen Bedarfes an anderer Stelle in der Jugend- und Sozialarbeit.
Der Sport
Laut Dirk Oehle (Neue Linie) sei es ein richtiger Schritt gewesen, knapp eine Millionen Euro in die Sanierung der Kunstrasenplätze der DJK sowie am Waldeckstadion einzuplanen. „Es ist außerordentlich wichtig, diese Plätze zu sanieren. Damit können die Vereine weiterhin ihren Sport ausüben“, so Oehle.

Anders sieht es bei einem anderen dringend benötigten Großprojekt für den Sport aus: Die dreiteilige Sporthalle ist lange gewünscht, wird aber auch noch länger Wunsch bleiben müssen. Sie taucht weder im Haushalt 2023 noch in der mittelfristigen Finanzplanung auf.