Wer im Hegau lebt, kennt dieses Schauspiel, das man in dieser Jahreszeit häufig sieht: Die Hegauberge verschwinden unter dickem Nebel. Mal mehr, mal weniger. Morgens sieht man den Hohentwiel oder den Hohenstoffel manchmal gar nicht.
Doch plötzlich lugt der Gipfel oben aus dem Nebel. Je mehr Sonnenstrahlen auf den Nebel wirken, desto mehr löst dieser sich auf – und der Berg ist wieder sichtbar. So lange er verschwunden war, hätte so mancher Tourist jedoch nie gedacht, dass dort so ein großer Vulkankegel steht.
Wenn sich ein Betroffener plötzlich erinnert
Wer mit Menschen mit Demenz zu tun hat, der erlebt diese manchmal vielleicht ähnlich. Das gesamte Leben der Betroffenen scheint vergessen. Irgendwie in Nebel eingehüllt. Die Vergangenheit ist nicht mehr zu sehen. Doch dann gibt es lichte Momente. Eine Spitze taucht auf – und das Gegenüber erinnert sich an eine Episode, die längst vergessen schien. Oder ein großer Berg steht plötzlich wieder da. Und keiner hätte es für möglich gehalten.
In Singen und den umliegenden Hegaugemeinden gibt es viele, die Menschen mit Demenz betreuen und pflegen. Wie die Sonne strahlen sie jeden Tag. Und oft gelingt es ihnen, den Nebel ein wenig zu lichten.
Wie pflegende Angehörige, Ehrenamtliche und Pfarrer helfen
Es gibt zum Beispiel pflegende Angehörige wie Petra Elze. Sie und ihre Schwester haben ihre Tante aus Berlin nach Steißlingen geholt, weil diese allein überfordert war. „Sie hatte niemanden mehr in Berlin“, erklärt die Nichte. In der Lebensstätte Helianthum fühlt sich die Tante nun geborgen.
Oder da ist eine andere Berlinerin, die nach Singen gezogen ist: Anneliese Hegemer. Sie ist in die Nähe ihres Sohnes gezogen. Und sie kümmert sich um Menschen mit Demenz im Pflegeheim. Sie besucht diese – und wenn dies wegen der Corona-Pandemie nicht möglich ist, schreibt sie ihnen. Hegemer sagt: „Mir tut es gut, wenn ich die strahlenden Gesichter sehe.“

Oder da sind Geistliche wie Pfarrer Thomas Hilsberg, der im Servicehaus Sonnenhalde in Singen Gottesdienste hält und dabei hilft, auf geistlicher Ebene Dinge zurechtzurücken. Er betont: „Mir ist wichtig, dass ich die Sorgen nicht auslasse, die zum Alter gehören.“ Auch viele Pflege- und Betreuungskräfte sind für Menschen mit Demenz wie Sonnenstrahlen, die ihnen den Nebelvorhang ein wenig auflösen.
Den Beruf der Betreuungskräfte etwa gibt es erst seit 2008. „Sie bieten zusätzliche Beschäftigungsangebote für Menschen mit Demenz an“, erläutert Erich Scheu, Dienststellenleiter der Johanniter in Singen. Mit Vorlesen, Spaziergängen oder Gesprächen über Früher und Heute leisten sie das, wozu Pflegekräfte häufig keine Zeit haben – und unterstützen diese damit, den Nebel der Demenz zu lichten.
In der Hegau-Region gibt es viele solcher Sonnenstrahlen, die den Nebel von Menschen mit Demenz lichten. Auch heute. Mögen sie auch an diesem Tag viel Strahlkraft dazu haben.
Die Serie
In der Serie „Leben mit Demenz“ werden Menschen aus Singen und dem Hegau vorgestellt, die vom Thema Demenz betroffen sind. In bisherigen Teilen dieser Serie ging es beispielsweise um die besonderen Herausforderungen ambulanter Pflegedienste während der Corona-Zeit, um Aktivierungsangebote wie Rollatorentanz und um Alice Kühn aus Gottmadingen, die Betreuungsassistenten unterrichtet. Heute widmet sich die Demenz-Serie den Sonnenstrahlen, die den Nebel wegnehmen. Im tatsächlichen Sinn ist dies zu sehen bei den Hegaubergen in dieser Jahreszeit. Und im übertragenen Sinne tun das diejenigen, die Menschen mit Demenz betreuen und pflegen. Diese Serie will die Leser des SÜDKURIER auch weiterhin ermutigen zu helfen und mit der Demenz umzugehen. In den nächsten Teilen der Serie wird eine demenzkranke Frau portraitiert sowie eine betreuende Angehörige. Auch das 10-jährige Bestehen der Pflegestützpunkte wird vorkommen. Weitere Ideen sind immer willkommen. Wenn Sie selbst jemanden kennen, der ein Sonnenstrahl für Menschen mit Demenz ist, schreiben Sie gerne an die Redaktion:singen.redaktion@suedkurier.de